Ex-Straßenkinder treffen William und Kate: Weit weg von Kensington Palace
Yvi und Kim lebten auf der Straße. In Marzahn trafen sie William und Kate – und erzählten, wie sie mit Hilfe wieder Halt fanden.
Wer Menschen gern in Schubladen einsortiert, wird an Yvi und Kim verzweifeln. Die eine trägt ein elegantes schwarz-weißes Kleid, die Haare geflochten. Die andere hat quietschbunte Haare, Piercing in der Nase, Tunnel im Ohr. Beide lachen sie herzlich – und könnten, jede auf ihre Weise, glatt als Betreuerinnen im Kinder- und Jugendhaus „Bolle“ durchgehen. Dabei hat Yvi gerade erst ihr Abi nachgeholt, und das mit 1,1, während Kim eine Ausbildung zur Altenpflegerin macht. Hier in Marzahn sind sie nur, um mit dem Herzog und der Herzogin von Cambridge zu reden. Weil sie vor kurzem noch waren, was ihnen auf den ersten Blick heute niemand mehr abnehmen würde: Straßenkinder.
Ein paar Minuten haben Yvi und Kim am Mittwoch mit William und Kate auf einem Sofa zusammengesessen und ihre Geschichte erzählt. Wie sie erst obdachlos wurden und was ihnen dann wieder Halt im Leben gab. Die kurze Begegnung fand abgeschirmt von der Öffentlichkeit statt. Es sind Lebenswege, die inspirieren können – aber auch erschüttern. „Die meisten Leute, mit denen ich auf der Straße zu tun hatte“, sagt die 21-jährige Yvi später, „sind jetzt tot.“
Und das liegt noch nicht lange zurück. „Im Januar 2014 kam ich auf die Straße, da war ich 17“, erzählt sie. Sie wollte raus aus Bayern, reiste nach Schweden, weil sie dort überall im Freien übernachten durfte, das Jedermannsrecht. „Als es zu kalt wurde, bin ich nach Berlin gekommen und habe unter einer Brücke am Hauptbahnhof gelebt.“ Zweimal am Tag holte sich Yvi bei der Bahnhofsmission etwas zu essen. Eine Mitarbeiterin stellte den Kontakt zum Verein „Straßenkinder“ her, der auch Träger des Bolle-Hauses ist. Eine Streetworkerin begleitete sie zu Behörden, um Hilfe zu organisieren, und fing sie auch menschlich auf.
Kim erging es ähnlich. Mit 17 wurde sie zu Hause rausgeworfen, kam über Hessen im Oktober 2015 nach Berlin. Nach ein paar Wochen schon traf sie einen anderen Obdachlosen, der zum Straßenkinder-Verein wollte – und sie einfach mitnahm. Seitdem pendelt sie hin und her, bekommt mal einen Heimplatz und muss wieder raus. Im Augenblick ist sie untergebracht, aber sucht dringend eine Wohnung auf Dauer. „Viele Vermieter sind so oberflächlich“, sagt die 20-Jährige und zeigt auf ihre Piercings.
Schon ein Bett in einer Unterkunft zu ergattern, ist ein Kampf und ein Geduldsspiel. Yvi kennt das genauso. „Du stehst da, aber bekommst einfach nichts. Es ist alles voll.“ Ihr half nach einem halben Jahr eine Frau, die ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe arbeitet und Yvi bei sich aufnahm.
„Wir haben zwar einen Sozialstaat, aber es läuft halt nicht.“ Ohne freiwilliges Engagement könnten die Behörden mitunter nicht mal das Nötigste bereitstellen, beklagt Yvi. Vielleicht, sagt sie, gebe die britische Visite ja den Anstoß, daran etwas zu ändern. Inzwischen lebt Yvi mit ihrer zweijährigen Tochter in einer eigenen Wohnung. Sie geht kellnern, arbeitet bei „Moabit hilft“ mit, will ab Oktober studieren. Jura oder Psychologie, vielleicht auch Soziale Arbeit. „Dankbar“ sei sie, alles überstanden zu haben, und motiviert, das Beste aus ihrem neuen Leben zu machen.
Das ist weit weg vom Kensington Palace. Trotzdem waren beide angetan von ihrem Treffen mit William und Kate. „Die haben echt interessiert geguckt“, heißt das in Kims Worten. Der Prinz wollte auch wissen, ob die Obdachlosigkeit Spuren in ihrer Seele hinterlassen hat. Sie sieht das genau andersherum: „Ich bin durch die Straße eher klarer als zuvor.“