Kita-Regelbetrieb in Berlin: Wer die Kinder daheim lässt, muss sich nun rechtfertigen
Am Dienstag kehren die Kitas in Berlin quasi zum Regelbetrieb zurück. Und plötzlich fühlt es sich falsch an, das Richtige zu tun. Ein Kommentar.
Bringt ihr eure Kinder hin? Keine Frage war in den vergangenen Tagen häufiger zu hören auf den Spielplätzen, in den Elternchats, in langen Gesprächen mit der Freundin am Telefon und Videocalls mit den Verwandten. Was nun anfangen mit der wiedererlangten Wahlfreiheit in der Betreuung der Kleinsten?
Ab diesem Dienstag sind die Kitas in Berlin wieder geöffnet, aus dem „Notbetrieb“ wird ein „eingeschränkter Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen“ – mit Betonung auf Regelbetrieb. Die legendäre Liste der Systemrelevanz (ein 31 Seiten langes PDF-Dokument) ist damit zumindest vorübergehend abgeschafft, auch die Kinder systemirrelevanter Menschen dürfen wieder betreut werden.
Oder vielmehr: müssen wieder betreut werden, wenn die Eltern dies wünschen. Die Kita selbst muss die Situation zwar praktisch umsetzen, darf aber kein Kind ablehnen – ganz gleich wie viele Erzieherinnen und Erzieher zur Risikogruppe gehören oder jetzt schon krankheitsbedingt ausfallen.
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In der aktuellen Information der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie heißt es lediglich: „Eltern bleiben aufgefordert, sich hinsichtlich ihres individuellen Betreuungsbedarfs auf den notwendigen Umfang zu beschränken und diesen regelmäßig mit den Einrichtungen abzustimmen.“
Wie misst man den „notwendigen Umfang“ der Betreuung?
Wie aber misst man den „notwendigen Umfang“? Wie sollen die völlig erschöpften Eltern, von denen viele ihre Belastungsgrenze irgendwann im Februar im Rückspiegel aus den Augen verloren haben, diese Entscheidung in ruhiger Abwägung aller Bedenken und Sorgen treffen? Kennt jemand überhaupt noch die Bedeutung des Wortes Ruhe?
Bereits in der vergangenen Woche wurde mehr als die Hälfte der Kinder in den Kitas betreut, zuvor war die Tendenz seit Wochen steigend gewesen. Nun ändert sich vor allem die Richtung der Rechtfertigung: Niemand muss mehr begründen, warum die Kita das Kind doch bitte wenigstens für ein paar Stunden reinlassen soll. Begründungen sucht nun, wer nach Risikoabwägung sein Kind weiter zu Hause lassen möchte: dem Kind gegenüber, dem Arbeitgeber gegenüber und nicht zuletzt sich selbst.
Das Klarkommen wird nun wieder neu verhandelt
Wie soll man dem Kind erklären, dass es nun das einzige ist, das weiterhin die Bauklötze auf dem Laptop stapelt, während seine Kumpels in der Kita neue Freunde finden? Wie rechtfertigt man nun, dass es schon wieder Youtube-Videos schaut, während das Eis auf die Tastatur tropft?
Bisher war der Konsens: Hauptsache, alle kommen irgendwie klar. Doch das Klarkommen wird nun wieder neu verhandelt. Der Verzicht auf Normalität fühlt sich ein wenig falscher an als in der vergangenen Woche.
Der Gruppendruck ist ein erlerntes Pandemiephänomen. Je mehr Kinder betreut werden, desto schwieriger wird es für diejenigen, die das eigentlich nicht möchten. Und was ist dann eigentlich Homeoffice „im notwendigen Umfang“?
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So nachvollziehbar die gesellschaftlichen Gründe für die Rückkehr zum Quasi-Regelbetrieb mit erhobenem Zeigefinger sind, so gefährlich sind sie: für die Ausbreitung des Virus und die Gesundheit jedes Einzelnen. Denn jeder noch so kleine Schritt in Richtung Normalität zieht weitere nach sich.
Wenigstens die nun begonnenen Impfungen für Erzieherinnen und Erzieher hätte der Senat noch abwarten können – am Montag wurden die ersten Spritzen gesetzt. Berlin steht hier deutlich besser da als andere Bundesländer. Nur fehlt es leider an der notwendigen Ruhe.
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