Pädophilie-Therapie an der Charité: Wenn Kinder von Kindern fantasieren
Ärzte an der Charité helfen Pädophilen, nicht zu Tätern zu werden. Mittlerweile gibt es auch Therapieplätze für Jugendliche. Die Nachfrage ist groß, das Projekt soll dauerhaft bezahlt werden - aber von wem?
Hämmer und Bohrer lärmen durch die Luisenstraße in Mitte, am Bettenturm der Charité schrauben Arbeiter. Die nötige Sanierung hatte der Vorstand der landeseigenen Universitätsklinik vom Senat erstritten. Im Institut für Sexualmedizin aber, im Schatten des 80-Meter-Hauses, werden die Ärzte mit anderen um Geld ringen müssen: der Bundesregierung.
Das Team um Sexualwissenschaftler Klaus Beier hat seit 2005 fast 2500 Männern geholfen, ihre pädophilen Neigungen zu kontrollieren – durch Therapien, für die sich die Männer freiwillig und anonym entscheiden. Das dafür an der Charité gegründete Netzwerk hat Standorte in Hamburg, Kiel, Stralsund, Hannover, Leipzig, Ulm, Regensburg, Gießen und Düsseldorf. Bislang gibt es Geld vom Bundesjustiz- und vom Familienministerium – allerdings nur bis maximal 2017. Und nach wie vor reicht es nicht für ausreichend Therapieplätze, um alle Freiwilligen zu betreuen, während der konkrete Bedarf steigt. Im November wurde die Arbeit auf Jugendliche ausgeweitet.
An der Charité wird auch Kindern geholfen, die von Kindern fantasieren
Unter dem Titel „Du träumst von ihnen“ wurden eine Hotline und eine E-Mail-Adresse freigeschaltet, neue Therapeuten ins Projekt dazugeholt. Seitdem meldet sich fast jeden Wochentag ein Interessent – fast alles Jungen, im Schnitt 15 Jahre alt. „Ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept, sexuelle Gewalt gegen Kinder zu verhindern“, sagte Familienministerin Manuela Schwesig (SPD).
Bedenkt man, dass kaum jemand gesellschaftlich so geächtet wird wie ein Pädophiler, ist erstaunlich, wie viele sich in den Räumen der Therapeuten zu ihren Neigungen bekennen. Auch das Jugendlichen-Projekt gilt unter Fachleuten als Erfolg. Mittelfristig sollen 100 Jugendliche therapiert werden. Vor allem Eltern und Betreuer, aber auch Jugendliche selbst haben sich an die Charité gewandt. Andreas Peter, der das Jugendlichen-Projekt betreut, sagt: „Wir bekommen Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet.“
Präventionsarbeit - Verbrechensbekämpfung? Oder eher Krankenbehandlung?
Noch wird die Arbeit vorrangig als projektbezogene Kriminalitätsprävention, nicht als dauerhafte Krankenbehandlung verstanden. Doch eine bessere Verankerung wäre nötig, um potenzielle Täter abzuhalten: Ein Prozent aller Männer gilt als pädophil. Auch wenn nur ein Bruchteil davon zu Tätern wird, kämen allein von 120.000 männlichen Jugendlichen in der Berliner Region 1200 als potenzielle Patienten infrage. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kündigte an, die Arbeit dauerhaft sichern zu wollen, am besten im Gesundheitssystem. Im Dezember 2014 hatte er sich an Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gewandt.
Auch der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak, Vize-Chef des Rechtsausschusses, fordert solide Finanzen. „Langfristig“, sagte Luczak, „sollte das Projekt daher in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden.“ Das wollen auch die Charité-Therapeuten. Krankenkassen aber versichern Individuen. Sie bezahlen Behandlungen, die pro Patient abgerechnet werden. Name und Diagnose des Patienten werden der Kasse mitgeteilt – anonyme Behandlungen sind nicht vorgesehen. Sollten die Kassen darauf bestehen, werden sich den Ärzten wohl weniger Männer offenbaren: Wer gibt schon seine Daten an, damit über ihn eine Akte als potenzieller Sexualstraftäter angelegt wird?
Womöglich lassen sich die Finanzlücken erst schließen, wenn die Universitäten einen Paradigmenwandel in der Gesundheitspolitik durchgesetzt haben. Die Hochschulkliniken fordern seit langem Sonderpauschalen für jene komplexen Fälle, die andere Krankenhäuser nicht versorgen. Darunter fallen wohl auch Pädophilentherapien.