Ansturm auf Wälder, Wiesen und Seen während Corona: „Wertvolle Schilfgürtel wurden zertrampelt und beschädigt“
Viele Berlinerinnen und Berliner zieht es jetzt hinaus an die Seen. Naturschützer fürchten, dass das Abstandhalten zu Lasten von Flora und Fauna geht.
„Ich kann verstehen, dass man sich gerade jetzt, wo das Wetter schöner wird, hinaus in die Natur sehnt“, sagt Christiane Schröder: „Aber man sollte auch darauf achten, dass man sie nicht zerstört.“
Christiane Schröder ist Geschäftsführerin des brandenburgischen Naturschutzbundes (Nabu) und hat genau wie ihre Mitarbeiter und andere Naturfreunde ein wenig Sorge vor dem Ansturm der Berliner auf die Wälder, Wiesen, vor allem aber auf die Seen besonders im Umland der Hauptstadt.
„Wir haben schon an einigen wärmeren Tagen in den vergangenen Wochen feststellen müssen, dass die natürlich gewachsenen Ufer der Seen und oft sogar die wertvollen Schilfgürtel zertrampelt und beschädigt wurden“, sagt sie: „Die Schilfgürtel sind für das ökologische Gleichgewicht und sehr viele Tierarten extrem wichtig. Und gerade jetzt brüten dort Vögel und laichen Amphibien.“
Viele Arten würden in ihrem Lebensraum durch rücksichtslose Menschen aber auch Hunde, die nicht an der Leine gehalten werden, massiv gestört, sagt die Naturschützerin. Das sei schon in normalen Zeiten ein Problem, in diesem Jahr könnte es aber ganz andere Ausmaße annehmen, weil viele bewirtschaftete Strände, wo es neben der Eisdiele auch einen Spielplatz für die Kinder gibt, geschlossen sind.
Auf der Suche nach einer geeigneten Badestelle nähmen manche keine Rücksicht, befürchtet Schröder und spricht aus Erfahrung. „Schon im April haben wir das beispielsweise am Großen Seddiner See gesehen. Der ist sehr flach und dadurch erreicht er früher als andere Gewässer moderate Badetemperaturen. Da wurden dann – natürlich auch noch in ziemlich großem Abstand zu anderen Menschen - lange Trampelpfade in das Schilf getreten, das dadurch massiv gelitten hat.“
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Dass die ökologisch so wertvollen Schilfgürtel zerstört werden, kommt immer mal wieder vor, aber dann meist durch Feuer oder vorsätzlich: die einen möchten einen privaten Zugang zum See haben, andere einen Liegeplatz für ihr Boot.
Ein umstrittenes Projekt war die geplante Seeoper auf der Halbinsel Hermannswerder, die in einem Landschafts- und Wasserschutzgebiet errichtet werden sollte und massive Auswirkungen auf Flora und Fauna gehabt hätte (der Tagesspiegel berichtete). Das Vorhaben scheiterte letztendlich auch am Widerstand der Naturschützer.
Es liege eher an Gedankenlosigkeit
Die befürchten in der jetzigen Situation allerdings keine absichtliche oder vorsätzliche Zerstörung der Natur, sondern eher Gedankenlosigkeit. „Die Menschen sollen ja raus in die Natur, das ist ihr gutes Recht“, sagt Christiane Schröder: „Und wenn man im 15. Stock eines Berliner Hochhauses wohnt, sehnt man sich erst recht nach einem schönen Plätzchen. Das darf aber nicht in Rücksichtslosigkeit ausarten.“
Natürlich betreffe das Problem nicht nur Berliner, heißt es beim Nabu. Allerdings sei die Belastung im Umland der Hauptstadt einfach massiver als anderswo. Das liege wohl auch daran, dass viele Brandenburger, die auf dem Lande lebten, eigene kleine Pools im Garten hätten.
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Der Nabu-Appell, auch in Corona-Zeiten den Naturschutz nicht zu vergessen, betrifft im Übrigen nicht nur den Schutz der Schilfgürtel. Angesichts der in weiten Teilen Brandenburgs vorherrschenden Trockenheit gehe es auch darum, Waldbrände auf jeden Fall zu vermeiden. Das Befahren sei ja ohnehin verboten, aber auch bei Spaziergängen sollte man sehr vorsichtig sein.
Zunehmen würde derzeit auch das illegale Ablagern von Müll oder auch „nur“ das Zurücklassen von Abfall oder Essensresten nach dem Picknick im Freien. „Dabei kann jede Glasflasche nicht nur zum Brandsatz werden“, sagt Christiane Schröder, „sondern auch zur tödlichen Falle für manche Tiere.“
Insekten beispielsweise verenden oft in Wasserflaschen, die noch nicht ganz leer sind. Marder oder Wildschweine bekommen Probleme, wenn sie Plastik- oder Glasteile fressen. Kleinere Säugetiere bleiben in Dosen und Joghurtbechern stecken. Oder in Plastiktüten, die in diesen Tagen manchmal sogar samt gebrauchter Schutzmasken weggeworfen werden.
Sandra Dassler