Neue Serie, Folge1: Kulturcheck - ein Londoner testet Berlin, heute: Kunst und Wurst
Er gibt sich das volle Programm: Mark Espiner vom "Guardian" ist zwei Wochen beim Tagesspiegel zu Gast und bespricht online jeden Tag ein Berliner Kulturereignis. Heute stellt er sich und seine Pläne vor.
Fußball ist nicht alles. Wirklich nicht. Dass Ihr letzte Woche gegen uns verloren habt, ist wirklich vollkommen egal. War das schon vergessen? Dann tut es mir leid, dass ich Euch daran erinnert habe. Aber vermutlich stört es Euch auch nicht so sehr, dass Ihr gegen Engländer, sondern gegen einen Italiener verloren habt. Wieder mal.
Aber, wie gesagt, Fußball ist nicht alles. Und wenn man einmal das schöne Spiel beiseite lässt, wie steht's mit unseren beiden Ländern sonst so? Kulturell zum Beispiel. Sind da die einen besser als die anderen? Oder konkreter: Wie schlägt sich Berlin 2008 gegen London 2008?
Ich bin Londoner. Ich lebe in der Kulturmetropole, bin aber für zwei Wochen rübergekommen, um Berlin den Puls zu fühlen. Zum Teil, weil ich mir Sorgen mache, dass von Berlin ein Sog ausgeht, der unsere besten Kulturleute anzieht. Künstler, Musiker, und Jungkreative machen sich in solchen Mengen von London auf den Weg nach Berlin, dass einige Journalisten von "Time Out", dem bekannten Londoner Stadtmagazin, schon Berlin das neue East London nennen. Ich bin aber auch hier, weil ich wissen will, wie diese Stadt und ihre Einwohner ticken, und wie sie sich von uns unterscheiden.
Ein Experiment am eigenen Leib
Mein Plan also, um ein Gesamtbild von Berlin zu kriegen - und ins Innere der Stadt vorzudringen -, ist eine Art Experiment am eigenen Leib: Ich werde jeden Abend zu irgendeiner Veranstaltung gehen - Theater, Kunstaustellung, Performance, Gig, Nachtclub, Kino, irgendwas -, und versuchen herauszufinden, was hier im Moment abläuft, und alles mit London vergleichen. Ein Kultur-Marathon über zwei Wochen. Montagabend sah ich "Gesäubert" in der Schaubühne, und heute Abend werde ich mir "Pazar" in Kreuzberg anschauen, einen deutsch-türkischen Film. Morgen dazu mehr an dieser Stelle und dann jeden Tag für die nächsten zwei Wochen. Aber ich brauche auch Ihre Hilfe. Wenn Sie Vorschläge haben, was ich mir anschauen sollte, schicken Sie mir doch bitte eine Email an mark@espiner.com.
Gleichzeitig zu diesem Kulturprojekt, läuft aber auch mein Wurst-Experiment. Bei Würsten bin ich Deutscher: Aus meiner Sicht ist sie Wurst die großartigste Manifestation von Fleisch in der Geschichte der Menschheit. Ich kenne keine Kulturnation, in der nicht Alkohol und Wurst im Zentrum stehen. Die Spanier haben Chorizo, Algerien hat die würzige Merguez, wir Briten haben die Chipolata zum Frühstück oder "Black Pudding", aber Ihr Deutschen habt: Frankfurter, Thüringer, Nürnberger, Bratwurst, Bockwurst, Wienerle, Weißwurst, Debrecziner, Landjäger und Currywurst. Wenn es noch weitere Würste gibt, die ich kennen sollte, bitte ich ebenfalls um Benachrichtigung.
Neben den Theatern, Opernhäusern, Konzerthallen, Galerien und Museen der Stadt, werde ich also auch jeden Tag zu einem Fleischer gehen und Wurstsorten testen. Wenn ich dann genug Sorten kenne, kann die Wurst zu meinem Maß werden, meinem Kulturmessgerät. Demnach wäre das Sarah-Kane-Stück, das ich gestern Abend in der Schaubühne gesehen habe, wie eine Currywurst - geschmacklich etwas für Kenner, schwer verdaulich, aber äußerst aufreizend.
Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.
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