Volksentscheid über Energienetz: Olaf Scholz verliert
Eine Bürgerinitiative setzt sich in Hamburg gegen Vattenfall und die großen Parteien durch.
Mit ähnlicher Hochspannung wie die Bundestagswahl verlief am Sonntag der Hamburger Volksentscheid über einen Rückkauf der Energienetze. Erst tief in der Nacht stand fest, dass die Befürworter einen knappen Sieg eingefahren hatten. Dafür reichten am Ende 440 690 Stimmen und ein Anteil von 50,9 gegenüber 49,1 Prozent. Neben mehr Ja- als Nein-Stimmen sollte die Anzahl der Stimmen mindestens halb so hoch sein wie die der Zweitstimmen für alle Parteien, die bei der aktuellen Bundestagswahl in den Bundestag eingezogen sind. Das Kriterium wäre selbst erfüllt worden, wenn aus Hamburger Sicht FDP und AFD noch den Sprung über die Fünf-Prozent-Marke geschafft hätten.
Das Votum zieht nun wohl einschneidende Veränderungen der hanseatischen Energiepolitik nach sich. Die im Hamburger Rathaus oppositionelle CDU konnte es sich nicht verkneifen, darauf aufmerksam zu machen, dass dies die erste gravierende Niederlage des Stadtoberhaupts seit dessen Amtsantritt im März 2011 gewesen sei. Bis zum Abstimmungstag hatte die CDU noch an der Seite des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz und seiner SPD-Fraktion gestanden und den Netze-Rückkauf abgelehnt.
Die Volksinitiative „Unser Hamburg, unser Netz“ sprach von einem Erfolg der direkten Demokratie. Es sei nach den Worten ihres Sprechers Manfred Braasch vom BUND, der neben rund 45 anderen Umweltorganisationen, Verbraucherinitiativen, Mietervereinen und Kirchenvertretern Initiator des Volksentscheids war, auch ein Triumph von David über Goliath gewesen. Während die Volksinitiative vor dem Urnengang mit einem schmalen Budget von rund 200 000 Euro für ihre Interessen geworben hat, schätzt Günter Hörmann von der Verbraucherzentrale Hamburg, dass auf der anderen Seite die Kampagne gegen den Rückkauf bis zu 20 Millionen Euro gekostet hat. Der größte Finanzposten kam dabei zweifellos vom Energiekonzern Vattenfall (Strom/Fernwärme), der nun damit rechnen muss, dass er genau wie Eon Hanse (Gas) die Hoheit über die Versorgungsinfrastruktur verliert. Braasch: „Bürgermeister Scholz hat bereits gesagt, er wisse, was nun zu tun ist. An seinen Worten werden wir ihn messen.“
Skeptische Reaktionen gab es dagegen bei der IHK. Sie befürchtet Engpässe bei einem Versorger komplett in städtischer Hand. Die CDU äußerte die Sorge, dass das erfolgte Bürgervotum sich als schlechtes Geschäft für den Hamburger Steuerzahler erweisen werde. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Dressel kündigte an, den Willen des Volkes zügig umsetzen zu wollen. Einen entsprechenden Plan dafür will seine Fraktion am Mittwoch vorlegen.
Die Stadt Hamburg wird dazu eine eigene Netzgesellschaft gründen müssen. Zugleich wird eine Rückabwicklung der 2012 geschlossenen Verträge zwischen der Stadt und Vattenfall beziehungsweise Eon erfolgen, gemäß denen die Stadt einen 25,1-prozentigen Anteil an den Netzen hat. Zuvor will man sich aber formell noch bei beiden Energiekonzernen erkundigen, ob diese sich womöglich von ihrem 74,9-prozentigen Besitz trennen wollen und falls ja, zu welchem Preis. Die Interessenbekundung für die neue Stromleitungs-Konzession greift ab Mitte Januar 2014. Dort wird sich die Stadt Hamburg dann bewerben.
Vattenfall hat angekündigt, sich ebenfalls und trotz der Niederlage vom Sonntag um die Konzession bewerben zu wollen. Weitere Interessenten sind denkbar, aber noch nicht bekannt. Beobachter rechnen im anstehenden Rekommunalisierungsprozess durchaus mit komplizierten juristischen Auseinandersetzungen bezüglich Wettbewerbskriterien, Kaufpreis und kartellrechtlichen Aspekten.
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