Nachfolger*in dringend gesucht: Wer beerbt Sigrid Nikutta bei der BVG?
Noch ist der Wechsel von BVG-Chefin Sigrid Nikutta zur Bahn nicht endgültig beschlossen. Doch die Nachfolge-Debatte läuft, erste Namen werden gehandelt.
So lange wie sie war lange mehr keiner Chef bei der BVG. Am 1. Oktober 2010 war Sigrid Evelyn Nikutta an die Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gerückt. Das ist jetzt neun Jahre her. Ihre Vorgänger, allesamt Männer, waren deutlich kürzer im Amt. Man muss schon in die 1980er Jahre zurückblicken, bis dahin waren zehn Jahre an der Spitze der BVG üblich. Und nun soll Nikutta – wie am Dienstag berichtet – in den Vorstand der Deutschen Bahn wechseln, verantwortlich für den Güterverkehr. Da kommt sie ja auch her. Bis 2010 leitete Nikutta die DB-Tochter Polska Cargo.
Noch sei nichts unterschrieben, hieß es am Dienstag warnend. Der 50-jährigen Managerin gehe es weniger ums Geld, sondern um möglichst große Handlungsfreiheit, hieß es hinter den Kulissen. Die 50-Jährige wolle noch etwas bewegen, sagte einer, der sie lange kennt. Mehrmals schon war Nikutta als DB-Vorstand gehandelt worden.
Es wäre kein leichter Job. Keine andere Sparte der Bahn ist in einem derart desaströsen Zustand wie der Güterverkehr. Jahrzehntelang hat Politik Gütertransport per Lkw gefördert, die Bahn hat immer weiter abgebaut. Jetzt sind viele Entscheidungen nötig und Nikutta hat sich einen Ruf erworben, entscheidungsfreudig zu sein.
Es heißt, Nikutta habe über die Jahre mehrere Angebote von deutschen Dax-Unternehmen erhalten, die eine Frau für den Vorstand suchten. Dazu hätte sie umziehen oder pendeln müssen – was man als Elternteil von fünf Kindern eher vermeiden will. Kind vier und fünf bekam Nikutta als BVG-Chefin. Lange weg war sie nach den Geburten nie. Wenn in dieser Zeit etwas zu entscheiden war, sagte die langjährige BVG-Sprecherin Petra Reetz, seit einiger Zeit wieder Petra Nelken, „die Chefin würde das jetzt so machen“. Und dann wurde es in der Regel auch so gemacht.
BVG droht Machtvakuum
So müssen Nelken und die formal vorgesetzten Vorstände womöglich schon ab Dezember wieder improvisieren so lange bis eine neue Vorstandschefin – oder -chef gefunden wird. Bei der ebenfalls landeseigenen Berliner Stadtreinigung hatte es ein halbes Jahr gedauert, bis die von Headhuntern identifizierte Stephanie Otto aus Köln vor wenigen Wochen das Chefbüro beziehen konnte. Auch bei der BVG gilt eine interne Besetzung als eher unwahrscheinlich.
Erst am vergangenen Montag hatte der neue Betriebsvorstand Rolf Erfurt seinen Job angetreten. Der 47-jährige promovierte Diplomkaufmann und frühere Berater bei Roland Berger war bereits im Mai ernannt worden, sein bisheriger Arbeitgeber Nordwestbahn (Transdev) hatte ihn jedoch erst jetzt gehen lassen. Erfurt macht jetzt das, was Nikutta zuvor quasi nebenbei gemacht hatte – den Betrieb leiten. Dass er jetzt direkt an die BVG-Spitze durchstartet, halten Beobachter für unwahrscheinlich.
Ein größeres Vakuum im Vorstand hatte es bei der BVG zuletzt 2016 geben. Damals war der angesehene Henrik Falk auf den Chefsessel der Hamburger Hochbahn gewechselt. Parallel dazu war Nikutta schwanger. Der Name Falk steht nun auf der Liste der recht vielen Kandidatennamen, die man mit dem Job für rund 500.000 Euro Jahresgehalt in Verbindung bringt. Offiziell gibt es dazu weder bei BVG noch DB einen Kommentar.
Die 16 Mitglieder im BVG-Aufsichtsrat, in dem die Landespolitik und die Arbeitnehmerbank bestimmen, müssen über die Nachfolge entscheiden, sollten Nikutta und DB sich womöglich bereits kommende Woche handelseinig werden. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop als Vorsitzende, Verkehrssenatorin Regine Günther (beide Grüne) und Aufsichtsrats-Vize Lothar Stephan als Personalratschef werden mutmaßlich auch externen Besetzung diskutieren.
Ein Münchener für Berlin?
In den Job müsste jeder Kandidat erst hineinwachsen. Die BVG ist mit 14.600 Mitarbeitern und fast 1,1 Milliarden Fahrgästen pro Jahr das größte kommunale Verkehrsunternehmen Deutschlands. Für Manager erschwerend kommt hinzu, dass die Politik bei kommunalen Betrieben immer mitmischt und der rot-rot-grüne Senat in vielen Dingen uneins ist. Deshalb bezweifeln Insider, dass mögliche Kandidatinnen wie Stefanie Haaks (Vorstandsvorsitzende der Kölner Verkehrs-Betriebe AG KVB), Anja Wenmakers (Geschäftsführerin der Stadtwerke Bonn) oder andere Topleute kommunaler Verkehrsunternehmen eine größere Chance haben.
Als ausgewiesene Kennerin der speziellen Berliner Gegebenheiten käme da schon eher Susanne Henckel in Frage, seit 2014 Chefin des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg. Der VBB organisiert den Nah- und Regionalverkehr von rund 40 Unternehmen für die beiden Länder. Henckel ist politisch gut vernetzt und mit den wichtigen Mobilitätsthemen vertraut, ihr fehlt allerdings Erfahrung im operativen Geschäft.
So fällt der Blick zwangsläufig auf die Schwergewichte in den großen deutschen Verkehrsbetrieben. An der Spree wird S-Bahn-Chef Peter Buchner eine gute Arbeit bestätigt, er hat die katastrophale Krise der lange fast kaputtgesparten DB-Tochter bewältigt. Auch sein Vorgänger Tobias Heinemann hat sich beim größten DB-Konkurrenten Transdev als Leiter der umfangreichen deutschen Geschäfte in Berlin einen soliden Ruf erarbeitet, seine Mitverantwortung für die damalige S-Bahn-Krise dürfte seine Chancen aber kaum erhöhen.
Die aussichtsreichsten Kandidaten könnten eher aus dem Norden und Süden der Republik kommen. Zum Beispiel Ingo Wortmann, seit drei Jahren Chef der Münchner Verkehrsbetriebe und zuvor rund 13 Jahre Geschäftsführer der SWU Verkehr GmbH in Ulm. Als Präsident des einflussreichen Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hat der gebürtige Wuppertaler und gelernte Verkehrsplaner auch die nötige Erfahrung im Umgang mit der Politik. Doch Wortmann wird wenig Lust auf den Wechsel nach Berlin nachgesagt.