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In Trümmern. An der Wilhelmstraße soll ein Luxus-Townhouse entstehen.
© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Bauprojekte: Wenn das Luxus-Townhouse den Plattenbau schlägt

In einem Plattenbau in der Wilhelmstraße wohnten Politiker, Sportler – und normale Mieter. Jetzt muss der prominente Bau weichen. Über Berliner Bauprojekte.

Mitten im Sommer 2013, genauer am 20. Juli, schreiben das Rentner-Ehepaar Karin und Jürgen W. an die Bundeskanzlerin „als ehemalige DDR-Bürgerin und einstige Bewohnerin der Wilhelmstraße“. Die Ws. wohnen seit 1991 in dem Wohnblock an der Ecke Behrenstraße und dachten, dieses Haus, der allerletzte in Berlin errichtete Plattenbau, sei für sie so eine Art Altersruhesitz.

Die Kanzlerin, bitten sie, solle wissen, dass geplant ist, diese „Edelplatte“ zugunsten eines Luxus-Neubaus abzureißen, „nur weil profitgierige Leute unersättlich sind“. Nun soll Angela Merkel als Ex-Nachbarin helfen, das Schlimmste zu verhindern. Fünf Wochen später bekommen Karin und Jürgen W. Post vom Bundeskanzleramt: Die Bundeskanzlerin kann nicht in der gewünschten Weise aktiv werden, denn „die stadtplanerische Entscheidung über die Gestaltung der Wilhelmstraße ist alleinige Angelegenheit der Stadt Berlin“. Und die hatte, als ihre Wohnungsbaugesellschaft Mitte anno 2004 kurz vor der Pleite stand, die Plattenbauten mit 265 Wohnungen und 16 Läden kurzerhand verkauft – an Investoren, die Neubauten planten oder Ferienwohnungen herrichteten.

Wenn ein so vertrautes Haus einfach verschwindet

Wenn Karin und Jürgen W. heute zur einstigen Behausung kommen, sehen sie vielleicht noch, wie ihr Wohnzimmer von den Zähnen einer „Longfront“ zermalmt wird. Das gefräßige Ungeheuer reicht mit seinem Ausleger bis zur Traufhöhe, es hat bereits den halben Wohnblock abgetragen. So sah es 1945 an jeder zweiten Berliner Straßenecke aus; aber heute ist Frieden im Land, und trotzdem blickt man auf leere Küchen, vergessene Blumenkästen, offene Fenster und verlassene Läden. Wer einen Trümmerfilm drehen möchte, muss sich beeilen. Bald ist das Gelände besenrein. Dann beginnt der Neubau der Wilhelmstraße 56 bis 59.

Komisch, wenn so ein vertrautes Haus mir nichts dir nichts verschwindet. Seit 1995 wohne ich quasi gegenüber. Da denkt man an Vergänglichkeit: Wie gemütlich es an der Ecke im Block House war, wie freundlich man in einem Reisebüro, das längst in der Rankestraße zu Hause ist, bei seinen ersten West-Reisen beraten wurde.

Während sich Ossis mit Anti-DDR-Hardlinern über Schauspieler in NVA-Uniformen am Brandenburger Tor oder über FDJ-Hemden stritten, blickte im russischen Devotionalienladen Väterchen Stalin streng durchs Schaufenster, Lenin gab es auch, als Gipskopf, dazu höchste Orden, Admiralsuniformen, Kampfbanner und Matrjoschkas mit Jelzins und Gorbatschows.

Künstler, Promis und Politiker

Das Haus war ja, wie alles in der einstigen Otto-Grotewohl-Straße, als Wohnblock zur Belebung der Innenstadt geplant. Mit wohnungssuchenden Mietern, inclusive jener, die sich für die DDR–Gesellschaft – auf welche Weise auch immer – verdient gemacht hatten. Künstler zogen ein und aus, auch Sport-Promis wie Kati Witt. Es gab diese seltsame Mischung aus Genossen, denen man den Blick über die Mauer zumuten konnte, und ganz normalen Menschen, die schon mal Unkraut rupften und für eine Auszeichnung mit der „Goldenen Hausnummer“ Spaten und Gießkanne in die werktätigen Hände nahmen.

Nach der Wende hätte es auf einer (fiktiven) Einwohnerversammlung eine lustige Melange gegeben: Vornweg Angela Merkel, die neben Birgit Breuel in „meinem“ Haus wohnte, dazu der Chef der DDR-Plankommission, Gerhard Schürer, der bei dieser Gelegenheit dem Genossen Schabowski dankte, dass er, ohne es zu wollen (oder doch?), die Mauer geöffnet hatte. Auch Kurt Hager genoss auf einer Bank nahe dem einstigen Führerbunker, den sie für die neue Wohnanlage weggesprengt hatten, den Glanz vom westlichen Abendsonnenschein.

Dann kamen die Politiker neuen Typs: Franz Müntefering, 500 Meter entfernt von Gerhard Schröder (der um die Ecke in der Behrenstraße wohnte), diverse Bundestagsabgeordnete – Rita Süssmuth trifft man öfter beim Italiener gegenüber dem Trümmerhaus, auch den Dichter Rolf Hochhuth. „Spiegel“-Kolumnist Alexander Osang würde den Verlauf der kuriosen Wohnblock-Sause aufschreiben - er wohnte einst in dem Eckhaus und konnte noch bis zum Reichstag gucken. Heute verdecken das Adlon, die Englische und die Amerikanische Botschaft den Blick gen Westen.

Jetzt entstehen 165 Luxus-Wohnungen

Die Gegend war beschaulich, man lebte unter sich. Eine Kaufhalle, ein paar Gaststätten – aus. Dann kamen die Touristen. Immer mehr. Sie fühlen sich in den Ferienwohnungen der Wilhelmstraße offenkundig wohl. Pilgern zum Holocaust-Mahnmal oder zum weggesprengten Führerbunker, der der Edelplatte weichen musste. Was blieb vom Ende des tausendjährigen Reichs? Nichts. Ein Parkplatz. Und eine Szene im Film „Er ist wieder da“: Die Auferstehung des A.H. fand am Originalschauplatz neben dem einstigen Bunker statt.

Es ist vieles anders geworden in den letzten Jahren. Und nun, ausgerechnet in Zeiten knappen Wohnraums, wird ein funktionsfähiges Haus zerschreddert, damit ein Investor aus Wien die Baufreiheit für ein neues Gebäude bekommt. Immerhin: Die Hilfe für die einstigen Mieter war so nobel wie die Abfindungen mit bis zu sechsstelligen Summen. 165 Wohnungen werden prunkvoll ausgestattet und haben ihren Preis: fast 500.000 Euro kostet eine Ein-Zimmer-Suite, das Townhouse ist für einen zweistelligen Millionenbetrag zu haben. „The Wilhelm“ für die Wohlhabenden mit allem Komfort.

Könnte die Sache, wenn sie Erfolg hat, wie ein Feuer auch auf die anderen Plattenbauten übergreifen, um sie zu verzehren? Was sagt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt? Dafür sei die zukünftig politisch verantwortliche Leitung zuständig. Die liegt bei den Linken. Und die waren die Einzigen, die sich um das Thema Wilhelmstraßen-Platte nicht gedrückt haben. Gute Aussichten also für die Wohnungen in der Mitte der Mitte, zumal die Bezirksverordneten im Juni für die Wohnbauten zwischen Voß- und Behrenstraße eine Verordnung beschlossen haben, nach der die Häuser mit ihren fast 1000 Wohnungen durch eine „Erhaltungssatzung“ unter Bestandsschutz stehen.

„The Wilhelm“ wird wohl ein teures Unikat bleiben. Die anderen Häuser indes sind eine betonhaltige Erinnerung an die DDR-Moderne im Wohnungsbau in einer historischen Straße. Und eine Begegnung mit dem Mysterium der sagenumwobenen „bezahlbaren Wohnungen“.

Drei Bauprojekte und ihre Realisierung

Stadt im Umbruch: Das Bild zeigt den Abriss eines Plattenbaus in Marzahn.
Stadt im Umbruch: Das Bild zeigt den Abriss eines Plattenbaus in Marzahn.
© picture-alliance / ZB

In der Mitte von Mitte entstehen verschiedene Projekte. Wie geht es mit ihnen voran? Wir stellen drei Bauvorhaben vor.

NEUBAU AM HOLOCAUST-MAHNMAL

Der Blick ist einzigartig: Das Baumwipfelmeer des Tiergartens, davor die steinernen Wogen des Holocaust-Mahnmals. Die künftigen Bewohner werden an einem politisch hochsensiblen Ort leben, entsprechend schwierig gestaltet sich auch das Bauvorhaben. Seit den 90er Jahren ist geplant, das Plattenbaucarré zwischen Wilhelmstraße und dem Mahnmal zu schließen.

Zuerst wollte die Wohnungsbaugesellschaft Mitte das selber erledigen, doch wegen hoher Schulden verkaufte sie die Plattenbauten, die auf den Grundmauern des alten preußischen Regierungsviertels errichtet wurden. Das Grundstück am Mahnmal, genauer: an der Cora-BerlinerStraße, haben zwei Privatfamilien erworben, der Münchener Projektentwickler MUC will dort ein Wohn- und Geschäftshaus mit 125 exklusiven Wohnungen errichten.

Der Bauantrag ist gestellt, doch seitdem tut sich nicht mehr viel. „Wegen der Wahlen“, vermutet MUC-Geschäftsführer Christian Ruhdorfer. Aber auch, weil es sich um einen „hochpolitischen“, weil hochsensiblen Standort handelt. Die Imbissbetreiber auf der hölzernen Promenade müssen trotzdem ihre Geschäfte räumen, bis auf einen Souvenirshop. Ende 2018 soll der Neubaublock bezugsfertig sein, nach derzeitigem Stand.

LÜCKE AM SCHIFFBAUERDAMM

Die Plattenbauten am Schiffbauerdamm in Mitte waren ein Hingucker, im negativen Sinne. Direkt an der Spree, in unmittelbarer Nähe zum neuen Regierungsviertel, stand eine banale Reihe von Plattenbauten. Die Bewohner waren froh über die schöne Aussicht, aber der Bund entschied auf Abriss, denn hier soll das „Band des Bundes“ des Architekten Axel Schultes seine östliche Vollendung finden. Die Platte ist weg, aber der sogenannte „Luisenblock Ost“ noch lange nicht in Angriff genommen.

Denn der Bund hat schon genug Probleme mit den vorhandenen Bauten. Die Vollendung des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses westlich der Luisenstraße verzögert sich wahrscheinlich bis 2020. Das Bundesamt für Bauwesen streitet sich mit dem Architekten Stephan Braunfels über zusätzliche Baukosten und den Schadensersatz für eine verpfuschte Betonabdichtung in der Bodenplatte des Hauses.

PALAIS STATT PLATTE

Nach Art déco soll die Fassade aussehen, mit Balkonen und Markisen. Von einem „Stadtpalais“ ist die Rede, die 165 „möblierten Wohneinheiten“ sind für eine halbe Million aufwärts zu kaufen. Dafür gibt es einen Concièrge-Service fast wie im Hotel. 2018 soll der Neubau auf dem Grundriss des abgerissenen Plattenriegels Wilhelmstraße Nummer 56-59 fertig sein.

Verantwortlich ist das Architekturbüro Patzschke und Schwebel, das auch das Adlon nebenan gebaut hat. Hinter dem Projekt steht die österreichische Firma MDF Investments. Ein dreistelliger Millionenbetrag soll investiert werden. Das Projekt ist zum Verkaufsstart „The Wilhelm“ getauft worden. Das Motto: „Luxury meets savoir vivre“, mehr unter www.the-wilhelm.de.

Nach langem Streit zwischen Bezirk, Eigentümer und Mietern hatte sich der Eigentümer durchgesetzt. Die letzten Mieter waren mit hohen Summen zum Auszug bewegt worden. Nachhaltig ist das Bauvorhaben nicht. Die Platten waren erst Anfang der 90er Jahre fertiggestellt worden. Im Alter von 25 Jahren ist normalerweise die erste Sanierung fällig, kaum der Abriss.

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