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Die Charité erhält 2019 womöglich einen neuen Chef.
© picture alliance/Jens Kalaene

Heyo Kroemer: Was den neuen Chef der Charité in Berlin erwartet

Senat und Klinik haben sich auf Heyo Kroemer als Vorstandsvorsitzenden für das wichtigste Krankenhaus der Region geeinigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Charité ist Europas größte Universitätsklinik – sie gilt als bedeutendster Forschungsstandort und wichtigstes Krankenhaus der Region. In 3000 Betten auf vier Campi werden immer mehr Patienten behandelt, schon weil Berlins Bevölkerung wächst. Ärzte und Pflegekräfte versorgten im Vorjahr 148.300 Kranke stationär, 702.000 Patienten wurden ambulant behandelt – nur die ebenfalls landeseigene Klinikkette Vivantes versorgt in der Region mehr Fälle. Die Charité ist mit mehr als 17.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber Berlins. Sie könnten einen neuen Chef bekommen.

Was ist über den Kandidaten bekannt?

Nach Tagesspiegel-Informationen hat die Charité-Auswahlkommission in dieser Woche einstimmig für Heyo Kroemer votiert. Der 58 Jahre alte Pharmakologe ist Professor, arbeitete in Greifswald und ist seit 2012 Dekan und Vorstandschef der Universitätsmedizin Göttingen. Bei Niedersachsens Regierung hatte er sich für Millionen-Investitionen eingesetzt, die Göttinger Universitätsklinik wird 2019 massiv ausgebaut.

Sowohl Kroemer als auch der Charité-Vorstand und Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) äußerten sich am Mittwoch nicht, man befinde sich in einem laufenden Verfahren. Ganz neu ist Kroemer in Berlin nicht.

Weil der Senat die vergleichsweise erfolgreiche Gesundheitsbranche der Region stärken möchte, hatte Bürgermeister Michael Müller (SPD) kürzlich eine Zukunftskommission „Gesundheitsstadt Berlin 2030“ eingesetzt. Vorsitzender des Gremiums ist SPD-Politiker Karl Lauterbach, sein Stellvertreter ist Kroemer. Anfang 2019 legt die Kommission einen Bericht vor, Kroemer dürfte wohl erst danach als Charité-Chef beginnen.

Wie ist der vorläufige Ablauf?

Dem Auswahlgremium hat Bürgermeister Müller als Aufsichtsratschef der landeseigenen Charité vorgesessen, dazu kamen Spitzenleute aus der Klinik. Nach Gesprächen in der Branche konzentrierte man sich offenbar schon vor Wochen auf Kroemer. Müller oder Staatssekretär Krach werden nun mit dem Göttinger über einen Arbeitsvertrag verhandeln. Einigt man sich, wird Kroemer vom Aufsichtsrat berufen.

Der Göttinger könnte dann 2019 anfangen. Seit zehn Jahren leitet der 71 Jahre alte Neurologe Karl Max Einhäupl die Charité, dessen Vertrag immer wieder verlängert wurde – weil sich trotz langer bundesweiter Suche kaum jemand fand, der eine Hochschulklinik dieser Größe leiten könnte. Einhäupl hat die Charité modernisiert, sich in gesundheitspolitischen Debatten bundesweit Gehör verschafft und Neues in der Personalpolitik ermöglicht. Klar war aber, dass spätestens 2020 ein Nachfolger da sein muss.

Was sind die Herausforderungen?

Charité-Chef Einhäupl hatte im Frühjahr erklärt, was derzeit als Herausforderung gesehen wird: Digitalisierung im Krankenhausalltag, Ausbau des Universitären Herzzentrums, Eingliederung der teilprivatisierten Charité-Servicetochter CFM ins Haupthaus. Wie in allen Kliniken ist der Fachkräftemangel gefährlich: Je nachdem wen man fragt, fehlen mit Blick auf die wachsenden Patientenzahlen und deren steigendes Durchschnittsalter 200 bis 300 Pflegekräfte.

Bislang arbeiten 4300 Schwestern und Pfleger an der Charité. Fachkräfte sind rar, die Klinikleitung sucht deshalb auch im Ausland nach Personal – nicht immer wollen junge Fachkräfte nach Berlin, was auch daran liegen kann, dass in München, Wien, Zürich mehr gezahlt wird. Im Jahr 2017 sind schon 100 neue Schwestern und Pfleger angestellt worden. Das hat mit einem bundesweit einmaligen Tarifvertrag zu tun: Wie berichtet, hatte sich die Klinikleitung 2016 verpflichtet, Personalnot und Dauerstress auf den Stationen durch eine feste Mitarbeiterzahl pro Schicht lindern zu wollen.

Carsten Becker, Kinderkrankenpfleger und Personalrat, sagte am Mittwoch: Die nötige Digitalisierung sei eine Selbstverständlichkeit, die wichtigste Aufgabe sei, die Arbeitsbedingungen besser zu gestalten, die 17.000 Mitarbeiter seien die bedeutendste Ressource der Klinik. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, regte an, die Versorgungsforschung zu intensivieren: Also – grob vereinfacht – zu klären, wie Medizin, Abläufe und Patienten aufeinander wirkten. Um mehr Auszubildende zu bekommen, hat die Charité das Schulgeld in der Logopädie, Physiotherapie und Diätassistenz gestrichen.

Welche Investitionen werden getätigt?

Halte der „Besetzungsstau“ an, sagte ein Forscher, dürfte sich der gute Ruf der Klinik verschlechtern. Intern ist bekannt, dass die wissenschaftliche Leistung zuletzt abfiel und Professuren unbesetzt sind. Von 15 neuen Sonderforschungsbereichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Selbstverwaltungseinrichtung zur Wissenschaftsförderung, sei zuletzt keiner an die Charité gegeben worden. Ganz aktuell aber, wenden andere ein, habe man zwei Sonderforschungsbereiche hinzugewonnen – die DFG werte die Charité ganz klar als „Spitzenhaus“. Vor zwölf Jahren, heißt es dagegen von Mitarbeitern, hätten an der Charité acht Graduiertenkollegs bestanden, 2017 nur eines. Dazu kommen Beschwerden von den Stationen. Im weithin sichtbaren, bis 2016 modernisierten Bettenturm in Mitte fallen die Fahrstühle öfter aus.

Lange musste Charité-Chef Einhäupl mit dem Senat um die (als knapp eingestuften) 202,5 Millionen Euro streiten, mit denen der Campus Mitte saniert wurde – die damalige SPD-CDU-Koalition hatte 185 Millionen Euro genehmigt. Für diese Summe fand sich jedoch keine Baufirma. Das vom Senat gewollte Plus im Geschäftsjahr 2017 belief sich auf 1,8 Millionen Euro. Dies ist im Vergleich zu profitorientierten Kliniken privater Betreiber gering, der Charité-Jahresumsatz beträgt 1,4 Milliarden Euro.

Senatschef Müller kündigte vor einigen Monaten ein „Jahrzehnt der Investitionen“ an: Insgesamt liege der Investitionsbedarf bei 1,4 Milliarden Euro, um bei Forschungsfortschritten mitzuhalten, der Senat allein zahle in den kommenden zehn Jahren 1,1 Milliarden Euro.

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