Berlin, Bädermisere, Wowereit-Nachfolge: Wo bleibt endlich das funktionierende Bäderkonzept?
Theoretisch gibt es in Berlin 63 Schwimmbäder. Aber versuchen Sie mal, eins zu finden, das geöffnet hat. Weil die Mittel für die Bäder schlecht verteilt sind, hapert es im laufenden Betrieb. Muss nicht sein, oder? Ein Kommentar
Unser Baby und ich, wir lieben Wasser. Schon wenn unser Baby eine volle Badewanne sieht, fängt es an zu quietschen und zu kreischen. Sobald Wasser in der Nähe ist, will es jetzt! sofort! DA REIN. Das entspricht im Grunde meiner Reaktion, nur dass ich mir über drei Jahrzehnte Sozialisation das geräuschvolle Freuen abgewöhnt habe. Aber glauben Sie mir, wenn ich Wasser sehe, quietscht es in mir wie eine ganze Armada von Badeenten bei der Einfahrt in den Heimathafen. Ins Schwimmbad zu gehen ist für uns daher nicht bloß ein Zeitvertreib an regnerischen Tagen oder ein Ersatz für eine Physiotherapie. Es ist pure Emotion.
Ich glaube, unser Baby und ich sind damit nicht allein. Man muss sich nur einmal die Gesichter der anderen Leute ansehen, wenn sie nach einer Stunde Kraulen unter der Dusche stehen. Doch an so einem gekachelten Hort postaquarischen Berauschtseins ist der werte Herr Innen- und Sportsenator offenbar schon lange nicht mehr gewesen. Die akute politische Gefahr, in der er sich befindet, scheint ihm jedenfalls nicht bewusst. Ich aber glaube, dass sich seine politische Zukunft weniger am Umgang mit den Flüchtlingen bemessen wird, als daran, ob er die Berliner Bädermisere in den Griff bekommt.
Insgesamt 30 Bäder sind dicht
Versuchen Sie mal, am heutigen Samstag in ein Schwimmbad zu gehen. Theoretisch stehen Ihnen dafür 63 Berliner Bäder zur Verfügung. Aber, aber! Das Bad am Spreewaldplatz: bis 30.9. geschlossen. Das SSE: bis Mitte September dicht. Das Stadtbad Charlottenburg: Legionellenalarm! Das Stadtbad Schöneberg: zu, wegen einer „planmäßigen technischen Schließzeit“. In der Sport- und Lehrschwimmhalle Schöneberg absolviert der „Bundesstützpunkt Wasserball“ sein Training, es ist nur von 6 bis 11 Uhr geöffnet. Das Stadtbad Neukölln schließt wegen eines Trauerfalls um 14.30 Uhr. Für ein bisschen Wasser müssten unser Baby und ich heute quer durch die ganze Stadt fahren. Insgesamt 30 Bäder sind dicht.
Ich will nicht unfair sein. Schwimmbäder gehören zu den undankbarsten Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge. Die Dinger sind einfach sehr teuer. Viele Kommunen haben damit Probleme, sogar in Bayern. In Berlin werden jetzt drei sanierte Bäder wieder in Betrieb genommen, doch das Geld für das nötige Personal, drei Millionen Euro, fehlt. Da müssen die Öffnungszeiten bei anderen Bädern eingeschränkt werden. Überhaupt fehlt Geld. Die immerhin 50 Millionen Euro, die das Land jedes Jahr zuschießt, gehen größtenteils für den Betrieb drauf.
Ein neues Konzept will neu bauen statt ständig zu sanieren
Es braucht eine größere Strukturreform, um die Mittel sinnvoller zu verteilen. Sportsenator Frank Henkel hat deshalb schon vor Monaten ein neues „Bäderkonzept“ angekündigt, allerdings ist das Papier, als es endlich da war, im Senat durchgefallen — am Tag der Wowereit-Rücktrittsankündigung. Das bestätigt Peter Trapp, der sportpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Das Konzept sieht wohl vor, neu zu bauen, statt ständig zu sanieren.
Neubauten könnten dann stärker auf die verschiedenen Nutzergruppen zugeschnitten werden: Es gäbe Becken für Vereine, andere für den „schwimmenden Bürger“, wie Herr Trapp uns so schön nennt. Uneinigkeit, so ist zu hören, gibt es allerdings noch in der Frage, ob man die alten Bäder „mitschleppt“ – oder abreißt. Eine Idee ist offenbar auch, einige Bäder nur für Vereine und teilweise in deren Verantwortung weiterzuführen.
Ein Herzensthema wird von Sitzung zu Sitzung geschoben
Modernere Neubauten, die es erlauben, den Kampfschwimmer von der Oma zu trennen, wären in jedem Fall gut. Es ist mühsam, erst das Kleingedruckte der Bahnenbelegung studieren zu müssen. Aber die Halbherzigkeit, mit der hier ein Herzensthema von Sitzung zu Sitzung geschoben wird, ist dennoch erschütternd. Immerhin, in „einer der nächsten Senatssitzungen“, nämlich dann, wenn sich die Damen und Herren ein wenig vom Wowereit-Schock erholt haben, soll das Konzept erneut auf den Tisch.
Bis dahin bleiben wir in der Wanne. Der inneren Quietscheente ist es ja auch egal, wer das Wasser macht. Aber, sehr geehrter Herr Sportsenator, dem „schwimmenden Bürger“ keineswegs.
Anna Sauerbrey