Landwirtschaft: Wie die Agrarwende in Brandenburg vorangebracht wird
Biolandwirte gehen neue Wege bei Vertrieb und Finanzierung, um sich auf dem regionalen Markt zu behaupten. Davon profitieren Berliner Verbraucher.
„Gutes Essen berührt den Menschen innerlich“, sagt Vanda Molnár. Im kleinen Slow-Food-Restaurant „Platz doch!“ in der Kreuzberger Manteuffelstrasse kocht sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Freundin Silvia Taha nach traditionellen Rezepten aus Mittel- und Osteuropa. Eine wichtige Grundlage: regionales Gemüse, direkt vom Bauern. „Gutes Gemüse muss schmutzig sein“, sagt Taha mit leuchtenden Augen. Deshalb bezieht es das Restaurant ausschließlich von einer kleinen selbstverwalteten Kooperative namens Sterngartenodyssee.
Simon Junge ist einer der Gründer der Sterngartenodysse. Jeden Mittwochabend verteilt ein Lieferwagen Gemüse auf insgesamt 44 Depots in ganz Berlin. Die Depots befinden sich in Cafés, Nachbarschaftsläden oder Galerien, auch im „Platz doch!“ ist eines. Mitglieder können sich dort wöchentlich eine Tüte Gemüse abholen. Was drin ist, bestimmt allein der Bauer. „Wir versorgen 500 Haushalte“, sagt Junge. Ein Großteil der Ware müsse jedoch aus der Region rund um die sächsische Metropole Leipzig geholt werden. Um Berlin herum gebe es immer noch zu wenige Höfe, die ökologisch anbauen und zugleich qualitativ hochwertige Ware bieten könnten, sagt Junge.
Anteil der Bio-Bauern in 20 Jahren verdreifacht
Die meisten Brandenburger Bauern produzieren weiterhin konventionell. Laut Amt für Statistik gab es im Jahr 2016 im ganzen Bundesland 666 ökologische Landwirtschaftsbetriebe. Das sind 12,5 Prozent der insgesamt 5318 Betriebe. Doch während die Gesamtzahl der Betriebe seit Jahren sinkt, steigt die Zahl der Ökohöfe stetig. 1999 lag ihr Anteil noch bei 4,3 Prozent. Bei den Flächen sieht es ähnlich aus: 1999 wurden knapp 73.000 Hektar auf ökologische Weise bewirtschaftet, 2016 waren es mit 138.000 fast doppelt so viele, während die gesamte Fläche an Acker- und Weideland leicht zurückging.
Viele Höfe werden an Großbetriebe verkauft oder verschwinden komplett, weil sich keine Erben finden. Die jüngere Generation hat häufig kein Interesse an der harten Arbeit, die mit wirtschaftlichem Risiko verbunden ist. Eine einzige schlechte Ernte kann die Existenz eines kleinen Betriebes gefährden. Konventionelle Großbetriebe sind wirtschaftlich zwar stabiler aufgestellt, jedoch stark abhängig vom Einzelhandel, der die Preise bestimmt. Im Gegensatz dazu sind Ökobauern oft Quereinsteiger, die ihren Betrieb neu gründen oder einen bestehenden Betrieb kaufen. Meist kommen sie aus der Stadt und bringen viel Idealismus mit aufs Feld.
Verbraucher werden zu Mitgliedern - und zahlen feste Beiträge
„Die ökologischen Höfe werden immer mehr, weil die Leute einen Sinn in dieser Arbeit sehen“, meint Stephanie Wild vom Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (Solawi). Dem gehört auch die Kooperative Sterngartenodyssee an. Solawi möchte „die Trennung zwischen Landwirtschaft und Verbraucher aufheben“, sagt Wild – mit einem alternativen Vertriebskonzept. Um einen Solawi-Hof bildet sich eine Gruppe von interessierten Konsumenten. Die werden zu Mitgliedern und zahlen einen festen Beitrag. Dafür erhalten sie wöchentlich frische Lebensmittel, neben Gemüse zum Teil auch tierische Produkte.
„Die Mitglieder können die Betriebe besuchen und kennenlernen“, erklärt Wild. Dem Erzeuger bringe das Flatrate-Modell garantierte Einnahmen – und damit Planungssicherheit. „Die Produzenten erhalten so viel Geld, wie sie zum Wirtschaften und Leben brauchen“, sagt Wild, „nicht einen Preis, der auf dem Weltmarkt ausgehandelt wurde.“ Der Marktpreis sei häufig so niedrig, dass er nicht einmal die Erzeugungskosten decke. Außerdem werde bei den rein marktwirtschaftlich arbeitenden Betrieben zu viel unverkaufte Ware weggeworfen.
"Getrieben von Preisen, auf die wir keinen Einfluss hatten"
„Früher haben wir auf gut Glück produziert“, sagt Biobauer Boris Laufer. Mit seiner Ehefrau und Geschäftspartnerin betreibt er die Gärtnerei Apfeltraum in Müncheberg, unweit der polnischen Grenze. Drei Angestellte und zwei Azubis arbeiten in dem Betrieb, der nach dem anthroposophischen Demeter-System produziert. Das heißt: Es werden keine künstlichen Düngemittel verwendet. Stattdessen werden die Gemüsebeete jedes Jahr versetzt. Durch die Abfolge unterschiedlicher Gemüsearten erhalte die Erde wichtige Nährstoffe zurück, sagt Laufer. Zwischen den Beeten grasen einige Rinder, Esel und Schafe. Ihr Kot düngt den Boden.
Vor zwei Jahren habe die Gärtnerei zudem begonnen, ihren Vertrieb auf das Solawi-Prinzip umzustellen, erzählt Laufer. Vorher hatte er das Gemüse einfach auf dem Wochenmarkt verkauft. „Wir waren getrieben von Preisen, auf die wir keinen Einfluss hatten“, sagt der Biobauer. Heute versorge der Betrieb jede Woche 120 Haushalte mit Gemüse. Kernstück ist das Gewächshaus mit 2200 Quadratmetern Fläche. Hinzu kommen drei Hektar Freiland, was vergleichsweise wenig ist.
Unternehmensberatung für Öko-Betriebe
„Wer Gemüse anbaut, kann auch mit einer kleinen Fläche gut wirtschaften“, weiß Titus Bahner von der Genossenschaft Kulturland. Für die Produktion von Milch, Käse und Fleisch seien aber deutlich größere Flächen notwendig. Die Kulturland e.G. kauft Flächen auf und stellt sie Öko-Bauern zur Verfügung. Der Bauer erhalte einen unkündbaren Pachtvertrag, könne deshalb langfristig planen. Die einzige Bedingung: „Die Produktion muss ökologisch und regional orientiert sein.“ Das Kapital dafür kommt aus Einlagen. Langfristig möchte Bahner junge Leute motivieren, in den Ökolandbau einzusteigen. „Wir müssen das Image des Landwirtschaftsberufs verbessern“, sagt er.
Auch die Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg e.V. unterstützt Neueinsteiger, zum Beispiel mit Unternehmensberatung. Doch Geschäftsführer Michael Wimmer verfolgt höhere Ziele. „In vielen Bereichen übersteigt heute die Nachfrage das Angebot“, sagt Wimmer. Deshalb möchte der Diplom-Landschaftsökologe die bestehenden Biobetriebe beim Anbau jener Kulturen unterstützen, für die der regionale Markt besonderen Bedarf hat. Langfristig ginge es um die Grundversorgung breiter Teile der Bevölkerung, zum Beispiel mit Bio-Kartoffeln, sagt Wimmer.
Die Agrarwende ist in vollem Gange. Doch verändert sich unsere Lebensweise wirklich zum Besseren? Die Gastronomin Vanda Molnár sieht ein grundsätzliches Problem: „Die Menschen haben keinen Bezug zu ihren Lebensmitteln.“ Sie kann nicht verstehen, dass viele Berliner Öko-Produkte kaufen, aber nicht selbst kochen und wenig über Lebensmittel wissen. „Wir müssen uns bewusst machen, was wir essen“, sagt sie.