Berlins Grüne und die Verbeamtung: Widersprüchliche Aussagen und neue Zahlen zur Lehrerflucht
Bettina Jarasch will „auch über Verbeamtung reden“ – andere Grüne lieber nicht. Das Ausmaß der Kündigungswelle ist noch größer als angenommen.
Im Streit um die Lehrer-Verbeamtung hat Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch offenbar noch nicht die ganze Partei hinter sich. Die Neuköllner BVV-Spitzenkandidatin der Grünen, Susann Worschech, bezeichnete diesen Weg zur besseren Nachwuchsrekrutierung bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion als „rückwärtsgewandt“.
Zudem passe das nicht zur Arbeit in multiprofessionellen Teams – schließlich würden die Psychologen und Theaterpädagogen an Schulen auch nicht verbeamtet.
Hingegen wiederholte Jarasch am Mittwoch ihr – vorsichtiges – „Ja“ zur Verbeamtung: Rot-Rot-Grün habe in dieser Legislatur zwar „sehr viel getan, um in Sachen Lehrkräftemangel besser zu werden“ – etwa mit der 2018 beschlossenen besseren Bezahlung von Grundschulkräften.
Das habe aber „leider nicht dazu geführt, dass wir den Lehrkräftemangel beheben konnten“. Nach Gesprächen mit Schulleitungen, Lehrkräften und Gewerkschaften sei sie deshalb zu dem Schluss gekommen, dass Verbeamtung zwar nicht alle Probleme lösen, aber die Lage verbessern könne: „Deshalb bin ich ausdrücklich bereit – wenn nichts anderes hilft –, auch über Verbeamtung zu reden.“
Linke und FDP halten an ihrer Ablehnung der Verbeamtung fest. FDP-Bildungspolitikerin Maren Jasper-Winter, die am Dienstagabend auf dem selben Podium wie die Grüne Susanne Worschech bei einer Diskussion der Interessengemeinschaft Berliner Schulleiter (IBS) saß, verwies auf die drohenden „Pensionslasten“.
Zudem sei noch gar nicht erhoben worden, ob die massenhaften Kündigungen der Lehrkräfte überhaupt mit der fehlenden Pensionierung zusammenhingen.
Dass es eine solche Erhebung bisher nicht gibt, bestätigte Bildungs-Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) jetzt in einer Antwort an den FDP-Abgeordneten Thomas Seerig: Die Gründe würden „nicht statistisch erfasst“, seien jedoch „grundsätzlich bekannt“. Die Nichtverbeamtung gehöre dazu.
Seerig hatte auch nach dem Ausmaß der Verluste gefragt, nachdem der Tagesspiegel zuletzt über 700 Kündigungen berichtet hatte. Stoffers’ neuen Zahlen zufolge waren es sogar noch mehr und zwar aktuell 850 und insgesamt 3250 seit 2017.
Allein die Grundschulen erlitten einen Verlust von 1368 Kräften: Hier sind die Lücken am schwersten zu stopfen, weil es kaum Nachwuchs im Bereich der Grundschulkräfte gibt.
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„Die Zahlen sind nur die Spitze des Eisberges. Schulleitungen verwalten den Mangel und die Lehrkräfte arbeiten am Limit", kommentierte der Vizevorsitzende des Gesamtpersonalrats, Dieter Haase, die neuen Daten. Zum zweiten Mal sei es dieses Jahr nicht einmal mehr mit Quer- und Seiteneinsteigern gelungen, alle freien Stellen zu besetzen.
Der FDP-Abgeordnete Seerig nannte den Lehrermangel am Mittwoch „zum großen Teil selbst verschuldet“: Wenn der Senat die Gründe für Kündigungen – und auch für Frühpensionierungen – nicht erfasse, „wundert es nicht, dass es keine Gegenmaßnahmen gibt, die den Arbeitsalltag der Pädagoginnen und Pädagogen endlich konkret verbessern.“
Die SPD will seit 2019 zurück zur Verbeamtung
Die Berliner CDU macht sich sei 2011 für die Rückkehr zur Verbeamtung stark, konnte sich aber als kleinerer Partner in der Koalition mit der SPD (2011-16) nicht durchsetzen. Die SPD wiederum entschied auf dem Parteitag im Herbst 2019, erneut die Lehrkräfteverbeamtung anzustreben, die sie 2004 unter Rot-Rot abgeschafft hatte.
Die Koalitionspartner Linke und Grüne wollten 2019 aber dem Schwenk nicht folgen. Die Linken hält zusammen mit FDP und der größten Berliner Bildungsgewerkschaft GEW an der Nichtverbeamtung fest, während die Grünen sich neuerdings flexibel zeigen.