Sozialsenatorin Breitenbach im Interview: Weniger Geflüchtete, mehr Ausgaben für Berliner Unterkünfte?
Berlins Sozialsenatorin beantragt weitere 110 Millionen Euro für Geflüchtetenunterkünfte. Wegen der Coronakrise seien die Kosten gestiegen, erklärt sie.
Frau Breitenbach, warum brauchen Sie mehr Geld für die Unterbringung von Geflüchteten, obwohl weniger Menschen in Berlin ankommen?
Es geht in erster Linie darum, geflüchtete Menschen gut und sicher unterzubringen und sie vor der Pandemie zu schützen. Denn eine sichere Unterkunft für Geflüchtete gehört zu unserer Willkommenskultur. Und in Zeiten der Pandemie stehen wir vor neuen Herausforderungen. Zu den Zahlen: Im Jahr 2019 kamen 6.360 Geflüchtete nach Berlin. Bis Oktober diesen Jahres registrierten wir 3.697 Geflüchtete. Pro Werktag sind das im Durchschnitt 40 und 60 Menschen. Und im Dezember erwarten wir wie jedes Jahr erneut mehr Geflüchtete.
Trotzdem wollen Sie im Nachtragshaushalt für 2020 und 2021 jeweils 110 Millionen Euro zusätzlich bewilligt bekommen. Warum?
Den jetzigen Haushalt für die Jahre 2020/21 hatten wir 2018 vorbereitet. Die Zahlen beruhten damals auf Prognosen, wie viele Geflüchtete nach Berlin kommen könnten. Dann kam die Pandemie, und die trifft den Sozialbereich und die Geflüchteten natürlich genauso wie alle anderen Bereiche und Menschen.
Es gibt Personalausfälle in den Behörden wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dadurch verlängern sich Bearbeitungszeiten für Asylanträge um mehrere Monate. Wir rechnen allein mit etwa 50 Millionen Euro mehr bei den Unterkunftskosten. Geflüchtete müssen länger in den Unterkünften bleiben, weil sie zum Beispiel keine Wohnung finden. Wir rechnen weiterhin mit 21,4 Millionen Euro, die als staatlich zugesicherte Leistungen an Geflüchtete gezahlt werden müssen.
Gibt es weitere Mehrausgaben aufgrund der Corona-Pandemie?
Im Nachtragshaushalt werden die pandemisch bedingten Mehrkosten aufgenommen. Ein Beispiel: Wir mussten Tempohomes wieder in Betrieb nehmen, wie zum Beispiel die Gemeinschaftsunterkunft an der Buchholzer Straße, die eine Quarantäneunterkunft für etwa 200 Menschen geworden ist. Neben positiv getesteten Menschen und deren Angehörigen arbeiten dort Ärzte und medizinisches Personal. Wir brauchen dort eine eigene soziale und medizinische Versorgung, Transporte für Betroffene und einen Betreiber. Das alles kostet Geld, das wir vorher gar nicht einplanen konnten.
Und wir konnten auch nicht voraussehen, dass eine Flüchtlingseinrichtung wie in Kreuzberg vor einigen Wochen komplett unter Quarantäne gestellt werden musste, weil es dort mehrere Covid-19-Fälle gab. Diese Menschen müssen verstärkt versorgt werden, zum Beispiel mit angeliefertem Essen. Wir müssen diese Versorgung sicherstellen. Außerdem haben wir wegen Corona angefangen, die Belegung in den Unterkünften zu verändern, um die Geflüchteten besser zu schützen.
Ist das die sogenannte Entzerrungsstrategie des Senats?
So ist es. Wir haben Betreiber gefragt, ob sie in den Unterkünften Menschen mit Vorerkrankungen haben. Wir haben diesen Leuten eine andere Unterkunft angeboten, in der sie nicht so eng zusammenleben müssen. In einem freigezogenen Tempohome in Marzahn-Hellersdorf wurden diese Menschen untergebracht. Auch dafür musste ein Betreiber gesucht werden. Daraus entstehen Mehrkosten.
[Die Gesprächspartnerin: Elke Breitenbach gehört der Partei Die Linke an und ist seit 2016 Senatorin für Arbeit, Soziales und Integration in Berlin.]
Aber kostet das alles 110 Millionen Euro in diesem und nächsten Jahr mehr?
Moment, es geht weiter: Für den Quarantänestandort in der Buchholzer Straße werden wir im Jahr 2020 Gesamtausgaben von mehr als drei Millionen Euro haben. Wir hatten vor der Pandemie eigentlich geplant, Tempohomes zu bauen und die Grundstücke zu räumen. Aber das können wir gerade nicht, weil wir nicht wissen, was wegen der Pandemie noch alles auf uns zukommt.
Mit wie viel Geld hatten Sie ursprünglich für die Unterbringung geplant?
Wir haben für die Jahre 2020 und 2021 rund 330 Millionen Euro für Unterbringungs- und Personalkosten geplant.
Die Finanzverwaltung hält ihnen vor, falsch kalkuliert zu haben.
Ich kenne keine Vorhaltungen. Unser Bedarf im Nachtragshaushalt ist mit der Finanzverwaltung abgestimmt. Allen ist doch klar: Die Ausgaben sind wegen Corona gestiegen. Wir haben zum Beispiel eine Regelung mit den Betreibern, dass sie nicht alle Plätze belegen müssen. Wir leben in einer Pandemie und dürfen die Menschen nicht mehr eng an eng wohnen lassen. Wir müssen Abstand gewährleisten!
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Das alles kostet viel Geld. In Ankunftszentren und Unterkünften leben Menschen, die positiv mit Covid-19 getestet werden und in Quarantäne müssen. Und wenn Gesundheitsämter dann ganze Unterkünfte unter Quarantäne stellen, können wir auch in die Situation geraten, Hotels anmieten zu müssen. Wir alle wissen noch nicht, was auf uns zukommt.
Wie viele Menschen sind derzeit in Unterkünften untergebracht?
Momentan leben etwa 18.800 Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften der Stadt. Etwa die Hälfte von ihnen hat ein abgeschlossenes Asylverfahren und könnte in einer Wohnung leben. Sie bleiben jedoch weiter in den Unterkünften, weil die Bezirke sie nicht anderweitig unterbringen können. In den Unterkünften leben auch abgelehnte Asylbewerber, die zurzeit nicht abgeschoben werden, weil in ihren Herkunftsländern Krieg herrscht.
Wie viele Flüchtlingsunterkünfte gibt es zurzeit?
Wir haben insgesamt 81 Gemeinschaftsunterkünfte und zehn Erstaufnahmeeinrichtungen. Wir sprechen nach wie vor mit den Bezirken über Grundstücke für Flüchtlingsunterkünfte. Die Kooperationsbereitschaft ist sehr unterschiedlich. In langen Verhandlungen ist es uns gelungen, zum Beispiel eine Gemeinschaftsunterkunft zu planen, obwohl Anwohner dort befürchten, dass ihr Biergarten dann zu viel Schatten bekommt.
Eines ist doch aber klar: Wir brauchen weitere modulare Flüchtlingsunterkünfte, von denen bereits 19 in Betrieb und 50 weitere geplant sind, denn die Flächen der bisherigen Tempohomes und Containerdörfer auf Zeit haben viele Bezirke fest eingeplant für den Bau von Schulen und Kitas.
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