Gentrifizierung in Berlin-Friedrichshain: Was wird aus den Künstlern im alten Postgebäude?
In einem ehemaligen Postgebäude in Friedrichshain sollen Büros für Start-Ups entstehen. Dafür müssen fast 50 Künstler ausziehen. Erstmal gibt es jedoch eine Kunstauktion mit Party.
Die Proberäume im Keller wurden teilweise schon geräumt. Auch in den oberen Stockwerken bereiten sich die Künstler auf ihren Auszug vor. Sie sind Maler, Grafiker, Fotografen und Musiker. Bereits seit 2003 arbeiten 40-50 Künstler in dem Atelierhaus „Postost“ in der Palisadenstraße 89 in Friedrichshain – Ende August müssen sie ausziehen. Ob sie nach der Sanierung des Gebäudes durch den Eigentümer wieder einziehen dürfen, wird derzeit verhandelt.
Am Samstag werden sie erstmal ihren Abschied „feiern“: Bands aus dem Haus sollen spielen und künstlerische Arbeiten bei einer Kunstauktion versteigert werden. „Uns ist gekündigt worden, um Platz für Investorenpläne zu machen. Schlussverkauf! Alles muss raus!“, heißt es in der Einladung mit dem Titel „Auf Wiedersehen postarica.“ Auch Kulturstaatssekretär Tim Renner hat sich für Samstag angekündigt.
Das hier Kunst gemacht wird, sieht man dem Gebäude von außen auf den ersten Blick nicht unbedingt sofort an. Das frühere Postgebäude sowie das angrenzende Hochhaus gehörten einst der Deutschen Telekom. Nun gehört alles einer Eigentümergesellschaft. Einer der Teilhaber dieser Gesellschaft ist Udo Schloemer. Der ist auch Gründer und CEO der „Factory Berlin“ – diese wird die Gebäude in der Palisadenstraße mieten. Factory will Start-Up-Gründer mit der etablierten Wirtschaft verbinden und bietet eingerichtete Büros, Catering, Reinigungsservice. Sie vermittelt Steuerberater und Rechtsanwälte, in den Gebäuden kann Sport und Fitness betrieben werden. Ziel ist, dass sich die Gründer auf ihre Produkte konzentrieren können. Bis Ende 2019 will man auf 500.000 Quadratmeter wachsen. Die Factory zwischen Rheinsberger und Bernauer Straße in Mitte misst 20.000 Quadratmeter. Twitter und Uber haben hier Büros. Im Juli eröffnete eine zweite Factory am Tempelhofer Ufer.
Vielleicht könnte es in diesem Fall anders laufen
Auch in der Palisadenstraße werden Künstler der alten Schule durch „Kreative“ der neuen Schule ersetzt. Solche, die darauf angewiesen sind, wenig Miete zu zahlen, weichen denen, die mehr Miete bezahlen können. Bisher zahlen die Künstler vier bis sechs Euro pro Quadratmeter, die neue Miete wird wohl bis zu 18 Euro betragen. Klingt nach klassischer Gentrifizierung. Jedoch könnte in diesem Fall ein Kompromiss gefunden werden: Künstler, Senat und Vermieter stehen in „guten Verhandlungen“, wie es von allen Seiten heißt. Factory-Geschäftsführer Philipp Scharff ist oft vor Ort und redet mit Alexander Callsen, Verwalter des Künstlerkollektiv PostBerlin. Er sagt, die Entscheidung liege beim Senat. Man sei sehr daran interessiert, die Künstler im Haus zu behalten und es sei eine Frage der Finanzierung. Man müsse eine Subventionierung bekommen, um den Erhalt von PostBerlin gewährleisten zu können. Ateliers und Bürogebäude könnten dann „koexistieren“.
Dazu soll auf dem Dach des Gebäudes ein Aufbau entstehen, dort könnten die Künstler Platz finden. Diese müssen in jedem Fall zunächst aus-, und könnten nach der Sanierung wieder einziehen. Alexander Callsen ist daher zurzeit auf Wohnungssuche. Er wohnt als einziger der Künstler auch in dem Atelierhaus und hofft auf eine Einigung. „Wir sind sicher, noch auf mehrere Jahre ein zuverlässiger und bereichernder Mieter der ehemaligen Post zu sein.“ Unterstützt werden die Künstler von der Initiative AbBA, der „Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser“. Sie setzt sich dafür ein, Arbeitsplätze für Künstler zu erhalten, und zwar „bezahlbar, langfristig, vielfältig und innerstädtisch“. In den letzten drei Jahren wurden mehr als fünf Atelierstandorte mit über 150 Künstlern von privaten Eigentümern geschlossen. Zahlreiche Standorte sind in ihrer Existenz bedroht.
Renner: Berlin braucht engagierte Eigentümer und Unternehmen
Zehn Atelierhäuser mit über 500 Künstlern haben sich daher zu AbBA zusammengeschlossen. Die Gemeinschaft wächst ständig. Gleichzeitig existieren die Hälfte der Atelierhäuser, die bei der Gründung von AbBA dabei waren, schon nicht mehr. Sie wollen „gemeinsam gegen den Ateliernotstand in Berlin kämpfen“. Im Fall von PostOst heißt es eher verhandeln und hoffen. Zum einen auf die Gutmütigkeit des Eigentümers, zum anderen auf den Senat, dass dieser Geld gibt. Der Aufbau müsste wenigstens teilweise von der Stadt finanziert werden. Die Künstler und AbBA haben einen „Letter of Intend“ verfasst, darin legen sie ihre Anliegen da. Derzeit warten sie auf eine Unterschrift der „Factory Berlin“, damit das Schreiben dem Kultursenat vorgelegt werden kann. „Die Idee ist, aus der Not eine Tugend zu machen. Berlin braucht engagierte Eigentümer und Unternehmen, die zeigen, dass die Kunst und die Start Up-Szene zusammen gehören“, sagt Florian Schmidt, der sogenannte Atelierbeauftragten der Stadt Berlin.
Das Besondere an dem Gebäude in der Palisadenstraße sei, dass es in einem Wohngebiet liegt. „Hier können Ateliers nur entstehen, wenn sie einen kulturellen und sozialen Aspekt haben und nicht das gewerbliche im Vordergrund steht.“ Daher werde aktuell daran gearbeitet, gemeinsam mit dem Bezirksamt für Kultur eine Kooperation mit einer modernen Bibliothek aufzubauen. „Dies könnte dem Gesamtprojekt, einschließlich den Start Up´s einen sehr innovativen Charakter geben und die Genehmigungsfähigkeit verbessern.“ Anfang August wird Atelierbeauftragter Schmidt gemeinsam mit AbBA seinen Masterplan für 2000 neue Ateliers vorstellen. Eine zentrale Forderung: die Einrichtung eines Bau-Zuschussprogramms für selbstverwaltete Atelierhäuser. „Berlin wächst und neben allen positiven Effekten gibt es gelegentlich Konflikte und Verdrängung“, sagt Kulturstaatssekretär Renner.
Die Palisadenstraße 89 sei leider kein Einzelfall, die Situation aber doch eine besondere: Freie Künstler und Kreative stehen in einem Wettbewerb um Flächen. Die Stadt Berlin setze sich für den Verbleib der Künstler am Standort ein. Man führe Gespräche mit ihnen und dem neuen Eigentümer und versuche, einen Kompromiss zu finden, der auch „eine Lösung der Finanzierungsfrage impliziert“. Bei privaten Liegenschaften sei man immer auf die Kooperationsbereitschaft und den Willen der Eigentümer angewiesen, Räume für Künstler zu erhalten. „Denn Berlin verdankt Image und Ausstrahlung wesentlich den Künstlerinnen und Künstlern der Stadt. Als Pioniere haben sie auf Freiflächen Stadtentwicklung gelebt und Berlin als internationales Zentrum der Kunstproduktion geprägt.“ Was in der Palisadenstraße geschieht, bleibt abzuwarten.