Ringen um den Volksentscheid: Wer will was bei Stromnetz und Stadtwerk?
Am 3. November sollen die Berliner über die Zukunft der kommunalen Energiepolitik abstimmen. Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Parteien haben jeweils ganz eigene Interessen. Wer mischt mit in der öffentlichen Debatte – und warum eigentlich? Ein Überblick.
Ulrich Nußbaum - Finanzsenator (parteilos, für SPD)
Bei ihm laufen die Fäden zusammen. Dabei hält Finanzsenator Ulrich Nußbaum selbst wenig von einem landeseigenen Öko-Stadtwerk und noch weniger von einem Stromnetz in öffentlicher Hand. Qua Amt sitzt er aber gleich an drei entscheidenden Positionen. Zum einen wacht seine Verwaltung über das Konzessionsvergabeverfahren für das Stromnetz. Bisher wird es von der Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin betrieben. Es bewerben sich außerdem die landeseigene Gesellschaft Berlin Energie und fünf weitere Unternehmen, das Verfahren läuft nach engen europarechtlichen Vorgaben. Einfluss nahm Nußbaum über den Haushaltsentwurf, in dem er dem Stadtwerk nur 1,5 Millionen Euro eingeräumt hat – 6,5 Millionen Euro weniger, als die SPD sich gewünscht hätte. Am Ende müsste er sich als Aufsichtsratsmitglied der Wasserbetriebe mit dem Stadtwerk auseinandersetzen, denn dort soll es angesiedelt werden. Aufsichtsratschefin ist Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU), ebenfalls Gegnerin einer Rekommunalisierung.
Florian Graf - CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus
Dass es für die CDU „kein Herzensanliegen“ ist, ein Stadtwerk zu gründen, wie Fraktionschef Florian Graf sagte, ist vermutlich noch milde formuliert. Tatsächlich hat die CDU die SPD lange vor sich hergetrieben und den Beschluss zur Gründung eines Stadtwerks, der nun am 24. Oktober durchs Parlament gehen soll, so lange herausgezögert, bis es zu einem Koalitionskrach kam. Der CDU, die ein Stadtwerk als Risiko für den Landeshaushalt einschätzt, ist es auch zu verdanken, dass die Haushaltsmittel dafür nun denkbar gering ausfallen. Eigentlich war bereits im Dezember zwischen CDU und SPD ein Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung und zur Gründung eines Stadtwerks verabredet worden. Es wäre nach dem Willen der SPD längst verabschiedet, doch die CDU forderte zunächst einen Business-Plan.
Der wird nun von Umweltsenator Michael Müller noch einmal überarbeitet. Der erste Vorschlag, der von der Münchner K. Group erarbeitet wurde, geht davon aus, dass das Stadtwerk ab dem vierten bis fünften Jahr ein positives wirtschaftliches Ergebnis erzielen könnte. Ab dem 16. Jahr könnten die Kredite getilgt sein, dann würden auch Gewinne erwirtschaftet. Dazu solle das Stadtwerk zunächst mit fünf Windkraftwerken auf dem Gelände der Berliner Stadtgüter im Umland der Hauptstadt starten. Es ist eine Minimallösung für das ungeliebte Projekt. Damit es dabei bleibt, spricht sich die CDU auch vehement gegen den Volksentscheid aus. So vehement, dass CDU-Chef Frank Henkel den Abstimmungstermin nicht auf den 22. September, den Tag der Bundestagswahl, sondern auf den 3. November legte. Sehr wahrscheinlich wird dadurch die Wahlbeteiligung negativ beeinflusst. Stimmen weniger als 620000 Berliner für den Volksentscheid, scheitert er automatisch.
Jan Stöß - Landesvorsitzender der SPD
Der Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Jan Stöß, und der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Daniel Buchholz, halten den Volksentscheid am 3. November schlicht für überflüssig. Tatsächlich hat die SPD eine Kernforderung des Energietischs, die Bewerbung um das Stromnetz, bereits umgesetzt. Bei der Ausgestaltung des Stadtwerks gibt es aber Differenzen. Nachdem sowohl SPD-Umweltsenator Michael Müller als auch die SPD-Fraktion mit ihrer Forderung nach 8 Millionen Euro bei Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) abgeblitzt sind, müssen nun andere Finanzierungswege gefunden werden. Konkrete Pläne dafür gibt es. So haben sich Stöß und Buchholz potenzielle Standorte für eine Fotovoltaikanlage auf den Flächen der Berliner Stadtgüter in der Nähe von Großbeeren angesehen. Bebauungspläne und Genehmigungen für die Anlage, die rund 3304 Haushalte versorgen könnte, existieren bereits. Stöß hält den Standort deshalb für den idealen Startplatz für ein eigenes Stadtwerk. Kostenpunkt: 7,68 Millionen Euro.
Etwa 2,3 Millionen Euro müsste das Land an Eigenkapital dafür aufbringen, deutlich mehr also, als es der Haushaltsentwurf zulässt. Das restliche Geld soll aus den 18 Millionen Euro liquider Mittel der Stadtgüter kommen. Das allerdings ist Geld, das Nußbaum schon zur Schuldentilgung verplant hat. Der Chef der Stadtgüter, Peter Hecktor, glaubt aber, dass ein Stadtwerk sogar Gewinn abwerfen könnte. Das legen Berechnungen der Umweltplan Projekt GmbH nahe. So könnten im Umland Öko-Kraftwerke für bis zu 232 636 Haushalte entstehen. Rund 107 Millionen Euro Eigenkapital müsste das Land investieren, bei einer prognostizierten Rendite von 10,32 Prozent. Ob die SPD dieses Geld in die Hand nehmen will, ist unklar.
Stefan Taschner - Sprecher des Berliner Energietisch
Der Energietisch kommt langsam in Erklärungsnöte. Vor allem Sprecher Stefan Taschner hat gut zu tun, darzulegen, wofür es den Volksentscheid überhaupt noch braucht. Der Gesetzentwurf sieht die „Errichtung von Stadtwerken als Anstalt öffentlichen Rechts, um Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen und Energieeinsparmöglichkeiten zu nutzen“ vor. Darauf hat sich die Koalition aus SPD und CDU aber schon verständigt. Die Initiatoren halten den Vorstoß der Koalition allerdings für eine Minimallösung, die nicht ausreiche, um ein Stadtwerk ernsthaft zu betreiben. Sie versprechen, ein Ja zum Volksentscheid würde die politischen Akteure zwingen zu handeln, statt nur symbolisch ein Stadtwerk mit geringer finanzieller Ausstattung zu gründen.
Ein zweiter Punkt, nämlich „die Errichtung einer Netzgesellschaft als Anstalt öffentlichen Rechts mit dem Ziel, die Stromnetze zum 1.1.2015 zu übernehmen“, ist ebenfalls bereits erfolgt und kann durch den Volksentscheid nicht mehr beeinflusst werden. Die dritte Forderung, nämlich die „Schaffung von demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten durch Direktwahl des Verwaltungsrats, Initiativrecht und Versammlungen“, sieht selbst die Opposition im Abgeordnetenhaus kritisch, die den Entscheid sonst geschlossen unterstützt. Grüne und Linke haben Bedenken angemeldet, weil mit dieser Regelung der Senat kein Durchgriffsrecht auf das Stadtwerk habe und auch das Parlament nicht federführend eingebunden sei. Für Taschner und Co. könnte es also am 3. November sehr eng werden. Und das obwohl im September ein ähnlicher Entscheid in Hamburg erfolgreich war.
Tuomo Hatakka - Chef von Vattenfall-Europe
Vattenfall ist der größte Stromanbieter in Berlin und versorgt etwa 80 Prozent aller Haushalte. Die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin betreibt außerdem auch noch das Netz. Kein Wunder also, dass sich der Vattenfall-Europe-Chef, Tuomo Hatakka, deutlich gegen den Volksentscheid positioniert. Dabei geht es dem schwedischen Staatskonzern vor allem um die Netzkonzession, denn ein landeseigenes Stadtwerk könnte Vattenfall zwar Kunden abwerben, wäre aber im Grunde nur einer von hunderten weiteren Stromanbietern auf dem Berliner Markt. Das Netz hingegen ist ein natürliches Monopol, das sichere Gewinne abwirft und bedeutet anders als klimaschädliche Braunkohle- und Gaskraftwerke keinen Imageverlust für das Unternehmen.
Im Gegenteil hat Vattenfall sich als Netzbetreiber bewährt, was die Versorgungssicherheit angeht. Der Volksentscheid argumentiert aber, Vattenfall habe kein Interesse daran, das Netz für dezentrale Energieeinspeisung, etwa über private Solaranlagen, mit Speichervorrichtungen auszustatten. Wer das Netz bekommt, wird aber nicht mit dem Volksentscheid, sondern im Vergabeverfahren festgelegt. Ob der Konzern das Stromnetz trotz eines erfolgreichen Volksentscheids behalten würde, ist ungewiss. Sicher ist, dass Vattenfall die Konzession braucht – entweder, um das Netz selbst zu betreiben, oder, um es teuer weiterzuverkaufen. Denn während Vattenfall bei Verlust der Konzession zu marktüblichen Preisen verkaufen müsste, könnte es als Konzessionsinhaber den Preis hochtreiben.
Eric Schweitzer - Präsident der IHK Berlin
Es ist eigentlich nicht Aufgabe der Industrie- und Handelskammer, sich in einen anstehenden Volksentscheid einzumischen. Eigentlich betrifft er die IHK auch nur auf Umwegen. Trotzdem hat sie sich unter Präsident Eric Schweitzer mehrfach öffentlich gegen den Volksentscheid positioniert. Während die IHK die Gründung eines Stadtwerks offenbar kaum ernst nimmt, sorgt sie sich vor allem um die Netzübernahme. Sie gab deshalb ein eigenes Gutachten in Auftrag, das die Risiken einer Rekommunalisierung sichtbar machen sollte. Darin kommen die Gutachter zu dem Schluss, dass die Rendite des Eigenkapitals bei deutlich weniger als einem Prozent liegen werde. Für Befürworter eines Rückkaufs ist das kein Problem, da das landeseigene Unternehmen keine Gewinne erwirtschaften, sondern vor allem kostendeckend arbeiten soll.
Schweitzer sorgt sich aber um die Interessen der eigenen Mitglieder. Denn je nachdem, ob Vattenfall wieder die Konzession für das Netz bekommt oder nicht, könnte der Preis für einen Rückkauf zwischen 400 Millionen und drei Milliarden Euro liegen. Bei einem Schuldenstand von 63 Milliarden Euro würde das den Landeshaushalt weiter belasten. Dann wäre weniger Geld für Investitionen in die Wirtschaft übrig, was letztlich nachteilig für die IHK-Mitglieder wäre.
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Sidney Gennies