Von Notfall-WLAN bis Bürgerhaushalt: Wie Berlin die Smart-City-Fördermillionen vom Bund investieren will
32 Städte erhalten vom Bund Geld aus dem Smart-City-Förderprogramm. Auch Berlin. Im Senat hat man schon Ideen, was man damit machen will.
Die Digitalisierung bestimmt zunehmend die Entwicklung von Städten. Weltweit machen sich Städte auf dem Weg zur Smart City, der vernetzten Stadt. Welche Einfluss Apps und Plattformen auf das städtische Leben nehmen können, ist spätestens seit dem Siegeszug von Unternehmen wie Uber oder Airbnb bekannt.
Doch auch kommunale Verwaltungen müssen sich im digitalen Zeitalter neu erfinden. Vernetzte Verkehrssysteme können Staus verhindern, intelligente Stromnetze den Energieverbrauch senken, das Smartphone überflüssige Behördengänge ablösen.
In Berlin ist das noch Zukunftsmusik. Die Smart-City-Strategie aus dem Jahr 2015 ist veraltet, große digitale Stadtentwicklungsprojekte ließen bislang auf sich warten.
Immerhin ist die Eröffnung des CityLabs, des landeseigenen Innovationslabors, ein Zeichen, dass die Berliner Verwaltung das Thema ernst nimmt: Junge Kreative tüfteln seitdem am Platz der Luftbrücke an der Stadt der Zukunft. Was ihnen bisher fehlte, war ein politischer und finanzieller Hebel, um größere Projekte in die Praxis zu bringen.
Das könnte sich nun ändern: Der Bund greift Berlin bei der Digitalisierung unter die Arme. Mehr als elf Millionen Euro sollen in den nächsten sieben Jahren fließen, um dabei zu helfen, dem eigenen Anspruch, „Digitalhauptstadt“ zu sein, auch gerecht zu werden.
[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]
Berlin ist eine von 32 Smart-City-Modellkommunen, die das Bundesinnenministerium (BMI) in diesem Jahr fördert. Rund sechs Millionen Euro muss der Senat allerdings selbst beisteuern. Im vergangenen Jahr war die Senatskanzlei noch mit einem entsprechenden Antrag gescheitert.
Die Freude war groß. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sprach gar von der „führenden Rolle Berlins im Bereich Smart City“ als der Millionenzuschlag bekannt gegeben wurde. Doch noch ist nichts umgesetzt, die Arbeit steht erst bevor.
Geplant ist, die bestehende Smart-City-Strategie bis nächsten Sommer zu überarbeiten und Projekte in den fünf Themenfeldern Resilienz, Data Governance, Bürgerbeteiligung, städtische Plätze und Wasserversorgung umzusetzen.
„Kiezboxen“ sollen die Internetverbindung stabilisieren
Angestoßen durch den mehrtägigen Stromausfall in Köpenick im Februar 2019 sollen etwa solarbetriebene „Kiezboxen“ entwickelt werden, die im Falle eines Blackouts als reichweitenstarke WLAN-Router agieren und so ein eigenes Netz aufbauen, über das im Krisenfall kommuniziert werden kann.
Sie sollen zuerst in Tempelhof-Schöneberg installiert werden. In Treptow-Köpenick soll dagegen ein Pilotprojekt für einen Bürgerhaushalt an den Start gehen. Die Bewohnerinnen und Bewohner können dann über digitale Kanäle mitbestimmen, wofür Geld ausgegeben wird.
„Wir wollen uns nicht von Technologie treiben lassen, sondern sie als Werkzeug für eine gemeinwohlorientierte Stadt nutzen“, erklärt Frank Nägele (SPD), der als Staatssekretär in der Senatskanzlei federführend für den Bereich Smart City verantwortlich ist.
Die Bewerbung sieht vor, dass er dort nun auch ein Team für den Bereich digitale Stadtentwicklung entsteht. Vier neue Stellen sind in der Senatskanzlei dafür geplant. Auch das CityLab könnte personell aufgestockt werden.
Am heutigen Mittwoch wird Nägele einen Strategiebeirat vorstellen, der die Stadt bei der Digitalisierung zur Seite stehen soll. Neben Vertretern aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft wird mit Ulrike Huemer auch eine internationale Expertin vertreten sein.
Sie war jahrelang oberste Digitalchefin in Wien, das gemeinsam mit Städten wie Barcelona, London oder Amsterdam als digitaler Vorreiter gilt. Im Beirat sind zusätzlich die Senatsverwaltungen für Inneres, Wirtschaft und Kultur auf Ebene der Staatssekretäre vertreten, sowie mit Oliver Schruoffeneger (Grüne) ein Vertreter der Bezirke.
[Alle relevanten Nachrichten rund um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz lesen Sie werktäglich in unserem Newsletter Background ]
Operativ soll das CityLab bei der Umsetzung der neuen Vorhaben eine wichtige Rolle einnehmen. Das Innovationslabor soll nicht nur moderieren und die wichtigsten Akteure an einem Tisch bringen, sondern auch die praktische Umsetzung und die technische Entwicklung betreuen. „Das CityLab hat sich zu einem der Aushängeschilder für das digitale Berlin entwickelt“, glaubt Nägele.
Bisher ist die Zukunft dieser Einheit nur bis Ende nächsten Jahres gesichert, 1,5 Millionen Euro kommen aus dem aktuellen Doppelhaushalt. „Das Fördergeld und die geplanten Vorhaben ermöglichen es uns, unsere Identität zu festigen und geben uns eine neue Planungssicherheit“, erklärt CityLab-Leiter Benjamin Seibel.
Der finanzielle Schub vom Bund könnte für eine Verstetigung sorgen. „Wir wollen aber keine Projektmanagementbude werden, sondern uns die Kreativität und Offenheit bewahren.“
Zum größten Experimentierraum könnte der Hardenbergplatz werden, der laut der Bewerbung zum digitalen Reallabor für Mobilität werden soll. „Der Hardenbergplatz ist aktuell im Wesentlichen ein Busparkplatz. Da kann man sich schon die Frage stellen, ob das noch zeitgemäß ist“, sagt Seibel. In den nächsten Jahren könnte sich hier einiges ändern. Vom Ausbau von Sharing-Angeboten bis hin zum autonomen Fahren ist vieles denkbar: „Wir wollen dort zehn bis zwanzig Jahre in die Zukunft blicken.“
Wer wird die Daten der Stadt verwalten?
Im Zuge der BMI-Förderung soll zudem die Frage der Hoheit über die Daten in der Stadt geklärt werden. „Eine der größten Herausforderungen der Zukunft“, wie Nägele das Spannungsfeld zwischen Privaten und der öffentlichen Hand beschreibt. Laut Bewerbung will Berlin dazu in eine Diskussion mit Siemens treten.
Das heiße nicht, dass man die Frage der Berliner Datenarchitektur an einen externen Partner auslagere, beteuern alle Beteiligten. Vielmehr sei Siemens durch die Siemensstadt und einige Verkehrsprojekte jetzt schon ein relevanter Akteur auf diesem Feld – und zudem ein Berliner Traditionsunternehmen.
Was auf dem Papier schön klingt, könnte in der Praxis allerdings noch eine große Herausforderung darstellen. Denn im Berliner Digitalorchester gibt es viele Dirigenten, es fehlen klare Strukturen und eine zentrale Steuerung – was gerade beim Querschnittsthema Digitalisierung als extrem wichtig gilt.
Neben Nägele haben unter anderem auch die Staatssekretäre Sabine Smentek (Inneres, SPD) und Christian Rickerts (Wirtschaft) Digitalagenden über. Letzterer ist für eine generelle Digitalisierungsstrategie für Berlin verantwortlich. Diese sollte eigentlich bereits fertig sein, aktuell wird aber lediglich ein Grünbuch finalisiert.
[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Die Digitalstrategie soll Themen wie etwa digitale Verwaltung, Cybersicherheit und Informationstechnologie adressieren. Die Smart-City-Strategie konzentriert sich eher auf die Bereiche Stadtentwicklung und Daseinsvorsorge. Für Michael Pfefferle, Smart-City-Experte beim Digitalverband Bitkom, ist dieses Vorgehen unverständlich. In ganz Europa würde man sehen, dass vor allem die Städte vorangehen, die einen zentralen Ansatz verfolgen.
Obwohl es in Berlin – zum Beispiel durch die Möglichkeiten in Tegel – ideale Voraussetzungen für eine Smart City gebe, scheitere man regelmäßig an den eigenen politischen Strukturen: „Es hakt am Kompetenzgerangel zwischen verschiedenen Senatsverwaltungen und den Bezirken.“