Stillstand nach Wowereit: Wie die Berliner Politik die Probleme vor sich herschiebt
Die schwarz-rote Koalition ist wie gelähmt. Jetzt werden stadtpolitisch wichtige Themen sogar schon bis zum Jahr 2015 vertagt. Solange kein neuer Regierender Bürgermeister gewählt ist, prescht niemand vor.
„Rien ne va plus!“ Nichts geht mehr. Wie der Roulettespieler im Casino wartet die rot-schwarze Koalition gespannt ab, wohin die Glückskugel rollt. Zum Stadtentwicklungssenator Michael Müller, zu SPD-Fraktionschef Raed Saleh oder zum SPD-Landeschef Jan Stöß? Bis zur Auswahl eines neuen Regierungschefs durch die SPD-Mitglieder halten alle die Füße still. Was seit Ende August zu befürchten war, als der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinen Rücktritt ankündigte, wird jetzt zur Gewissheit: Der Senat und die Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus fassen kein Thema von größerer Tragweite mehr an.
Manche fürchten schon, das ICC könnte als Bauruine verrotten
So wurde am Mittwoch im Hauptausschuss des Parlaments das längst fällige Nutzungs- und Sanierungskonzept für das Internationale Congress Centrum (ICC), an dem aus finanziellen Gründen private Investoren beteiligt werden sollen, auf Mitte Januar 2015 vertagt – unter Hinweis auf ein weiteres Gutachten, das die Auswirkungen eines Shopping-Centers im ICC auf den gesamten Einzelhandel in Berlin untersuchen soll, aber noch nicht einmal ausgeschrieben ist. In Koalitionskreisen wird schon befürchtet, dass sich die wenigen privaten Interessenten an einer Nutzung des Gebäudes am Messedamm zurückziehen und das ICC doch als Bauruine verrotten wird.
Die Finanzplanung wurde stillschweigend vertagt
Auf unbestimmte Zeit vertagt wurde die Entscheidung über ein Zukunftskonzept für Europas größtes Universitätsklinikum Charité. Und erst am 10. Dezember, ausgerechnet einen Tag vor der Neuwahl des Regierenden Bürgermeisters, wollen SPD und CDU über das „Bäderkonzept 2025“ und die weitere Sanierung des Olympiaparks (einschließlich des Olympiabades) reden. Auf Mitte Oktober verschoben wurde eine Grundsatzdiskussion mit der landeseigenen Messe GmbH über deren wirtschaftliche Lage und Zukunftspläne. Am 18. Oktober geht das Abgeordnetenhaus schon wieder in die Ferien, erst am 13. November endet die herbstliche Parlamentspause.
Vielleicht beschließt der Senat am nächsten Dienstag noch die Finanzplanung bis 2019. Vor einer Woche wurde auch dieses wichtige Thema stillschweigend vertagt. Auch der Opposition gelingt es derzeit nur selten, den Regierungsfraktionen stadtpolitisch wichtige Themen aufzudrücken. Parlamentarische Initiativen von Grünen, Linken und Piraten zur Flüchtlingsbetreuung, zur Personalentwicklung im öffentlichen Dienst oder zur Standortsuche für die Zentral- und Landesbibliothek werden zwar noch vor den Herbstferien in den Fachausschüssen besprochen, aber ohne große Aussicht auf eine Lösung dringlicher Probleme.
Die potenziellen Regierungschefs Müller, Saleh und Stöß haben momentan auch anderes zu tun. Sie befinden sich im klassischen Wahlkampfmodus, machen Unternehmensbesuche, Fahrradtouren oder besichtigen Baustellen. Und werben in vielen Parteiversammlungen um die Stimmen der Mitglieder. Der noch Regierende Bürgermeister Wowereit mischt sich politisch kaum noch ein. „Er ist auf Abschieds-Tournee“, heißt es übereinstimmend in allen Parteien.