Ein Jahr nach tödlichem SUV-Unfall in Berlin: „Wenn es vor der eigenen Haustür passiert, kann man sich nicht entziehen“
Ist die Invalidenstraße in Mitte sicher geworden? Ein Anwohner findet: Nein. Er berichtet von aggressiven Fahrern, aber auch von Erfolgen.
Herr Kopmann, heute vor einem Jahr überfuhr ein SUV-Fahrer mit hohem Tempo vier Fußgänger an der Invalidenstraße. Die genauen Umstände sind noch immer nicht aufgeklärt. Was macht so ein Unglück mit der Nachbarschaft?
Ich glaube, ganz Deutschland war von dem Unfall erschüttert. Leider gibt es ja immer wieder ähnliche tragische Unfälle und man hat sich fast schon daran gewöhnt, dass es lebensgefährlich ist, am Straßenverkehr teilzunehmen. Doch wenn es dann so unmittelbar vor der eigenen Haustür passiert, kann man sich emotional nicht mehr entziehen.
Meine Tochter ist vergangenes Jahr eingeschult worden und einige Eltern der Schule haben sich als Schülerlotsen engagiert. Was ich dort oft morgens auf dem Weg zur Schule beobachtet habe und was mir von Ihnen mitgeteilt wurde, lässt mich jedoch daran zweifeln, dass sich das Verkehrsverhalten im Kiez geändert hat. Es gibt leider immer wieder sehr aggressive Autofahrer, die gefährliche Situationen provozieren. Natürlich trifft das auch auf Radfahrer und Fußgänger zu, allerdings sitzen die nicht auf ein bis zwei Tonnen Blech.
Sie haben mit anderen damals eine Anwohnerinitiative gegründet, eine Petition brachte mehr als 10 000 Stimmen für eine Verkehrsberuhigung des Kiezes, der Senat setzte eine Projektgruppe ein – die Invalidenstraße wurde zur Chefsache. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Es hat mich durchaus positiv überrascht, dass unsere Petition so schnell von den höchsten Entscheidungsträgern in dieser Sache aufgenommen wurde. Auch die pragmatische Herangehensweise an eine Lösung und der direkte Beschluss eines Tempo-30-Limits und eines geschützten Radfahrweges haben mich überrascht.
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Allerdings waren diese Beschlüsse in keiner Weise umstritten und es wäre auch schön, wenn solche durch Konsens getragenen Entscheidungen nicht als „Chefsache“ gehandelt werden müssen, um auch getroffen zu werden. Viel mehr als bei der Entscheidung hätte ich mir bei der tatsächlichen Umsetzung und der Idee einer Projektgruppe den Charakter einer „Chefsache“ gewünscht. Die Projektgruppe wurde zwischenzeitlich vom Senat abgesagt …
Ende Oktober soll laut Verkehrsverwaltung der lange versprochene geschützte Radweg fertiggestellt werden. Ein Erfolg?
Natürlich werte ich das als Erfolg. Unsere Erwartungen waren natürlich hoch gesteckt, nachdem das Thema wie gesagt als „Chefsache“ initiiert worden war. Für uns war es ein langer Lernprozess zu verstehen, welche Hürden die Umsetzung mit vielseitigen, teilweise nicht ganz klaren Zuständigkeiten mit sich bringt. Man mag zwar zu Recht beanstanden, dass zwölf Monate für die Planung und Ausschreibung eines etwa 600 Meter langen Radwegs lang erscheinen, doch letztendlich zählt, dass er umgesetzt wird.
Was muss sich in Berlin grundlegend ändern, damit sich die Menschen sicherer auf der Straße fühlen?
Ich glaube nicht, dass ein Gefühl von Sicherheit aufkommt, solange man sich als Radfahrer oder Fußgänger den Straßenraum ohne weiteren Schutz mit Autos, Trams, Lkw und Bussen teilen muss. Mehr exklusiver Raum für Fußgänger und Radfahrer, damit diese sicher an Ihr Ziel kommen, und ein härteres Vorgehen gegen aggressive Verkehrsteilnehmer. Zudem glaube ich, dass es nicht nachhaltig ist, in Städten auf motorisierten Individualverkehr zu setzen.
Julian Kopmann, Vater von drei Kindern, hat nach dem SUV-Unfall eine Petition für Tempo 30 in der Invalidenstraße gestartet.