Kürzungen in Berliner Schulen: Sozialarbeiter belasten Scheeres
Wegen der Streichung von 20 Stellen gerät die SPD-Bildungssenatorin unter Druck – auch bei den eigenen Leuten. Fraktion und Partei versagen die Unterstützung. Jetzt ist der Haushaltsausschuss gefragt.
Morgens greift Ute Brödnow erst mal zum Hörer: Schüler wecken, lautet die erste Aufgabe. Später telefoniert sie den Schwänzern hinterher oder sie stimmt ihre Schüler mit Rollenspielen auf Bewerbungsgespräche ein, wenn sie sich nicht gerade um die Kooperation mit Grundschulen kümmert oder um die besonders Verhaltensauffälligen, die den Unterricht torpedieren. Die Sozialpädagogin hat viele Aufgaben, aber wohl keine Zukunft an ihrer Ellen-Key-Sekundarschule.
So wie Ute Brödnow geht es rund 20 weiteren Sozialarbeitern und Sozialpädagogen in der Stadt: Für ihre Stellen läuft die Finanzierung aus. Das Geld, dass die Bildungsverwaltung im Doppelhaushalt 2014/15 zur Verfügung hat, reicht nicht aus, um alle 255 Stellen aus dem Landesprogramm Jugendsozialarbeit zu retten. Deshalb sollen nun jene Schulen ihre Helfer hergeben, die weniger als 40 Prozent Migranten oder sozial schwache Schüler haben, bestätigte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) im Schulausschuss, als die grüne Abgeordnete Stefanie Remlinger sie danach fragte.
Diese Auskunft ruft bei den Betroffenen Fassungslosigkeit hervor. „Man reißt ein, was gerade aufgebaut wurde“, empört sich Klaus Böger, der als früherer Bildungssenator daran beteiligt war, die damaligen Hauptschulen mit Sozialarbeitern zu versorgen. Inzwischen ist Böger Vorsitzender des Landessportbundes, der ebenfalls an zwei Schulen Sozialarbeit leistet. „Man kann nur hoffen, dass die Haushälter nachbessern“, gibt Böger als Signal an das Abgeordnetenhaus, und ist damit auf einer Linie mit dem Landesparteitag der SPD, der am Sonnabend die Parlamentarier unmissverständlich aufforderte, „die zur Finanzierung aller bisherigen Standorte und Personalstellen notwendigen Mittel in den Haushalt 2014/2015 einzustellen“.
Dies dürfte allerdings nicht so einfach werden, da der Schulausschuss seine Haushaltsberatungen bereits abgeschlossen hat. Somit ist der Hauptausschuss gefragt, der zunächst am Mittwoch tagt.
Nicht nur die Opposition überhäuft jetzt die Bildungsverwaltung mit Kritik. Auch die Fraktion geht auf Distanz. „Es ist bedauerlich, dass das Thema in den Haushaltsberatungen für uns nicht ersichtlich war“, sagt Bildungspolitiker Lars Oberg. Von Scheeres sei kein Hinweis darauf gekommen, dass es zu Kürzungen kommen müsse. „Hätten wir es früher gewusst, hätten wir das Problem im Bildungsausschuss in den Griff bekommen“, glaubt Oberg. Jedenfalls könne er „keiner Schule erklären, dass sie bis jetzt einen Sozialarbeiter hatte und ab morgen nicht mehr“. Auch sein Fraktionskollege Joschka Langenbrinck beklagte sich darüber, von Scheeres nicht früh genug informiert worden zu sein: „Wir brauchen mehr und nicht weniger Sozialarbeiter“, sagte er am Montag.
Auch Schulen mit vielen sozial schwachen Schülern sind betroffen
Die Kritik wird noch dadurch verstärkt, dass keinesfalls nur sozial besser gestellte Schulen ihre Sozialarbeiter verlieren sollen, wie Scheeres im Ausschuss behauptet hatte. Vielmehr liegt der Anteil von Kindern aus Migranten- oder Hartz-IV-Familien bei etlichen von der Kürzung betroffenen Schulen bei weit über 40 Prozent. Das gilt etwa für die Friedrichshainer Ellen-Key-Schule, die zu den vom Paritätischen Wohlfahrtsverband genannten Schulen gehört. Die Bildungsverwaltung wollte die Namen der betroffenen Schulen allerdings nicht bestätigen, sondern verwies auf Gespräche zwischen der Schulaufsicht, den Jugendämtern und den Betroffenen Schulen und Trägern. Sie alle würden „die aktuelle Situation der nicht mehr förderfähigen Projekte beraten“.
In diesem Zuge dürfte auch die Situation der beiden Berufsschulen zur Sprache kommen, die von der Streichung betroffen sind. Hier werden die Sozialarbeiter vor allem in den schwierigen Klassen eingesetzt, in denen Schulabbrecher oder schwache Schulabsolventen zur Berufsbildungsreife gebracht werden sollen. In diesen Klassen ist die Quote der sozial schwachen Schüler mitunter doppelt so hoch wie an der übrigen Schule. Deshalb mache es überhaupt keinen Sinn, die Kürzung mit der Gesamtquote der Schule zu begründen, findet Pit Rulff, dessen Ernst-Litfaß-Schule eine Sozialarbeiterin hergeben soll. Der Verband der Berufsschulleitungen protestiert denn auch „aufs Stärkste“ gegen diese Streichungen, die der Vorsitzende Stefan Platzek einen „Skandal“ nannte. Sie alle hoffen jetzt nicht nur auf den Haushaltsausschuss, sondern auch auf Scheeres, die versprochen hatte, bei den Kürzungen „so behutsam wie möglich vorzugehen“.