Sozialarbeiter an Schulen in Berlin: Wenn der Lehrer nicht mehr weiter weiß
Sie schlichten Streite, spielen Fußball und Theater, beraten Eltern, Kinder und Pädagogen. Wir haben zwei von 20 Schulsozialarbeitern getroffen, deren Stellen gestrichen werden sollen.
Sie sind zu acht, und sie machen einen Riesenkrach, die Jungen aus der sechsten Klasse, die da auf den Sofas im Sozialarbeiterbüro der Zille-Schule in Friedrichshain herumhampeln. Sie kichern, schmeißen mit Kissen, drängeln sich aufeinander und dann wieder vom Sofa runter und vor allem: sie rufen und quatschen andauernd durcheinander.
Mittendrin sitzt Steffen Heidgen und bewahrt die Ruhe. Seine Aufgabe heute: den „Maoam“-Handel auflösen, den einer der Sechstklässler seit einiger Zeit an der Schule betreibt. Anton (Name von der Redaktion geändert) hatte sich das nämlich so gedacht: Für 25 Cent verkauft er das Päckchen Kaubonbon an Mitschüler, und wenn die nicht zahlen, verdoppeln sich die Schulden nach einem Tag.
Das geht natürlich nicht – das wurde Anton auch schon von der Schulleiterin Silvia Illhardt klar gemacht. Sozialarbeiter Steffen Heidgen kümmert sich nun darum, mit allen beteiligten Jungen den Ausstieg aus dem Wucherzins-System zu finden. Wer hat noch Schulden, bis wann und wie können die zurückgezahlt werden? Nach viel Gefrotzel und Gemotze stehen schließlich eine Liste und ein Plan fest. „Am 28. November treffen wir uns wieder“, ruft Heidgen den Jungen hinterher, als sie sein Büro verlassen.
„So sind die auch im Unterricht“, erklärt er. Die Klasse wurde aus zwei Gruppen zusammengelegt. „Jetzt gibt es dort zwei starke Jungs-Gruppierungen, die sich gegenseitig aufputschen. Für eine Lehrkraft allein ist es schwierig, unter den Bedingungen überhaupt Stoff zu vermitteln“, sagt Heidgen. Er als Sozialarbeiter holt sich die Kinder mal allein, mal in einer Kleingruppe aus dem Unterricht ins Büro, und er betreut die Schüler auch in der Fußball-AG. „Dort kann ich sie noch mal ganz anders erreichen“.
Seit fast drei Jahren arbeitet der 30-Jährige an der Zille-Schule in der Boxhagener Straße. Wahnsinnig gern mache er den Job, erzählt er, und dass sich in der Zeit ein Vertrauensverhältnis zu Schülern, Eltern und Lehrern aufgebaut habe.
Kaum ruhige Momente
Wenn man Heidgen einen Vormittag lang bei der Arbeit begleitet, gibt es kaum eine ruhige Minute. Lehrer kommen und bitten ihn kurz für eine Konfliktvermittlung vor eine Klasse, dann wollen zwei Kinder einen Rat, und gleich geht schon das Treffen mit dem Erzieher-Team los, um über akute Problemfälle zu sprechen.
Trotzdem ist ungewiss, ob Heidgen seine Arbeit weiter tun kann. Denn die Stelle, die er sich mit seiner Kollegin Mechthild Velten teilt, könnte es bereits im Januar nicht mehr geben. Ende Oktober wurden die Pläne der Senatsbildungsverwaltung bekannt, dass nächstes Jahr 20 Sozialarbeiterstellen an Schulen gestrichen werden sollten. Heidgen und Velten gehören dazu. Nach heftigen Protesten bemühen sich nun zwar die Haushälter von SPD und CDU, doch noch Geld für Sozialarbeiter aufzutreiben, und es sieht danach aus, als ob das gelingen könnte. Glauben wollen die Betroffenen es aber erst, wenn sie es schriftlich haben.
Die Art und Weise, wie sie von den Streichungsplänen erfuhren, empört sie nämlich immer noch. Als die Zille-Sozialarbeiter vor drei Wochen den Computer anmachten, um für das 2014 zu planen, gab es sie nicht mehr. Auf dem Internet-Formular des Sozialpädagogischen Instituts, in das sie sich wie gewohnt einloggen wollten, waren ihre Schule und Stelle verschwunden. Ein Anruf beim Träger brachte Gewissheit. „Ich bin bis heute nicht offiziell informiert worden“, sagt Schulleiterin Illhardt. Bei Eltern, Lehrern und Erziehern entfachte die drohende Streichung massiven Protest. „Ich bin so wütend. Ohne Sozialarbeiter geht es an der Schule nicht“, sagt Elternvertreterin Birgit Brauneis. Sie verteilt Flugblätter für eine Demo, die sie kurzfristig organisiert hat. „Da hat man gerade etwas Gutes aufgebaut und dann wird es wieder kaputtgemacht“. An Politiker in Bezirk und Land wurden schon Protestbriefe geschrieben. Statt Stellen zu streichen, sollten alle Schulen Sozialarbeiter bekommen, fordern die Eltern.
Genügend Probleme
Die Begründungen, die die Senatsbildungsverwaltung für die Streichung anführt, überzeugen an der Zille-Schule niemanden. Ja, an der Schule beträgt der Anteil der Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen, weniger als 40 Prozent und auch die Hartz-IV-Empfänger-Quote liegt unter den Kriterien, die für Zuweisung von Sozialarbeitern aufgestellt wurden. „Aber Probleme gibt es hier auch genügend“, sagt Illhardt.
Fast alle Kinder kommen aus Trennungs- oder Patchworkfamilien, und viele Eltern hätten drei oder vier Jobs gleichzeitig, um finanziell über die Runden zu kommen. „Diese Spannungen tragen die Kinder auch in die Schule“, erklärt Sozialarbeiterin Velten. Die Kinder seien unkonzentriert, teilweise aggressiv, auch Mobbing und Ausgrenzung kämen vor. Sie arbeitet seit 2009 an der Schule und hat dort ein Theaterprojekt für alle Klassen aufgebaut. „Das stärkt den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der ganzen Schule.“ Zudem baut sie mit den Kindern ein Schülerparlament auf, während ihr Kollege Heidgen Schüler zu Konfliktlotsen ausbildet.
„Präventive Projektarbeit“, nennen die Sozialpädagogen ihre Arbeit. Und die sollen sie jetzt, mitten im Schuljahr, einfach so einstellen? Was wird mit der Theateraufführung und dem großen Fest am Schuljahresende, auf das die Kinder hinarbeiten? „Wenn die Stellen gestrichen werden, können wir unsere Arbeit mit den Kindern nicht einmal ordentlich zu einem Abschluss bringen“, sagt Heidgen. „Das ist doch alles hochgradig absurd.“
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