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Um die Zeit von Bowie in Berlin ranken sich viele Mythen.
© dpa

Espiners Berlin: Was ist dran am Bowie-Mythos?

Die Musikwelt blickt derzeit auf Berlin und die Zeit, die David Bowie hier verbracht hat. Doch was am Mythos um den Rockstar ist wahr und was Fiktion? Mark Espiner hat genauer hingeschaut - und förderte einige Enttäuschungen zu Tage.

Die „Bowiemania“ hält nun alle drei Städte des Rockstars fest in ihrem Griff. Die U-Bahn in New York City wird regelrecht von einer Publicity-Kampagne für sein neues Album, The Next Day, überschwemmt. In London, wo David Jones im Stadtteil Brixton und Ziggy Stardust in der Heddon Street geboren wurden, verkaufen sich Tickets für die Ausstellung über ihn und seinen Stil am V&A Museum mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit – bei der letzten Zählung waren es 24.000,00. Zur gleichen Zeit ist die Aufmerksamkeit der internationalen Presse vor allem auf Berlin - seinen damaligen Zufluchtsort - gerichtet und der Mythos von Bowie‘s Berlin gewinnt immer mehr an Schwung. Zeitzeugen von Mitte-Designerin Claudia Skoda bis zu den Töchtern seiner ehemaligen Vermieterin wurden zu ihren Bowie-Erlebnissen befragt.

Als ich meinen „Berlin calling“-Moment hatte, war natürlich auch der Bowie-Mythos zusammen mit der Currywurst Teil der Anziehungskraft dieser Stadt. Ziggy findet seinen Weg zurück zur Erde durch Iggy. Heroes und die Mauer. Ein Lodger in Schöneberg. Kraftwerk, Krautrock. Höhen und Tiefen mit Eno in den Hansa Studios und eine Lust For Life mit Jimmy Osterberg. Ich bin damals nicht nach Berlin gekommen, um Bowie zu imitieren. Ich habe nicht nach der „most arduous city“, der mühsamsten Stadt, gesucht. Die Mauer war für mich nicht wie ein Schoß, so wie er sie beschrieb. Aber ich konnte seine Ansicht gut nachvollziehen, dass Berlin voller Spannung und Wirklichkeit war, die es zu einer aufregenden Stadt machten, die entdeckt werden wollte.

Und Bowie war mit Sicherheit einer der Schatten, die für mich Teil dieser Stadt waren, zusammen mit Brecht und Dietrich, Lottie Lenya und Fritz Lang, Murnau und Marx, Max Reinhardt und dem Dritten Reich. Das Außergewöhnliche und das Teuflische; das Dekadente und das Verdammte. Manchmal fühlt es sich tatsächlich so an, als ob „walking the dead“ Teil des Lebens hier ist.

Seitdem ich in Berlin bin, habe ich mich nicht bewusst auf eine Hommage an Bowie eingelassen, so wie ich es in London mit einer Wallfahrt zu Ziggy Stardusts Telefonzelle tat. Obwohl, so ganz stimmt das nicht. Ich habe mal vor dem Haus in der Hauptstraße 155 angehalten und wollte bei den jetzigen Bewohnern anklopfen, um die Wohnung kurz zu sehen. Ich habe mir auch, beim Blick durchs Fenster, Iggy und Bowie rauchend im Restaurant Ganymed vorgestellt. Und wenn ich an der Bibliothek in der Potsdamer Straße vorbeiradle und dabei an Wim Wenders‘ Engel denken muss, dann kommt mir auch Bowie in den Sinn, ebenfalls auf dem Fahrrad, auf dem Weg zu den Hansa Studios, die es schon vor der Staatsbibliothek gab. In der Bernauer Straße und Gartenstraße und natürlich, solange sie noch da ist, in der Mühlenstraße, kommen mir unweigerlich seine Worte „I remember standing by the wall... and we kissed as though nothing could fall“ in den Kopf.

Doch während der Bowie-Mythos ihn zwischen 1976-1979 fest in der Stadt verankert, wo er inmitten Berlins türkischer Gemeinschaft ein Leben in Anonymität führte, war er eigentlich nur für ein paar Monate wirklich hier. Inmitten von hektischen Touren und Kampagnen für seine Alben, hetzte er zwischen der Schweiz, Paris und New York hin und her, zwischendrin mal wieder kurz in Berlin, wo er dann doch noch Zeit fand, mit seinem kleinen Sohn den Zoo in Charlottenburg zu besuchen.

Auch schaffte er es nicht, seine eigenen Träume zu verwirklichen. Seine Rolle in David Hemmings' Film „Just a Gigolo“ an der Seite von Marlene Dietrich, der in Berlin spielte und für Bowie auch dort gefilmt wurde, verschaffte ihm nie Zugang zu seinem Leinwandidol. Dietrichs Einstellungen wurden in Paris ohne ihn gefilmt, auch wenn es so aussieht, als wären sie im selben Raum. Nur eines der sogenannten Berlin Trilogie Alben, “Heroes”, kann wirklich behaupten, ein echtes Produkt dieser Stadt zu sein. Und was ist mit all den großartigen Aufnahmen seiner Live-Auftritte im Film „Christiane F“? Sie wurden bei Konzerten in New York gefilmt und dann so bearbeitet, dass sie nach Berlin aussahen. Das Konzertpublikum wurde angeblich bei einer AC/DC Show in Berlin gefilmt.

Bowies Berlin-Vergangenheit wird ausgegraben

Nach der weltweiten Medienhysterie über Bowie und Berlin, die die Veröffentlichung von „Where are we now?“ begleitete, wurde nun überall Bowie’s Vergangenheit in dieser zentralen Stadt des Alten Europas ausgegraben und sein Songtext auf seine Bedeutung analysiert. Potsdamer Platz war im Video falsch als Potzdamer Platz geschrieben. Dann konnte man zwischen 1976-78 von dort natürlich keine Bahn nehmen. Und wie mir Berlin Experte Dave Rimmer mitteilte, besuchte Bowie wahrscheinlich gar nicht den Dschungel Club in der Nürnberger Strasse, als er in Berlin lebte, weil der Club damals noch am Winterfeldplatz war und erst später an die erwähnte Adresse umzog.

Kurz vor Veröffentlichung von „The Next Day“, habe ich es auch nach weiteren Referenzen an Berlin abgegrast. Aber ich konnte keine wirklichen Spuren der Berliner Bowie-Geister dort finden, obwohl der Eröffnungssong wie ein Georg Grosz Bild klingt und ein paar Gitarrenriffs an „Low“ erinnern.

„Where are We Now?“ schafft einen seltsam stillen Ort auf der Platte. Und es scheint mir, als ob dieser Song nicht nur von ihm und seinen wenigen Monaten in der Stadt während der 70er Jahre handelt. Er war ja auch nicht hier, um seine Daumen für die 20,000 Flüchtlinge der Bösen Brücke im Jahr 1989 zu drücken. Es scheint, als ginge es mehr um eine Nostalgie, wie Berlin denn hätte sein können, aber nicht zu dem wurde. Die Hoffnung auf ein neues Berlin, eine neue Ära generell, ist ins Schwanken geraten. Der westliche Teil Berlins war einst wie eine Comiczeichnung des Kapitalismus, eine Insel inmitten des Kommunismus vervollständigt durch die fantastische Schaufensterdeko des KaDeWe. Doch Berlin jetzt verwandelt sich immer mehr zur grotesken Karikatur, mit all seinen Bauherren, Spekulatoren und Investoren, die das Aussehen der Stadt verändern – und damit täglich Erinnerungen ausradieren.

Ich bin erst seit dreieinhalb Jahren hier, doch ich gehe auch schon mit den Toten spazieren, in dieser sich ständig verändernden Stadt. „Just walking the dead“, wie Bowie singt. Die grüne Wiese, die zuvor der Palast der Republik war, und wo meine Tochter zum ersten Mal richtig rannte, ist jetzt eine Baustelle. Alexanderplatz oder zumindest der Platz um den Fernsehturm, sollte eigentlich ein Baudenkmal des Kalten Krieges sein, wird aber jetzt in ein Shopping Center umgewandelt, wobei seine überwältigenden Proportionen dabei nun durch noch mehr Luxuswohnungen obendrauf zerstört werden. Ostdeutsche Statuen wurden abgebaut und zwischen Bäumen versteckt oder von der Bühne entfernt. Manchmal frage ich mich, wie ich mich als Berliner fühlen würde, Ost oder West, wenn ich mit ansehen müsste, wie meine Vergangenheit ständig einfach so weggeschafft würde.

Es ist interessant, dass sich Bowie das Berlin von damals ausgesucht hatte. Er wollte seine Vergangeheit vergessen und sich neu erfinden. Er wählte die Stadt aus um ihm dabei zu helfen, seine außerirdische, glamuröse Persona auszulöschen und eine neue Stimme zu finden, die an deren Stelle treten konnte.

Ist das, was Berlin am besten kann? Gibt es einem die Chance zu entfliehen, sich selbst und frei zu sein? „As long as there‘s me, as long as there‘s you“, so wie er sagt. Wie sind Sie, liebe Leser, hierher gekommen und where are you now?

The Next Day wird in Deutschland am 8. März, in England am 11. März und in Amerika am 12. März veröffentlicht. (Vielleicht liebt er Berlin dann doch am meisten.)

 Sie können Mark Espiner eine Email schicken an mark@espiner.com und ihm auf Twitter @deutschmarkuk folgen.

Mark Espiner

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