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Protest besorgter Mieter in Berlin
© Tsp/Kitty Kleist-Heinrich

Schwedischer Konzern kauft 4000 Wohnungen: Was die Skandinavier vorhaben – und wie Berlin reagiert

Ein schwedischer Konzern erwirbt mehrere Tausend Wohnungen in Berlin. Das Geschäft ist ein Signal für die Branche – und weckt Ängste bei den Mietern.

Fast 4000 Wohnungen für über 800 Millionen Euro will der schwedische Wohnungskonzern Heimstaden Bostad in Berlin kaufen. Das ist bemerkenswert. Zwar hat die Corona-Pandemie kaum Spuren auf dem deutschen Wohnungsmarkt hinterlassen, doch die Mieten in Berlin sind zuletzt gesunken.

Hinzu kommen scharfe Regulierungen durch staatliche Eingriffe wie dem Mietendeckel. Dieser wird im Oktober dafür sorgen, dass auch viele langjährige Mieter im Bestand in den Genuss von staatlich verordneten Mieterlassen kommen.

Aus Anlegersicht müsste das eher abschreckend wirken. Dass der schwedische Konzern trotzdem in Berlin investiert, könnte eine strategische Signalwirkung für die Branche haben.

Weil Wohnimmobilien dennoch wirtschaftlich sein können und sogar noch einen Extragewinn beim späteren Verkauf versprechen. Ob sich der Deal rechnet, muss sich jedenfalls für jene Häuser zeigen, die in Friedrichshain-Kreuzberg auf der Einkaufsliste der Schweden stehen.

Weil sie in einem „sozialen Erhaltungsgebiet“ liegen, müssen die Entwürfe der Kaufverträge dem Bezirk zur Genehmigung vorgelegt werden. Die Abteilung von Baustadtrat Schmidt holt dazu zurzeit Gutachten zum „Verkehrswert“ dieser Immobilien ein.

Dann wird sich zeigen, ob nach Abzug der Kosten für Finanzierung und Bewirtschaftung noch etwas übrig bleibt als „Rendite“. Aber sogar wenn das nicht der Fall sein sollte, kaufen einige Finanzinvestoren die Immobilien trotzdem. Weil sie darauf spekulieren, dass deren Wert steigt und sie beim späteren Verkauf Gewinn machen.

Warum kommen die Skandinavier ausgerechnet auf Berlin?

Berlin ist ein „Brand“, eine Marke, wie es so schön heißt: Die einzige deutsche Metropole, die in einem Atemzug mit Paris, London oder New York genannt wird. Und in der Coronakrise ist zwar die ganz große Party vorbei. Aber sogar das Berghain ist nun als Museumsstätte wieder offen. Und Berlin kommt im Vergleich zu Madrid oder anderen Metropolen deutlich besser mit der Pandemie klar.

[Lesen Sie auch: Der Corona-Überlebenskampf eines Tagesspiegel-Redakteurs: „Ein zweites Mal diese Tortur – das würde ich nicht schaffen“]

Auch deshalb wetten viele Wirtschaftsweisen auf einen kräftigeren Aufschwung hierzulande als im übrigen Europa, sobald ein Impfstoff da ist. Das würde wiederum den Zuzug junger, qualifizierter Arbeitskräfte in die Region ankurbeln. Diese Neu-Berliner brauchen eine Wohnung, und weil es daran ohnehin schon fehlt, werden Mieten und Preise wieder steigen.

Warum schreckt der Mietendeckel die Investoren nicht wie beabsichtigt ab?

Der Mietendeckel könnte bereits Mitte kommenden Jahres vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden. Aber selbst wenn es nicht so kommt, läuft das Gesetz nach fünf Jahren aus. Spätestens dann weht wieder der kalte Wind des Marktes. Das jedenfalls glauben Anleger wie der Milliardär Ivar Tollefsen und die Manager der von ihm beherrschten Firma Heimstaden.

[Milliardär Ivar Tollefsen: Wer ist der Mann, der jetzt 4000 Wohnungen in Berlin kauft? Lesen Sie mehr über Tollefsen und seinen Konzern bei Tagesspiegel Plus.]

Hinzu kommt, dass internationale Finanzinvestoren eher von der globalen Lage am Kapitalmarkt ausgehen und wenig Alternativen haben, um ihr Kapital zu parken. Zinsen gibt es nicht mehr, es drohen Strafzinsen bei Einlagen. Staatspapiere werfen nichts mehr ab.

An der Börse haben Anleger ohnehin einen Teil des Geldes investiert. Immobilien und deren stabile Mieterträge brauchen sie, um das Risiko zu streuen.

Wie bewertet der streitbare grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg die Großinvestition?

Als „Krisensituation“, sagt Florian Schmidt, Bau-Bezirksstadtrat der Grünen in Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg. Weil sich die „Stadtstruktur“ mit diesem Deal wieder ein Stück zugunsten „finanzmarktgesteuerter Großinvestitionen“ verschiebe.

Der norwegische Milliardär Ivar Tollefsen steckt hinter dem Heimstaden-Konzern.
Der norwegische Milliardär Ivar Tollefsen steckt hinter dem Heimstaden-Konzern.
© Heimstaden/promo

Der Kauf ginge zulasten gemeinwohlorientierter Vermieter wie landeseigenen Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder kleineren Hauseigentümern, die Mieter nicht als rein „finanzmathematische“ Größe ansehen, die zur Bedienung der Renditeerwartung der Firma bedrängt werden müssen.

Wird der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausüben?

„Das prüfen wir“, sagt Baustadtrat Schmidt. Möglich ist das für fünf von 16 Häusern aus dem ersten bisher bekannten Deal des norwegischen Investors. Diese befinden sich innerhalb von Milieuschutzgebieten. „Aber die Häuser sind teilweise recht teuer“, sagt Schmidt weiter.

Das liegt daran, dass etwa die Hälfte der Wohnungen möbliert vermietet sei und damit teurer als die Mietpreisbremse erlaube. Erst durch Einführung des Mietendeckels im Bestand im Oktober müssen diese Mieten abgesenkt werden. Schmidt hat „den Eindruck, dass Kaufpreise bezahlt werden und dann darauf spekuliert wird, dass der Mietendeckel kippt“.

Wie bewertet der Senator für Stadtentwicklung und Wohnen den Einstieg der Skandinavier?

„Wenn die Heimstaden langfristig orientiert ist und sich als Partner hier einordnet, muss das nicht schlecht sein“, sagt Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke). Entscheidend werde sein, ob die Firma Abwendungsvereinbarungen unterzeichne.

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Damit unterwirft sich ein Käufer von Wohnhäusern sozialen Standards bei der Miethöhe und der Kündigung von Verträgen, die ähnlich fair wie bei landeseigenen Firmen sind. Ihr Ziel ist es, die Wohnbevölkerung vor Verdrängung zu schützen. „Aber wir bereiten uns außerdem vor, für die in Erhaltungsgebieten gelegenen Wohnungen das Vorkaufsrecht auszuüben“, sagt Scheel.

In diesem Fall steigt eine landeseigene Firma in den privaten Vertrag ein und kauft anstelle des privaten Investors. Notfalls muss der Senat Eigenkapital zuschießen, falls die Wohnobjekte wegen des hohen Preises ohne Zuschuss unwirtschaftlich sind. „Wir kaufen aber nicht jedes Objekt, sondern prüfen jeden Einzelfall.“

Könnte Helmstaden auch enteignet werden, wie es ein Volksbegehren fordert?

Heimstaden soll fast 4000 Wohnungen auf der Einkaufsliste haben – und wäre damit groß genug für die Enteignungspläne des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. „Wir haben im Senat am Dienstag den Weg dazu freigemacht, dass sich das Abgeordnetenhaus mit dem Instrument der Vergesellschaftung auseinandersetzen kann“, sagt Scheel.

„Einig sind wir uns im Senat, dass wir das Ziel der Initiative darin ausdrücklich unterstützen, den Bestand von gemeinwohlorientiert verwalteten Wohnungen in Berlin erweitern zu müssen.“

Was sagen die Mietervertreter über den Investor?

Der Chef des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, sagt: „Die Firma ist an uns herangetreten und will sich unterhalten“. Es bestehe ein Interesse an einem guten Verhältnis zu den Mietern. „Andererseits war auch zu hören, dass Heimstaden keine Abwendungsvereinbarung unterzeichnen will.“

Das wiederum spreche gegen eine am Gemeinwohl orientierte Bewirtschaftung. Dasselbe gelte für die Pensionskassen, die angeblich an der Firma beteiligt sein sollen. Diese erwarteten in der Regel eine Rendite von drei Prozent.

[Einer der beiden Autoren unseres Artikels wohnt in einem Haus, das Heimstaden kaufen will. Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus, wie Kreuzberger Mieter aus Sorge vor dem Investor zusammenrücken.]

Wild sagt: Bei einem Investment von knapp 4000 Wohnungen zu einem geschätzten Durchschnittspreis von mehr als 3500 Euro je Quadratmeter kann man nur auf das Ende des Mietendeckels setzen.“ Vermutlich sei den Investoren nicht klar, dass sie „gerade durch den Erwerb die Diskussion um die Verlängerung des Deckels anheizen.“

Was bedeutet der Kauf für die Berliner Mieter?

Grundsätzlich haben Mietverträge Bestand, unabhängig vom Eigentümerwechsel. Sie können nicht einfach gekündigt werden. Denkbar wäre aber eine Umwandlung in Eigentumswohnungen und deren Verkauf. Ein Teil der Häuser befindet sich jedoch in Milieuschutzgebieten, in denen Mietern für sieben Jahre ein Vorkaufsrecht zusteht.

Sollte danach ein anderer Käufer kommen, kann er den Mieter für weitere fünf Jahre nicht mit der Begründung Eigenbedarf kündigen. Die Mieter in den Milieuschutzgebieten haben also einen relativ langen Schutz vor Kündigung.

Ein spezieller Fall sind befristete Mietverträge, die der Vorbesitzer eines Teils der Häuser in Friedrichshain-Kreuzberg abgeschlossen hatte. Nach Ansicht von Anwälten der Mietergemeinschaft e.V. können diese Verträge in reguläre Mietverträge umgewandelt werden. Eine Prüfung vom Wohnungsamt steht noch aus.

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