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Bei der Quarantäne-Unterkunft handelt es sich um sogenannte Tempohomes.
© Bernd von Jutrczenka/dpa
Update

Nach Corona-Ausbruch in Berlin-Buch: 28 infizierte Geflüchtete werden in Quarantäne-Unterkunft verlegt

28 Menschen haben sich in einer Flüchtlingsunterkunft in Buch infiziert, viele weitere hatten Kontakt. Der Flüchtlingsrat kritisiert die Unterbringung.

„Viele Geflüchtete sind total verunsichert“, sagt Nora Brezger. „Sie bekommen manche Informationen nur in deutscher Sprache. Sie sehen, dass das Personal nur noch in voller Schutzkleidung das Heim betritt, sie selbst haben aber nur einen Mundschutz. Vor allem wissen sie nicht, wer krank und wer gesund ist, was bei Gemeinschaftsküchen und -toiletten ein großes Problem ist.“

Nora Brezger arbeitet beim Flüchtlingsrat Berlin. In den vergangenen Tagen haben nicht nur Bewohner einer Unterkunft in Berlin-Buch, in der mindestens 28 Menschen mit dem Coronavirus infiziert sind, bei ihr angerufen, sondern auch Familienhelfer, die sich große Sorgen machen.

Die Situation sei schon ernst, sagt auch der Sprecher der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Stefan Strauß. Allerdings habe man zahlreiche Maßnahmen entwickelt, um die Bewohner der Flüchtlingsunterkünfte besser über Corona zu informieren und zu schützen. So gebe es Informationen in 14 Sprachen.

Unterdessen wurden am Sonnabendvormittag weitere 22 Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind oder als Kontaktpersonen gelten, aus der betroffenen Einrichtung in Berlin-Buch in die spezielle Quarantäne-Unterkunft des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Pankow verlegt.

Etwa 40 Infizierte bleiben in Buchener Unterkunft

39 Personen aus der Bucher Unterkunft sind bereits seit dem vergangenen Mittwoch dort untergebracht – darunter drei positiv Getestete. Die anderen wurden vom Gesundheitsamt Pankow als Kontaktpersonen der Kategorie 1 eingestuft.

„Für die übrigen etwa 40 Infizierten und Kontaktpersonen aus der Unterkunft in Buch, in der zurzeit 407 Menschen leben, sieht das Gesundheitsamt die Möglichkeit, sie in ihrer gewohnten Umgebung zu separieren“, sagt Stefan Strauß. Ihre Wohnungen würden sich im Erdgeschoss befinden und über eigene Sanitärbereiche verfügen. Ein Caterer versorge die Betroffenen mit drei Mahlzeiten täglich, Dinge des täglichen Bedarfs könnten beim Betreiber der Einrichtung bestellt werden.

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Es sei nicht zu erwarten, dass kurzzeitig weitere Fälle hinzukämen, da die entsprechende Testreihe des Gesundheitsamts erst einmal abgeschlossen sei, hieß es am Sonnabend. Allerdings würden die Mitarbeiter und das Sicherheitspersonal erst in der kommenden Woche getestet. Warum das so ist, könne nur das zuständige Gesundheitsamt sagen.

Bei der Verlegung in die Quarantäne-Unterkunft würde natürlich darauf geachtet, dass Familien nicht getrennt würden, sagt Sprecher Stefan Strauß: „Bei der Quarantäne-Einrichtung an der Buchholzer Straße handelt es sich um ein sogenanntes Tempohome, das den Vorteil abgeschlossener Wohn-Appartements mit eigener Küche sowie eigenem Bad und WC bietet.“

Mehrsprachige Ärzte und Pflegekräfte in Quarantäne-Unterkunft

Außerdem gehörten mehrsprachige Ärzte und Pflegekräfte zum Personal, sodass akute Covid 19-Fälle und deren Kontaktpersonen für die Quarantäne-Zeit gut versorgt seien.

Nach Angaben der Senatsverwaltung befinden sich derzeit 78 Menschen in der ehemaligen Gemeinschaftsunterkunft, die im Sommer 2019 geschlossen worden war.

In den Unterkünften des LAF leben zurzeit etwa 20.000 Personen. Seit der 12. Kalenderwoche dieses Jahres sind dort insgesamt 104 Personen positiv auf das Coronavirus getestet worden.

Aktuell gibt es in allen Berliner Flüchtlingsunterkünften 36 positiv getestete Menschen – davon allein 28 in der Bucher Unterkunft. Was die Ursache des massiven Ausbruchs ist – dafür hat derzeit niemand eine Erklärung. Die Einrichtung wurde bisher von der gemeinnützigen Stephanus-Stiftung unter dem Dachverband der Diakonie offenbar sehr verantwortungsbewusst betrieben.

Allerdings stehe in Kürze ein Betreiberwechsel an, kritisiert der Flüchtlingsrat Berlin. Ausgerechnet der wegen Misshandlungsvorwürfen in Flüchtlingsunterkünften in Nordrhein-Westfalen ins Gerede gekommene Heimbetreiber European Homecare soll die Bucher Einrichtung übernehmen.

„Das könnte die Unsicherheit vieler Geflüchteter noch weiter verstärken“, befürchtet Nora Brezger. „Wir erleben ja oft, dass private Betreiber es mit der Fürsorgepflicht nicht so genau nehmen.“

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Der Flüchtlingsrat fordert seit Wochen, dass zumindest keine Risikopatienten mehr in den Gemeinschaftseinrichtungen untergebracht werden. „Auch im betroffenen Heim in Buch gibt es beispielsweise einen Mann, der nach einer überstandenen Herzoperation wieder in die Unterkunft zurück musste“, sagt Brezger.

Aber auch Geflüchtete, die in sozialen Berufen oder im Gesundheitswesen arbeiten, sollten privat untergebracht werden – wegen der möglicherweise dramatischen Folgen. Im April war beispielsweise eine Flüchtlingswohnanlage mit 116 Bewohnern in Potsdam unter Quarantäne gestellt worden: Eine Mutter, die Mitarbeiterin im stark Corona-betroffenen Bergmann-Klinikum war, hatte sich dort infiziert und danach ihre siebenköpfige Familie in der Wohnanlage angesteckt.

Risikogruppen können in neue Unterkünfte umziehen

Die Senatsverwaltung für Integration habe bereits die laut Robert-Koch-Institut festgelegten Risikogruppen in den Flüchtlingsunterkünften ermittelt, sagt Stefan Strauß. Man werde ihnen anbieten, „im Rahmen eines Entzerrungskonzeptes, das geringere Belegungsdichte in Unterkünften und somit verringerte Infektionsgefahr bedeute, neue Unterkünfte zu beziehen“.

Dabei handele es sich um zurzeit ungenutzte Flüchtlingseinrichtungen des LAF, die wegen ihrer separaten Wohnstruktur für Risikogruppen und Familien gut geeignet sind. Dieses Konzept werde schrittweise umgesetzt.

Dem Flüchtlingsrat geht das nicht schnell und nicht weit genug. Gemeinschaftsunterkünfte seien immer bedenklich, aber in Zeiten von Pandemien gänzlich ungeeignet, um Menschen eine sichere Obhut zu geben, sagt Brezger.

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