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Der Klassenrat an Schulen soll laut dem neuen Gesetz mehr Kompetenzen erhalten.
© Christoph Soeder/dpa
Update

Schulleitungen warnen vor "Bürokratiemonster": Widerstand gegen neues Berliner Schulgesetz weitet sich aus

Fünf Schulleitungsverbände protestieren gegen Pläne rot-rot-grüner Bildungspolitiker. Zu etlichen Eingriffen in das Schulleben waren sie nicht gehört worden.

Der Widerstand gegen die geplante rot- rot-grüne Schulgesetzänderung im Hau-Ruck-Verfahren wächst. Alle fünf Berliner Schulleitungsverbände bezeichneten am Mittwoch in einem gemeinsamen Positionspapier einige Punkte des Entwurfs als „nicht nachvollziehbar oder aus unserer Sicht sehr praxisfern“.

Es handelt sich um die Verbände der Berufsschulen, Gymnasien, Sekundarschulen, GEW-Schulleiter sowie die Interessensvertretung Berliner Schulleitungen. Sie bemängeln, dass es keine Anhörung der Praktiker gegeben habe. Am Mittwoch sollte es durch den Hauptausschuss bestätigt werden, kommende Woche steht es auf der letzten Plenarsitzung vor der Wahl.

Einer der Kritikpunkte betrifft die flächendeckende Einführung wöchentlicher Klassenräte. Wie berichtet, ist noch völlig unklar, woher die dafür benötigte Unterrichtsstunde kommen soll. „Eine berlinweite Einführung von Klassenräten muss mit den entsprechenden Ressourcen für die Schulen hinterlegt werden,“ fordern daher die Schulleitungen.

Auch die Regelung, dass sie oder die Lehrer auf Wunsch des Klassenrates verpflichtet seien, an seiner Sitzung teilzunehmen, stärke eine solche Institution, müsse aber organisierbar sein. Hier müsse es eine mit Schulpraktikern abgesprochene Regelung geben, die umsetzbar sei, „damit sich – übertrieben formuliert – Lehrkräfte nicht nur in Klassenräten, sondern auch im Unterricht aufhalten können“. Kritisiert wird auch die Absicht der Bildungspolitikerinnen, den Schulleitungen einen Teil ihrer Haushaltskompetenz zu entziehen, indem sie die Schulkonferenz „planmäßig“ und nicht mehr nur „grundsätzlich“ einbeziehen müssen. Die Mittel der Personalkostenbudgetierung seien „größtenteils nicht planbar“. Der weitere größere Kritikpunkt betrifft die geforderte Berücksichtigung einer „Whitelist“ für digitale Lehr- und Lernmitteln. Dies werde „zu einer völlig unnötigen Bürokratisierung des Software-Einsatzes an Schulen führen“. Aufwändige Zulassungsverfahren würden demnach notwendig, die durch die Senatsverwaltung nicht leistbar seien:

„Bürokratiemonster“

„Solche Verfahren benötigen oft mehrere Monate, das führt zu Zurückhaltung der Schulen beim Einsatz der digitalen Lehr- und Lernmittel“, warnen die Praktiker – und zwar besonders an den Berufsschulen. Dort werde es ein „Bürokratiemonster“ geben, da für die verschiedenen Berufsfelder eine sehr große Anzahl unterschiedlicher Software eingesetzt werden müsse. Ansprüche der Politik an eine aus ihrer Sicht notwendige Regulierung seien durch den Einsatz einer Blacklist erfüllt. Von den Schulen werde dies als Eingriff in die Eigenverantwortlichkeit gesehen, schreiben die Verbände in ihrer Erklärung, die HIER nachgelesen werden kann..

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Die Schulgesetzänderung war von den rot-rot-grünen Bildungsfachleuten seit über einem Jahr vorbereitet worden - allerdings konnten sie sich in einigen Punkten wie der Privatschulfinanzierung nicht einigen, weshalb sich der Prozess hinzog, bis es für den normalen parlamentarischen Geschäftsgang mitsamt Diskussion im Bildungsausschuss oder gar Anhörungen zu spät war.

Von der CDU hatte sich Fraktions-Bildungssprecher Dirk Stettner bereits in den Vortagen über diesen Umgang mit dem Parlament und Inhalte des neuen Gesetzte beschwert. Der Empörung schloss sich auch Paul Fresdorf von der FDP an:

Die Opposition empört sich über Inhalt und Form

Die Koalition wolle "in ihrer Torschlusspanik noch schnell ein mutmaßliches Schulreförmchen durchdrücken, welches schlecht durchdacht und nicht der notwendige große Wurf ist", so Fresdorf. Es sei nicht klar, welches Unterrichtsfach um eine Wochenstunde für den nun verpflichtenden Klassenrat wegfallen solle.

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Auch die Schulbudgets über alle Schulformen durch die Schulkonferenz plangenau beschließen lassen zu müssen, scheine in diesem Umfang nicht sinnvoll zu sein: " Wir stehen vor einer bildungspolitischen Herausforderung, wie es sie selten gab. Nach 25 Jahren SPD im Bildungsressort und einer schweren Pandemie muss Berlin alles tun, die Zukunftschancen seiner Schülerinnen und Schüler zu stärken. Anstatt darum zu kämpfen, die rote Laterne in diesem Bereich abzugeben, verliert sich die Linkskoalition im ideologischen Kleinklein", beklagte der FDP-Bildungspolitiker. Diese Reform des Schulgesetzes gehöre zurückgezogen.

Die neue Bildungspartei "Bildet Berlin!" twitterte, es mache "fassungslos", wenn "die demokratisch gewählten Volksvertreter*innen, unter Missachtung demokratischer Partizipation, ein praxisfernes Gesetz durchpeitschen wollen".

Lob und Tadel vom GEW-Landesverband

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bewertete den Entwurf am Mittwoch "grundsätzlich positiv" und zwar im Hinblick auf andere - und auch schon vorher bekannte - Neuerungen wie die Förderung von Mehrsprachigkeit, die Aufwertung des ganztägigen Lernens und der Jugendsozialarbeit an Schule, die Stärkung der schulischen Gremien sowie die Regelungen zum Datenschutz“, erklärte der Vorsitzende Tom Erdmann.

Aber auch er kritisiert das Verfahren: "Wir hätten uns eine breitere Beteiligung gewünscht", so Erdmann.“ An einigen Stellen entstehe für die Schulen zudem ein enormer Zeitdruck, Vorgaben umzusetzen – wie bei der Erarbeitung von Kinder- und Jugendschutzkonzepten: " Dies hätte vermieden werden können, wenn der Entwurf früher vorgelegen hätte und mehr Menschen aus der Schulpraxis beteiligt worden wären, so Erdmann.

Mehr Einfluss der Schulkonferenz "nicht per se problematisch"

Die Kritikpunkte der Schulleiterverbände, darunter auch die Gruppe der GEW-Schulleitungen, sehe die GEW aber "gelassener": Dass die Schulkonferenz als höchstes Gremium nun über die planmäßige Verteilung der Personal- und Sachmittel entscheiden soll, sei "nicht per se problematisch". Es sei klar, dass es hier weiterhin "eher um grundsätzliche Entscheidungen und nicht um Details gehen kann".

Wichtig sei "natürlich, dass die Schulleitungen handlungsfähig sind“, sagte Erdmann. Auch die Möglichkeit, den Klassen oder Jahrgangsstufen eine Stunde in der Woche einzuräumen, um Konflikte zu klären oder Projekte zu planen, sei für die GEW "kein Grund zur Sorge".

VBE sieht "Kasperletheater"

Dre Verband "Bildung und Erziehung (VBE) bezeichnete den Vorgang als "Kasperletheater" und lehnte die vorgesehene Änderung des Schulgesetzes am Mittwoch ab. Der Klassenrat sei in vielen Klassen der Berliner Grundschule schon längst integriert - "auch ohne zusätzlich festgeschriebene Stunde".

An der Oberschule stelle sich die Frage, auf welche Stunde für den Klassenrat verzichtet werden könne. Wie berichtet, soll der Klasserat wöchentlich tagen können, wenn es nach der rot.rot-grünen Koalition geht.

Zur Neuerung, wonach die Schulkonferenz das letzte Wort für die "planmäßigen" Ausgaben der Schule haben soll und nicht mehr nur für die "grundsätzlichen" Ausgaben, steht der VBE ebenfalls kritisch. Diese Grundsätze würden bisher richtigerweise mit der Schulleitung und Lehrerinnen und Lehrern im Finanzausschuss beschlossen, erläutert der Verband:

"Groteske" Verschiebung der Kompetenzen

"Die Finanzierung der Schule kann nicht in die Hand von Eltern und Schüler gelegt werden. Die Allgemeinbildende Berliner Schule ist keine Privatschule und Eltern zahlen auch kein Schulgeld", begründete der Verband seine Ablehnung. .Absolut "grotesk" sei es aber, den Erst- bis Sechstklässlern Stimmrecht in der Schulkonferenz zu geben.

"Damit würden Eltern, Schülerinnen und Schüler die Mehrheit der Schulkonferenz stellen und auch über die Besetzung von Konrektoren und Schulleiterstellen bestimmen, ohne fachliche Kenntnisse,“ erklärt die Vorsitzende des VBE Berlin, Heidrun Quandt. Mit dieser Änderung des Schulgesetzes setze die Koalition "noch das i-Tüpfelchen einer miserablen, ja desaströsen Bildungspolitik".

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