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Schwer kranke Covid-19-Patienten müssen oft auf Intensivstationen behandelt werden. Das Fachpersonal fehlt.
© Fabrizio Bensch / REUTERS

Engpass beim Fachpersonal: Immer mehr Covid-Patienten müssen ins Krankenhaus

Intensivstationen bereiten sich auf „harte Wochen“ vor: Die Zahl der freien Intensivbetten sinkt weiter. Kliniken sollen planbare Operationen verschieben.

Die Corona-Pandemie trifft Berlin hart. Inzwischen werden 218 Covid-19 Erkrankte auf Intensivstationen behandelt, doppelt so viele wie am 22. Oktober. Die Zahl der freien Intensivbetten sinkt weiter. Am Dienstag standen laut dem Intensivregister 132 freie Betten zur Verfügung, das sind knapp elf Prozent der Gesamtzahl aller betreibbaren Intensivbetten in Berlin.

Hinzu kommt eine Notfallreserve von 459 Intensivbetten, die binnen sieben Tagen für Covid-19-Patienten aktiviert werden können. Damit springt der Indikator „ITS-Belegung“ der Berliner Corona-Warnampel, der die Auslastung der Intensivstationen mit Covid-19-Patienten darstellt, auf „gelb“.

Noch sei die Situation in der Stadt beherrschbar, sagte Steffen Weber-Carstens dem Tagesspiegel. Er ist leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin der Charité und koordiniert die Verteilung von schwer kranken Covid-19-Patienten auf die Intensivstationen der Berliner Krankenhäuser. Die Grundlage ist das seit der ersten Pandemiewelle in Berlin gültige Notfallkonzept, das eine zentrale Zuweisung der Patienten regelt.

Aber die Lage habe sich in den vergangenen Tagen deutlich verschärft. Inzwischen sei man bereits in der im Notfallkonzept festgelegten zweiten Eskalationsstufe, sagt Weber-Carstens. „Seit einigen Tagen werden Intensiv-Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt sind, in sogenannte Level-3-Krankenhäuser verlegt.“ Damit werden in den Level-2-Kliniken, die vorrangig Covid-Patienten versorgen sollen, Kapazitäten freigemacht.

In den nächsten zehn bis 14 Tagen werde die Belastung der Berliner Intensivstationen deutlich steigen, erwartet der Intensivmediziner. „Das werden für alle Beteiligten harte Wochen.“ Das Hauptproblem sind nicht die technisch verfügbaren Intensivbetten, sondern das zu deren Betrieb unverzichtbare qualifizierte Personal. Deshalb schlugen Intensivmediziner kürzlich vor, an das Intensivregister nur die freien Intensivbetten zu melden, für die auch das entsprechende Personal verfügbar ist.

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„Denn natürlich sitzen angesichts von bundesweit mehr als 7000 freien Intensivbetten nicht tausende Pflegekräfte untätig rum“, sagt Christian Karagiannidis, Sprecher des Intensivregisters. Würde man die freien Intensivbetten danach melden, wie viel Personal kurzfristig für deren Betrieb zur Verfügung steht, würde sich die Zahl der freien Betten und der Notfallreserve deutlich verringern, sagt der Intensivmediziner. Das gilt beispielsweise für die Notfallreserve in Berlin.

Freie Intensivbetten sollen nur gezählt werden, wenn Personal bereit steht

Als „tagesaktuell betreibbare Intensivbetten“ würden nur die Plätze gezählt, für die tatsächlich entsprechendes Personal bereit stehe, sagt Charité-Mediziner Steffen Weber-Carstens. Aber: „Für die als Notfallreserve erschließbaren Betten braucht es Konzepte, die den Einsatz von zusätzlichem Personal in diesen Bereichen regeln.“

Die Charité setzt auf eine „Mixkalkulation“ beim Personal auf den Stationen. Dafür würden qualifizierte Pflegekräfte aus anderen Abteilungen und aus den OP-Sälen auf die Intensivstationen versetzt, sagt Weber-Carstens. „Das geht natürlich nur, wenn die Krankenhäuser planbare Operationen und Behandlungen verschieben.“

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Einige Kliniken, darunter die Charité, haben schon vor Tagen damit begonnen, elektive Eingriffe zu verschieben, um Kapazitäten für schwer kranke Covid-19-Patienten freizuhalten. Aber, wie eine Umfrage des Tagesspiegels in der vergangenen Woche ergab, noch längst nicht alle. „Angesichts der angespannten Lage gehe ich davon aus, dass der Senat im Laufe der Woche anordnen wird, dass alle Krankenhäuser das Normalprogramm einschränken müssen werden“, sagt Weber-Carstens. „Und das ist auch dringend nötig.“

Tatsächlich hat sich die Senatsverwaltung für Gesundheit dieses Themas angenommen. Man plane „gemeinsam mit der Berliner Krankenhauslandschaft zeitnah planbare Eingriffe nur noch bei medizinisch dringlichen Fällen zuzulassen“, teilte die Senatsverwaltung auf Anfrage mit.

Müssen bald Patienten nach Brandenburg verlegt werden?

Das wichtigste sei jetzt, das Personal bei der Stange zu halten, sagt Christian Karagiannidis. Ärzte und Pflegekräfte müssten durch kluge Arbeitsorganisation und durch ein Runterfahren des Normalprogramms entlastet werden, um die kommenden Wochen durchstehen zu können. „Ich fürchte, dass die zweite Pandemiewelle uns alle mehr belasten wird als die erste.“

Inzwischen haben die Bundesländer für den Notfall vereinbart, bei Auslastung der Intensivbetten Patienten auch über die Grenzen der Bundesländer hinaus zu verlegen. Von dieser Notlage sei man aber noch weit entfernt, sagt Christian Karagiannidis. Denn dazu müssten erst einmal die jeweiligen Notfallreserven aufgebraucht sein. Das gelte aber nicht überall, schränkt Karagiannidis ein. „Für Berlin zum Beispiel könnte das in den nächsten Wochen soweit sein, dass einzelne Patienten nach Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern verlegt werden müssen.“

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