Das Who ist Who der Lehrkräfte: Die Personalnot an Berliner Schulen macht erfinderisch
Der Lehrermangel ist bekannt - sein Ausmaß aber soll verschleiert werden. Darum werden immer neue Bezeichnungen für ungelernte Kräfte ersonnen. Ein Überblick.
Die Senatsverwaltung für Bildung steht vor einem Dilemma: Zwar weiß die Öffentlichkeit, dass es seit Jahren einen akuten Lehrermangel gibt, aber das Ausmaß soll nicht zu sehr auffallen. Darauf deuten zumindest die Versuche, mit immer neuen, unscharfen Bezeichnungen die Krise zu vernebeln. Um die Transparenz zu erhöhen, hier ein kleiner Überblick:
Eine vollständig ausgebildete Lehrkraft wird als „Laufbahnbewerber:in“ bezeichnet. Sie hat ein etwa fünfjähriges Lehramtsstudium in mindestens zwei Fächern absolviert und dabei auch Lehrveranstaltungen etwa zu Didaktik, Sonderpädagogik oder Deutsch als Zweitsprache absolviert und in dieser Zeit an Schulen Praxiserfahrungen gesammelt.
An das erste Staatsexamen schließt sich ein 18- monatiges Referendariat an, in dem die Lehramtsanwärter:innen sowohl unterrichten als auch Seminare besuchen. Dort lernen sie etwa, wie man Unterrichtstunden aufbaut und Klassenverbände managt. Es folgt das zweite Staatsexamen.
Als Quereinsteiger:in darf nur anfangen, wer mindestens ein Fach studiert hat, das sich einem Schulfach zuordnen lässt – also etwa Englisch. Es muss sich um ein Mangelfach handeln. Nach einer Einführung von wenigen Tagen wird sofort unterrichtet. Parallel wird berufsbegleitend das fehlende Zweitfach nachstudiert. Wer schon zwei „Schulfächer“ nachweisen kann, beginnt mit dem ebenfalls berufsbegleitenden Referendariat.
Quereinsteiger oder Seiteneinsteiger?
Wer kein Mangelfach studiert hat, wird nicht zum Quereinstieg zugelassen, darf somit auch kein Referendariat absolvieren und hat daher auch keinen Anspruch auf das anschließende Bruttogehalt von rund 5600 Euro. Meist bleibt es bei Fristverträgen. Diese Gruppe wurde zunächst als „Lehrkraft ohne volle Lehrbefähigung“ (LovL) bezeichnet.
Das wurde als irreführend empfunden, weil ja auch Quereinsteigende eigentlich „LovL“ sind. Daher griff die Bildungsverwaltung zur Bezeichnung „Seiteneinsteiger“. Auch das war irreführend, weil in anderen Bundesländern der Begriff „Seiteneinsteiger“ die gleiche Bedeutung hat wie in Berlin der Quereinstieg.
In diesem Jahr wurde diese Gruppe, die bei den Neueinstellungen 890 Stellen füllte, erstmals als „befristet beschäftigte sonstige Lehrkräfte“ bezeichnet. Verwirrenderweise wurden 420 weitere Neuzugänge, die ebenfalls eigentlich in diese Gruppe gehören, separat aufgeführt und als „sonstige Lehrkräfte“ bezeichnet.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Den Unterschied zur vorgenannten Gruppe beschrieb ein Sprecher so: „Hier geht es um vormalige Willkommenslehrkräfte, Vertretungskräfte, Ein- Fach-Lehrkräfte, aber auch um Musiker oder Künstler für Musik- und Kunstunterricht, die von den Schulleitungen gezielt gewollt sind und nun erprobt werden“.
Auf dem Tiefpunkt: Der Anteil gelernter Lehrer sinkt
Die Bildungsgewerkschaft GEW bilanzierte am Sonntag die Einstellungen zwischen 2016 und 2021 und bestätigte die Berechnungen des Tagesspiegels, wonach in diesem Jahr nur noch 40 Prozent der diesjährig neu eingestellten Lehrer reguläre Lehrkräfte („Laufbahnbewerber“) sind, in den Grundschulen sogar nur „15 bis 20 Prozent“.
Zudem legte die Gewerkschaft einen GEW-Forderungskatalog vor. Dazu gehört, dass die „sonstigen Lehrkräfte“, sprich: Seiteneinsteiger:innen, nicht mehr als „reine Lückenfüller“ zu behandeln seien. Vielmehr sollten ihnen Qualifizierungsangebote gemacht werden. Der Schlüssel zur Behebung des Lehrermangels liege im übrigen nicht in der Verbeamtung, sondern „in der Verbesserung der Studienbedingungen“, glaubt die GEW Berlin.
Was die GEW ändern will
- Das Berliner Senats-Sonderprogramm „Beste Lehrkräftebildung für Berlin“ von Juni 2020 war ein Versuch, die Studienbedingungen zu verbessern. Die meisten der Vorhaben sind bisher aber nicht umgesetzt. So hat es keinen Ausbau der Studienplätze für die Quereinstiegs-Masterstudiengänge gegeben.
- Insbesondere das Praxissemester im Masterstudium ist inzwischen ein Flaschenhals. Masterstudierende müssen ohne Verzögerung in das Praxissemester gehen können. Lehramtsstudierende im Praxissemester und im gesamten Masterstudium benötigen zudem finanzielle Unterstützung, wenn wir sie an Berlin binden wollen.
- Auch der Übergang in das Referendariat muss verbessert werden, damit Lehramtsabsolvierende keine Zeitverzögerungen haben. Die Universitäten müssen ihre Abläufe bei der Erfassung und Ausstellung der Studien- und Prüfungsleistungen verbessern und die Fristen mit der Senatsverwaltung koordiniert werden.
- Schulwünsche von Bewerber*innen zum Referendariat sollten stärker berücksichtigt werden, insbesondere bei familiären Verpflichtungen. Seminarzeiten sind familienfreundlicher zu gestalten.
- Hürden bei der Anerkennung von Lehramtsabschlüssen ausländischer Lehrkräfte sind abzubauen, durch einen leichteren Zugang zum Studium für ein zweites Fach, durch Sprachpraxiskurse, finanzielle Unterstützung und eine Begleitung bis zur vollständigen Anerkennung.
- Alle Maßnahmen zur Bindung von Lehramtsabsolvent*innen in den Phasen Masterstudium, Übergang ins Referendariat und Übergang in den Schuldienst sollten durch eine Taskforce des Berliner Senats mit den Unis zusammen begleitet werden.