Berechnungsmodell zum Energieverbrauch: Westbezirke verschwenden noch die meiste Wärme
Neue Zahlen zeigen: Berlin entfernt sich von seinen Zielen in der Energiepolitik. Ein Comuptermodell demonstriert nun, wie die Stadt klimaneutral beheizt werden kann. Der Weg dorthin ist möglich - aber ein Kraftakt.
Die Hiobsbotschaft vom Amt für Statistik war kaum beachtet worden, weil die Stadt sich gerade in den Maifeiertag verabschiedete: Am 30. April veröffentlichte die Behörde die Energie- und CO2-Bilanz für 2010. Der große Zeitverzug ist der aufwendigen Berechnung der Daten geschuldet – und die zeigen, dass sich Berlin ein Stück von seinem erklärten Ziel entfernt hat, bis zum Jahr 2050 eine klimaneutrale Stadt zu werden: 21,3 Millionen Tonnen des Teibhausgases wurden von Berliner Verbrauchern 2010 in die Luft gepustet; 5,9 Prozent mehr als im Jahr davor. Es ist der heftigste Knacks, den der seit 1990 sichtbare Trend hin zu mehr Klimafreundlichkeit je erlitten hat. Da die Mehremission vor allem von Öl, Gas und Fernwärme kommt, scheint auch die Ursache klar: Der Winter 2010 war besonders kalt. Und es zeigt sich, dass die Westbezirke noch erheblich mehr Energie verschleudern als viele östliche Wohngebiete.
Da weitere kalte Winter folgten, sind schlechte Nachrichten auch für die nächsten CO2-Bilanzen absehbar. „Die energetische Sanierung des Gebäudebestandes bleibt weiterhin ein wesentlicher Schlüssel für erfolgreichen Klimaschutz“, teilte Umweltsenator Michael Müller (SPD) mit. Seine Verwaltung hat erst kürzlich beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ein Gutachten beauftragt, wie Berlin klimaneutral werden kann. Ergebnisse liegen noch nicht vor.
Als „schlafender Riese“ wird der Wohnungsbestand wegen seines ungenutzten Energiesparpotenzials bezeichnet. Müllers Amtsvorgängerin Katrin Lompscher (Linke) war beim Versuch gescheitert, ihn mit einem Klimaschutzgesetz zu wecken, weil sie den Effekt der geplanten Vorschriften nicht beziffern konnte.
Was die Politik bisher nicht vermochte, hat jetzt der Umweltverband BUND geschafft: Mit einem vom Berliner Reiner-Lemoine-Institut entwickelten Rechenmodell kann er zeigen, wie im klimaneutralen Berlin geheizt werden kann. Wobei als „klimaneutral“ ein CO2-Ausstoß von etwa 1,5 Tonnen pro Person und Jahr gilt. Zurzeit sind es gut sechs Tonnen, von denen rund ein Drittel auf Heizen und Warmwasserbereitung entfällt – in Kiezen mit zumeist älteren und oft opulenten Eigenheimen wie in Steglitz-Zehlendorf mehr, in den durchsanierten Plattenbauten von Marzahn-Hellersdorf weniger, wie die Grafik zeigt. Da 90 Prozent der Energie in privaten Haushalten für Wärme verbraucht werden, führt der Weg zur Energiewende unvermeidlich über den Wärmemarkt. Sofern dieser Posten seinen Drittel-Anteil behält, müsste die CO2-Emission zur Wärmeerzeugung also auf 500 Kilo pro Person und Jahr reduziert werden.
„Es gibt ein Szenario, das uns ermöglicht, auf diesen extrem ambitionierten Wert zu kommen“, sagt BUND-Landesgeschäftsführer Andreas Jarfe und zählt auf: Alle Kohle-, Öl- und konventionell gespeisten Elektroheizungen gehören auf den Schrott. Ersetzt werden sie zur Hälfte durch erneuerbare Energieträger wie Holzpellets, Geothermie oder Biogas. Je ein Viertel steuern konventionelles Erdgas und die Fernwärme bei, die dann aber nicht mehr aus Kohlekraftwerken stammen darf. Stattdessen müssten dann auch die großen Kraftwerke zur Hälfe mit Bio-Energie betrieben werden und höchstens zur Hälfte mit Erdgas.
Während ihr Wirkungsgrad nur um fünf Prozent steigen müsste, hätten die heimischen Heizungen deutlich größeren Modernisierungsbedarf. Für den Energieverbrauch wären die 80 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr das Maximum, die dem heutigen Mindeststandard für Neubauten entsprechen. „Während wir die Plattenbauten mühelos auf diesen Wert bringen, wird das bei Gründerzeitbauten und älteren Einfamilienhäusern schwierig“, sagt Jarfe. Als Ausweg aus dem Dilemma rät er, Neubauten nach noch strengeren, aber mühelos umsetzbaren Vorgaben zu errichten und stattdessen die Altbauten von aufwendigen energetischen Sanierungen zu verschonen. Mittelfristig werde sich aber auch das nicht vermeiden lassen. Die Simulation ermöglicht, an diesen Stellschrauben beliebig zu drehen – auf Basis der Berliner Gebäudedaten.
„Mit dem Rechenmodell könne man endlich Prioritäten setzen und „die Peanuts von großen Bringern unterscheiden“, sagt Jarfe. Auf den Berliner Energietagen vom 15. bis 17. Mai will der BUND die Simulation präsentieren. Das kann als die Stunde der Wahrheit gelten, denn nun sieht jeder, mit welchen Stellschrauben sich der „schlafende Riese“ bewegen lässt.
Stefan Jacobs