Leerstand und Verfall: Was wird aus der ehemaligen Stasi-Zentrale?
Das Gelände um das Stasi-Museum soll ein „Campus der Demokratie“ werden. Doch das riesige Areal ist teils in privater Hand – und vieles verfällt.
Die Stasi vernichtete Akten, die heutige Regierung lässt die Gebäude abreißen, in denen sich die Akten befanden. Bund, Berlin, private Investoren und Historiker streiten um das Areal der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
Neben dem Massivholzschreibtisch des ehemaligen Stasi-Ministers Erich Mielke steht noch der Aktenvernichter vom Typ „Intimus Impuls“. „Da, hinten in der Ecke!“ Jörg Drieselmann, Leiter des Stasi-Museums in der Ruschestraße 103, zeigt auf den Aktenvernichter wie auf einen Tatort.
Das Museum ist eines der wenigen Gebäude auf dem 180 000 Quadratmeter großen Gelände, das frei zugänglich ist. 60 000 Quadratmeter stehen leer. Zu ihren größten Zeiten beschäftigte die Stasi hier 90 000 hauptamtliche Mitarbeiter, dazu noch einmal doppelt so viele inoffizielle.
Heute zeigt das Museum hier Abhörtechnik, Verhörmethoden und Mielkes Arbeitsräume im typischen DDR-Stil: urig, aufgeräumt, fast schon gemütlich, etwas ulkig. Von hier aus befehligte und überwachte der Chef des wohl größten Geheimdienstes der Welt seine Leute, die ihrerseits das eigene Volk bespitzelten und überwachten.
Neben Bund und Land gehören rund 40 Prozent der Gebäude auf dem Gelände einem Privatunternehmen, der Aris Immobiliengesellschaft mbH, verwaltet durch die Berliner Gesellschaft für Vermögensverwaltung mbH. Beide Firmen waren für den Tagesspiegel trotz mehrfacher Anfragen nicht zu sprechen.
Ein Ärztezentrum, eine Bank, Büros im Originalzustand, ein Kinosaal
In einem Gebäude befindet sich ein Ärztezentrum, in einem anderen eine Bank. Vieles steht seit mehr als 30 Jahren leer, wie zum Beispiel Haus 15 und 18. Dort gibt es noch Büros im Originalzustand und den Stasi-Kinosaal. Die Behörde des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“, kurz BStU, unter Leitung des früheren DDR-Bürgerrechtlers Roland Jahn, schließt nicht aus, dass sich noch bisher unbekannte Stasi-Unterlagen auf dem Gelände befinden könnten.
Wenn es nach Drieselmann geht, sollte das Areal weiterhin museal erschlossen werden. Früher hatte die Deutsche Bahn hier Büros, zog dann aus und verkaufte 2011 an die Aris – wenige Tage, bevor das Areal Sanierungsgebiet wurde, danach hätte der Deal gar nicht mehr in dieser Form stattfinden können.
Weshalb wurde das Gelände so preiswert abgegeben?
Die Höhe des Kaufpreises ist nicht bekannt. Aus verschiedenen Quellen heißt es, es habe sich um einen Euro gehandelt. Auf die Frage, warum sie denn das Gelände so preiswert abgegeben habe, schrieb die Bahn dem Tagesspiegel bereits 2017, dazu könne sie keine Mitteilung machen.
Drieselmann lehnt sich auf Mielkes Schreibtisch und sagt, er hätte die Gebäude gerne von der Bahn gekauft damals, und dies seinem Ansprechpartner bei der Bahn auch mitgeteilt. Drieselmann kämpft gegen die Sanierungsarbeiten im Inneren der Gebäude wie auf dem Gelände. Eine gut erhaltene Telefonanlage musste einer Brandschutztreppe weichen. „Das tut natürlich weh.“
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe der Stasi wird abgerissen
Draußen sind zwei Bagger mit dem Abriss von Haus 6 beschäftigt, gleich hinter dem Museum. Dort war die zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe der Stasi. Für Drieselmann eines der wichtigsten Gebäude. Dass es die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) abreißen lässt, versteht er nicht.
In diesem Haus sei ein enormer Aktenbestand angewachsen. Da saßen früher die Analytiker der Stasi und sammelten Material, erstellten Prognosen über künftiges Verhalten von Personen. Die DDR-Bevölkerung wurde kartografiert wie Bäume in einem Wald – und vermerkt, welche von ihnen befallen waren. Kritik am Sozialismus sollte im Keim erstickt werden.
Theaterstück anlässlich des 30. Jahrestages der Stasi-Erstürmung
Vom Balkon des siebten Stocks des Museums blickt der Historiker Christian Booß auf die Abrissarbeiten am Haus 6. Er ist Vorsitzender des Vereins „Bürgerkomitee 15. Januar“, hat hier sein kleines, vollgestopftes Büro. Auch Booß hat so seine Probleme mit dem BStU. Anlässlich des 30. Jahrestages der Stasi-Erstürmung an diesem Mittwoch hat sein Verein ein Theaterstück auf dem Gelände geplant, bereits organisiert und beworben.
Der BStU hatte dem zugestimmt. Doch wenig später erfuhr Booß aus der Zeitung, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Tag kommen wird. Anwohner wurden aufgefordert, das Areal zu meiden und ihre Autos nicht dort zu parken.
Booß teilte der BStU mit, dass er eventuell sein Büro nicht betreten könne. Dabei sollen sich dort die Schauspieler für das Theaterstück umziehen. Booß wollte schon Räume im benachbarten Rathaus mieten, erhielt dann jedoch einen Anruf von der BStU und ist nun wieder zuversichtlich, dass alles wie geplant über die Bühne gehen kann. Der Besuch des Bundespräsidenten wird trotzdem das Programm bestimmen.
Booß hält den Abriss für rechtswidrig
Der BStU wolle ohnehin alles im Haus bestimmen, schimpft Booß. So auch beim Abriss von Haus 6. Der Bund sagt, das Haus sei baufällig. Booß sieht das anders. Wenn so ein intaktes Haus abgerissen werden muss, müsse man halb Berlin abreißen, meint er.
Im Keller befand sich eine Telefonanlage der Stasi, die irgendwann einfach herausgerissen wurde und zwei Tage auf der Straße lag, bevor sie entsorgt wurde.
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Booß hält den Abriss für rechtswidrig. Im Sanierungsplan steht nichts von Neubau, sondern von Sanierung. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen widerspricht: Das Gebäude unterliege keiner faktischen Erhaltungsverpflichtung, das Sanierungsziel ließe sich auch in einem Neubau verwirklichen. Für die Liegenschaft sei Wohnen oder Verwaltung vorgegeben.
„Um die Dimensionen des Stasiapparats begreiflich zu machen, muss man die Dimensionen des Areals erhalten“
Booß steht vor den Baggern und schüttelt den Kopf. „Wenn man die Dimensionen des Stasiapparats begreiflich machen möchte, muss man die Dimensionen des Areals erhalten.“ Er befürchtet, dass Besucher denken könnten, hier hätte Mielke mit ein paar Genossen in einem Raum gehockt, und das sei die Stasi gewesen. Klar könne man die enorme Größe der Stasi im Museum nachlesen, aber dieses Areal erfasse wie kein anderes die Ausmaße auf visuelle Weise.
Seit 2012 besteht die Idee, das Gelände zu einem „Campus für Demokratie“ zu entwickeln. Ein Ort, der die gesellschaftliche Dynamik zwischen Diktatur und Demokratie reflektieren soll. Seitdem gab es einige Runde Tische zum Thema, immer wieder wird diskutiert. Doch es geht nur schleppend voran.
Ein Campus für Demokratie
Auch deswegen, weil der Bund die Gebäude von der Aris kaufen müsste. „Es passiert viel, aber langsamer, als es der Bürger versteht“, sagt Udo Dittfurth, seit 2018 Standortmanager des Geländes im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Diese gibt als Ziel für Ergebnisse der Planung das erste Quartal 2020 an. Ein Bebauungsplan soll erstellt und ein städtebauliches Verfahren in Gang gesetzt werden. Ein bauhistorisches Gutachten sei in Arbeit, ein Verkehrskonzept in Vorbereitung.
Der Bund hat bereits das Haus mit dem ehemaligen Offizierskasino von der Aris für rund 1,4 Millionen Euro gekauft. Die Immobiliengesellschaft könnte den Rest ihres Besitzes jederzeit weiterverkaufen oder vermieten. Da es sich um ein Sanierungsgebiet handelt, müsse die Nutzung aber mit dem Bezirk Lichtenberg abgestimmt werden, sagt Dittfurth. So, wie es jetzt ist, sei es jedenfalls kein Zustand. Es werde selbstverständlich auch in Betracht gezogen, weitere Gebäude abzureißen.
Berliner Senat hat dem Verkauf von Grundstücken auf dem Gelände an den Bund noch nicht zugestimmt
„Die Eigentümerstruktur auf dem gesamten Gelände ist vielfältig und erschwert die Entwicklung“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Kultur und Europa von Klaus Lederer (Linke). Roland Jahn und das Bundesarchiv haben die Absicht, ein Archivzentrum mit damit verbundenen Forschungs-, Restaurierungs- und Bildungseinrichtungen zu errichten. Der Bundestag hat das im Grundsatz beschlossen.
Der Berliner Senat hat dem Verkauf von Grundstücken auf dem Gelände an den Bund noch nicht zugestimmt. Die Senatskulturverwaltung unterstützt das Vorhaben von Jahn, doch sei „noch nicht klar, welche Flächen der Bund nutzen möchte“. Sollte der Bund Bedarf für Gebäude anmelden, die derzeit dem Land Berlin gehören, sei man bereit, zu veräußern, „am besten im Austausch für andere Flächen auf dem Areal“.
Dem Senat sei es ein Anliegen, dass auf dem Gelände das von der Robert-Havemann-Gesellschaft konzipierte „Forum Opposition und Widerstand im Alltag einer Diktatur – 1945 bis 1990“ Platz findet. Dazu laufen derzeit Gespräche.
„Forum Opposition und Widerstand im Alltag einer Diktatur – 1945 bis 1990“
Bereits 2013 waren mal Ateliers in der Frankfurter Allee 187 geplant, dann hieß es, hier sollen Teile des Archivzentrums von Jahn hin. Auch dieses Haus steht seit Jahren leer und gehört seit 2010 der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM).
Im September wurde es kurzzeitig von Aktivisten besetzt, die eine Zwischennutzung fordern, zum Beispiel für ein Soziales Zentrum. Laut Daniel Wesener, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hat es bisher keinen konkreten Vorgang in Senat oder Abgeordnetenhaus betreffs einer Übertragung der Liegenschaften an den Bund gegeben. Ein Verkauf dürfte sich ohnehin bis zu drei Jahre hinziehen.
Über den riesigen Parkplatz vor dem Stasi-Museum schupst der Wind einen Zettel hin zur viel befahrenen Frankfurter Allee.