Klimawandel in Brandenburg: Familie Schwienhorst verklagt die Bundesregierung
Kaum Regen, das Gras verdorrt. Es sollte die Kühe durch den Winter bringen. Eine Bauernfamilie kämpft mit dem Klimawandel – aber verzweifelt nicht.
Dass etwas nicht mehr stimmt mit der Natur, kann Landwirt Heiner Lütke Schwienhorst in Zahlen ausdrücken, in Umsatzzahlen, in schwindenden Ernteerträgen, in den Mengen an Getreide, die in seinem Kornspeicher liegen, in den Mengen an Heu, die er geschnitten hat und die nun in einer hochmodernen Scheune trocknen. Es sind ziemlich drastische Zahlen.
Aber dann zupft er zur Veranschaulichung des Dramas einfach ein Büschel Heu aus einem Haufen und vergräbt seine Nase darin. Er schüttelt es. Riecht noch einmal. Intensiver.
Ja, sagt er, das ist das Heu, das sie im Frühjahr eingefahren haben. Klee und andere Gräser. Das riecht gut. Da war es noch in Ordnung.
Dann stapft der 61-Jährige weiter, hagere Statur, schwarzes Brillengestell, greift wieder in einen Haufen, der mal Wiese war, und riecht diesmal gar nichts. Das Gras kam hier schon vertrocknet an, sagt er, es ist gelb wie Stroh, sein Nährstoffgehalt gering ohne die Blätter und Blüten, die man herausschütteln können müsste. Und Schwienhorst versucht das jetzt auch, schüttelt mit energischer Hand. Aber er wirbelt nur Staub durch die Luft.
Und das ist eine einfache Regel für einen Bauern wie Schwienhorst: Wenn es nicht riecht, dann ist es nicht gut.
Kann ein Gericht vor dem Folgen des Klimawandels schützen?
Wie ihm geht es vielen Landwirten in diesem Jahr. Hinter ihnen liegt eine Dürre, die nicht nur im südlichen Brandenburg außergewöhnlich war. Trotzdem hat Familie Schwienhorst, die das Gut Ogrosen unweit des Spreewalds betreibt, aus ihrer keineswegs besonderen Lage besondere Konsequenzen gezogen und sich zu einem extremen Schritt entschlossen. Sie hat die Bundesregierung verklagt.
Der juristische Mechanismus hinter diesem Vorgang ist ziemlich kompliziert. Im Wesentlichen geht es darum, dass die große Koalition in Berlin die Klimaziele 2020 auch nach eigener Einschätzung verfehlen wird, obwohl die Verringerung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent rechtsverbindlich beschlossen worden ist. Nur 32 Prozent zu schaffen, wie die Regierung es in ihrem aktuellen Klimaschutzbericht verspricht, erfüllt die Vorgabe nicht. Trotzdem lässt das Merkel-Kabinett seinen im Juni dieses Jahres verabschiedeten Bericht in den Satz münden, dass „keine weiteren Maßnahmen“ ergriffen würden.
Mit anderen Worten: Was die Bundesregierung tut, ist nicht genug, aber mehr will sie nicht unternehmen.
Es ist eine Sache, darin einen politischen Skandal zu sehen. Eine ganz andere ist es, deswegen vor Gericht zu ziehen. Was glauben die Schwienhorsts damit erreichen zu können? Dass ein Gericht sie vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen kann? Geht es um mehr, als nur ein bisschen Staub aufzuwirbeln?
Von sich aus hätte der Öko-Landwirt Schwienhorst eine Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht wohl nicht in Betracht gezogen, obwohl er sie sich, wie er sagt, „gewünscht“ habe. Er wolle auf juristischem Wege einen Anstoß geben für eine Entwicklung, „wie ich sie gerne sehen würde“.
Es bedurfte der Initiative von Greenpeace – die Umweltorganisation tritt ebenfalls als Klägerin auf – und von Roda Verheyen, Rechtsanwältin aus Hamburg, die bereits ähnliche Verfahren angestrengt hat. So vertritt sie zehn Familien aus ganz Europa, die gegen die Nichteinhaltung der Klimaschutzziele der Europäischen Union klagen. Und sie steht hinter einem peruanischen Bauern, der sein Dorf in den Anden von einem Gletschersee bedroht sieht und den deutschen Energiekonzern RWE dafür verantwortlich macht.
Schließlich hat die 46-Jährige auch den einstweiligen Rodungsstopp im Hambacher Forst mit erwirkt, und zwar durch Argumente, die zuvor bei Richtern jahrelang kein Gehör fanden. Warum sollte da nicht jetzt auch eine Regierung verklagt werden können, sagt Verheyen, die ihre Klimaziele im Koalitionsvertrag nur noch „so weit wie möglich“ erreichen will.
Wortbruch der Bundesregierung?
Umgekehrt lässt sich fragen: Darf man das Unmögliche verlangen?
Um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit des Klimaschutzes tobt eine Debatte, die an Schärfe zunimmt, je schwieriger die Ziele zu erreichen sind. Denn das ist eine Eigenart dieses speziellen Menschheitsproblems: Je mehr sich die Atmosphäre aufheizt, desto einschneidender müssen die Gegenmaßnahmen ausfallen.
Durch das Pariser Klimaschutzabkommen hat sich die Bundesrepublik zur Reduktion des Treibhausgas-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020 verpflichtet. Mit dem „Klimaschutzplan 2050“ wurde dieser Anspruch über die ursprüngliche Laufzeit um weitere 30 Jahre verlängert und soll Mitte des Jahrhunderts auf ein absolutes Verbot solcher Emissionen hinauslaufen. Noch ist keine der Fristen verstrichen. Kommt eine Klage zum jetzigen Zeitpunkt dem Ergebnis nicht zuvor?
Da lacht Roda Verheyen am Telefon. „Wir sind nicht so verrückt wie es den Anschein haben mag“, antwortet die Anwältin dann, „wir machen das, weil die Bundesregierung sich an ihr eigenes Wort nicht mehr gebunden fühlt.“
Seit 2007 sind in Deutschland zahlreiche Emissionsschutz- und Klimagesetze erlassen worden. Und es gibt eine europäische Regelung, die der Bundesrepublik in den kommenden Jahren für jede Tonne CO2 zu viel Kompensationszahlungen aufbürdet. Die werden den Haushalt schon bald mit Milliardensummen belasten. Dennoch sind die meisten Klimaziele nicht als Gesetze verabschiedet worden, sondern nur an Selbstverpflichtungen gebunden. Verheyen sagt, dass selbst diese Gelöbnisse rechtsverbindlichen Charakter angenommen hätten.
In ihrer Klage bezieht sich die Anwältin auf die Logik des Verwaltungsrechts. Danach hat der Staat selbst durch seine vielen Maßnahmen, die bis zur Enteignung von Braunkohlekraftwerksbetreibern reichten und massiv in die Rechte anderer eingriffen, den Tatbestand des Vertrauensschutzes geschaffen. Die Regierung könne dieses Vertrauen nicht plötzlich missbrauchen, indem sie ihre Handlungen einstellt, „zumal die Not des Handelns durch die Klimaerwärmung zugenommen hat“. Als Mutter von drei Kindern mache sie das „richtig wütend“, sagt die Juristin einmal.
Es ist ein ziemlich kleiner Flecken Erde
Im Oktober hat der Weltklimarat IPCC erneut vor den Auswirkungen gewarnt, die eine Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad Celsius auf die Welt hätte. Extreme Wetterphänomene würden zunehmen. Stürme an Heftigkeit, Überschwemmungen an Ausdehnung, Dürren an Dauer. Das weltweite Wirtschaftsleistung würde um 13 Prozent sinken. Die Zahl der Menschen, die unter Wassermangel leiden, würde um 400 Millionen steigen.
Eine Erderwärmung um drei Grad würde Südeuropa in eine Zone konstanter Trockenheit verwandeln, Regenzeiten kämen im Äquatorialstreifen Afrikas nur noch alle fünf Jahre vor, einige der größten Städte der Welt wären von Flutkatastrophen betroffen. Und das sind fast noch gute Nachrichten, meinen Klimaexperten. Denn im Moment steuere die Welt auf die Vier-Grad-Marke zu.
Sechs der zehn heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881 traten in den vergangenen 17 Jahren auf. Die Häufung zehrt an der Substanz einer Natur, die sich nur langsam an klimatische Verhältnisse anpasst. „Die Zahlen sind erschreckend“, sagt Roda Verheyen, „der vergangene Sommer wird bald keine Ausnahme sein, sondern das normale Null. Und dann kommen bei ausgeprägten Hitzewellen noch einmal vier Grad oben drauf.“
So hat sich der Klimaklage auch ein Obstbauer aus dem Alten Land bei Hamburg angeschlossen. Seine Plantagen werden von einem Nachtfalter befallen, den es früher dort nicht gab. Das milde Klima in den Abendstunden zieht ihn an – und die Bäume können wegen der Wasserknappheit keine Abwehrkräfte entwickeln. Außerdem sind Bewohner der Nordseeinsel Pellworm unter den Initiatoren. Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht ihre Existenz.
Während die Tatsachen unbestritten sind, ist unklar, ob Gegenmaßnahmen noch Wirkung zeigen würden.
500 Hektar Ackerfläche, Weideland und Wald werden von dem Gutsbetrieb in Ogrosen bewirtschaftet, mehr als 120 Kühe und Dutzende Schweine gehören dazu. Das ist ein ziemlich kleiner Flecken Erde, und das will Heiner Schwienhorst auch gar nicht bestreiten. Er wiegt seinen schmalen Kopf, grübelnd über das Missverhältnis von Verursachern und Opfern der Klimakatastrophen. Oft, wenn er über eine Antwort nachdenkt, kündigt sie sich durch ein kurzes Lachen an. Ha!
Der Flecken hat mal den Großeltern seiner Frau gehört. Als die 1945 im Zuge der Bodenreform enteignet wurden, gingen sie in den Westen, bauten sich etwas Neues auf. Doch die Erinnerung an diesen Ort blieb lebendig. Und so kehrte die Enkelin 1991 schließlich zurück mit Heiner Schwienhorst, ihrem Mann, einem Bauernsohn aus dem Münsterland.
Der konnte hier endlich umsetzen, woran er zu Hause bei seinen Eltern gescheitert war: eine biologische Landwirtschaft, die nicht auf Masse aus ist und industriellen Ansprüchen gehorcht, sondern Qualität herstellt in Mengen, die selbst vertrieben werden können. Im Hofladen, auf Wochenmärkten, an Bäckereien. Fleisch, Käse, Gemüse, Getreide und vieles mehr. Denn das sei der wichtigste Unterschied zur konventionellen Landwirtschaft, sagt Schwienhorst, dass die ökologische mit kleinen Marktpartnern zu tun hat, oft direkt mit dem Endverbraucher, und so unmittelbar Einfluss auf Preise ausübt. Sie pachteten das volkseigene Gut, dann erwarben sie es.
Das letzte große Werk ihres Wiederaufbaus ist die Heuscheune, in der Heiner Schwienhorst vom Geruch des Sommers erzählt. Eine halbe Million Euro hat die Halle gekostet, von außen mit groben Holzbrettern verkleidet, besteht sie innen aus sechs Kammern, in denen das Heu durch eine ausgeklügelte Lüftungsanlage getrocknet wird. Was früher eine Woche Arbeit auf der Wiese bedeutete und Sonnenschein voraussetzte, ist heute in zwei Tagen erledigt.
"Wir klagen nicht auf Entschädigung"
Doch in diesem Jahr blieben die üblichen Niederschläge der zweiten Sommerhälfte ohnehin aus. Seit Mai hat es drei Mal geregnet. Das Gras, das die Kühe durch den Winter bringen soll, wuchs nicht und verbrannte auf dem ausgedörrten Boden. So ist jetzt eine Kammer in der Scheune leer, eine zweite kaum gefüllt. Insgesamt müssen sie etwa 50 Prozent dessen zukaufen, was die Kühe pro Jahr an Futter brauchen. Die Vorräte aus vergangenen Jahren sind erschöpft. Und das, obwohl die Schwienhorsts mehr Weideflächen besitzen, als für die Versorgung der Tiere nötig wären. „Wir sind da ein bisschen hysterisch veranlagt“, sagt der Landwirt.
Beim Weizen sind die Einbußen noch drastischer. Alles in allem belaufen sich die wirtschaftlichen Verluste auf etwa 20 Prozent. Das sei kein Offenbarungseid, sagt Schwienhorst. Noch nicht.
Aber da Nutztiere und Pflanzen sich auf einem Biohof ergänzen, die Kuh von Gras und Heu lebt und ihren Dung auf den Weiden und im Stall als Nährstoffquelle – auch für das Ackerland – hinterlässt, schleppt sich der Mangel durch sämtliche Bereiche. Die konventionelle Landwirtschaft mag solche Effekte durch Agrarchemie auffangen, der Biobauer nicht.
„Wir klagen nicht auf Entschädigung“, sagt Schwienhorst und hebt seine feingliederigen Hände abwehrend in die Luft. Um materielle Ansprüche gehe es nicht. Aber ihr Grundrecht auf Nutzung des Eigentums werde verletzt. Mag sein, dass der Familie noch eine Beregnungsanlage genehmigt wird. Aber was, wenn die Grundwasserspeicher weiter zurückgehen, was, wenn Wasser so knapp wird, dass den Bauern der Hahn abgedreht werden muss? Was ihres ist, meint Schwienhorst, soll nicht wertlos werden, weil die Regierung ihre Zusage nicht einhält.
„Es deprimiert mich“, sagt er, „die Vegetation derart angegriffen zu sehen.“ Und damit ist erstmal alles gesagt, schweigend stapft er in seinen klobigen Schuhen durch die erste Herbstkälte. Bis, Ha!, er doch auf die Zusammenhänge zu sprechen kommt. Dass die vielen Annehmlichkeiten des modernen Lebens Kosten verursachen würden, die es nicht wert seien. Er meint die „Mobilitätsbesessenheit“ der Leute, Flüge zu Schleuderpreisen, Fleisch zu Schleuderpreisen und ein Konsum über das Maß des Nötigen hinaus. Selbst Getreide sei heute so billig, 150 Euro pro Tonne, dass es weniger als Heizöl koste. Eigentlich sollte man es verbrennen, sagt er bitter. „Aber vielleicht kommt das dabei heraus, wenn man in einem so eigenen Kosmos lebt wie ich.“
Schwienhorst hat die Küche des Herrenhauses betreten und sich an den großen Holztisch gesetzt, wo in Keramikschüsseln und Töpfen das Mittagessen wartet. Sein Sohn Lucas, der nach Studium und Kanada-Aufenthalt mit 27 Jahren in den Familienbetrieb mit einstieg, tritt ebenfalls ein, zieht sich die Wollmütze vom Kopf. Die Familie isst hier gemeinsam mit den Mitarbeitern des Hofes, es werden Aufgaben verteilt, Absprachen getroffen. Der Blick aus den großen Fenstern fällt in eine weitläufige Parklandschaft und auf eine Reihe historischer Gebäude, mehr als hundert Jahre alt.
Wenn man Heiner Schwienhorst fragt, wie sein Werk unter diesen Umständen fortbestehen kann, dann erwähnt er die vielen Leute, die schon an diesem Tisch gesessen hätten. Sie alle konnten etwas, das sie in den kleinen Kosmos dieses Guts einbrachten. Als es in die pittoresken, alten Nebengebäude hineinzuregnen begann, gab es einen, der die Dächer reparieren konnte und das gerne tat. Die Kunst eines Bauern wie Schwienhorst einer ist, zeigt sich nicht auf dem Feld oder im Stall. Sie besteht darin, Menschen an sich zu binden. Bislang hat er geglaubt, damit würde er durchkommen.