Michael Müller zur Gesundheitsstadt Berlin: „Wir wollen in Europa führend sein“
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller spricht im Interview über den internationalen Ruf der Stadt, den Kampf um Spitzenpersonal und die Zukunft der Charité.
Herr Müller, in der Gesundheitsbranche der Region erwirtschaften 370.000 Beschäftigte 25 Milliarden Euro Jahresumsatz. Das hört sich gut an – wie wichtig ist die Branche tatsächlich?
Die Gesundheitsbranche ist ein echtes Pfund für Berlin. In und um Berlin gibt es dahingehend fast alles - vom kleinen, vielversprechenden Start-up über Industriebetriebe aus Medizintechnik und Pharmaforschung bis hin zu Europas größter Universitätsklinik, der Charité. Wir sind als Standort konkurrenzfähig, auch wenn in Berlin nicht mit solchen Budgets gearbeitet wird wie in den US-Metropolen.
Wozu brauchen wir dann noch die von Ihnen einberufene Zukunftskommission „Gesundheitsstadt Berlin 2030“?
Gerade weil wir in Berlin so ein großes Potenzial haben, wollen wir die Stadt zum führenden Gesundheitsstandort in Europa weiterentwickeln, ausgehend von der Charité und Vivantes. Neben vielen Chancen haben wir auch einige Herausforderungen zu bewerkstelligen. Die Zukunftskommission soll dazu Vorschläge erarbeiten. Ich freue mich, dass wir für diese Aufgabe hervorragende Fachleute gewinnen konnten.
National ist Berlin also eine Topadresse, international noch nicht?
Wir haben international einen sehr guten Ruf. Aber jede der US-Elitehochschulen setzt ein Vielfaches dessen um, was die Charité zur Verfügung hat. Das liegt auch an großzügigen Spendern und erfolgreichem Einwerben von Mitteln aus der Privatwirtschaft. Doch Berlin holt auf. Ein gutes Beispiel ist das Einstein Center Digitale Zukunft - an dem entstehen jetzt mehr als 50 neue Professuren mit Unterstützung der Wirtschaft. Und unsere Hochschulen werben erfolgreich Drittmittel ein, letztes Jahr lagen allein FU, HU, TU und Charité bei gut 600 Millionen Euro. Davon 162 Millionen für die Unimedizin, ein Rekord!
Das dürften meist Steuergelder aus öffentlichen Töpfen sein. Wie gibt es mehr Investitionen aus der Wirtschaft?
Auch die Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von der EU sind hart umkämpft, das sind keine Geschenke. Und denken Sie dran, vor wenigen Jahren galt Berlin vor allem als Feier- und Kulturmetropole. Das ändert sich, die Kultur bleibt uns erhalten, aber wir werden zunehmend als Stadt der Wissenschaft und Forschung wahrgenommen und als Kongressstadt in der Mitte Europas.
Kongresse!? Ärgert Sie dann nicht, dass Lufthansa den Direktflug Berlin-New-York gestrichen hat?
Ja, das ärgert mich. Wir brauchen solche Verbindungen. Und auch wenn die BER-Pannen ein Problem sind, erwarte ich größeres Engagement. Doch die Firmen kommen trotzdem und das freut mich. Wir kommen derzeit kaum hinterher, ausreichend Gewerbeflächen zu finden.
Pfizer hat seinen Sitz am Potsdamer Platz, Sanofi und Bayer sind vertreten, die japanische Pharmafirma Takeda produziert in Oranienburg. Die meisten High-Tech-Firmen aber gibt es in Süddeutschland, dort entstehen Industriearbeitsplätze. Wie wollen Sie solche Jobs in die Stadt holen?
Ich sagte ja, der Trend spricht für uns. Und wir investieren, um Berlin noch attraktiver zu machen. Das gilt auch für die Branche selbst, sie investiert überdurchschnittlich in Forschung, besonders die Berliner Chemie- und Pharmaindustrie. Das zeigt die neueste Studie der Technologiestiftung. Ein weiterer Befund: die besonders gute Zusammenarbeit zwischen Berlins Wirtschaft und unseren elf Hochschulen und über 70 außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Sie sagten, Berlin sei als Kulturmetropole bekannt: Werden Pharmaexperten, Ärzte und Medizintechniker davon angelockt, dass es viele Clubs, Konzerte, Theater gibt?
Sicher auch. Entscheidender dürften wohl gebührenfreie Kitas für die eigenen Kinder und der engmaschige Nahverkehr sein. Außerdem ist Berlin im internationalen Vergleich eine sichere und grüne Stadt.
Mit zahlungskräftigen Medizintouristen aus Asien bessern viele Kliniken in der Stadt ihre Kassen auf. Noch mehr Auslandspatienten aber gingen nach München, Zürich oder Wien, heißt es.
Auch hier zeigen die Zahlen, dass Berlin beliebter wird. Und die Krankenhäuser stellen sich darauf ein, es gibt wie bei Vivantes eigene Auslandsvertretungen. Wir werden als Zentrum für hochprofessionelle Behandlungen bekannter. Die angereisten Patienten nehmen Erfahrungen mit und tragen zu unserem Image bei. Das ist gut für unseren Standort, darf aber nicht zulasten der Berliner Patienten gehen.
Die Vivantes-Kliniken gehören dem Land, sind aber als GmbH organisiert. Auch die Charité gehört dem Land, ist aber eine Hochschuleinrichtung. Aus beiden Häusern heißt es, die Politik rede zu oft rein.
Es gibt Zeiten, da sind die Mitarbeiter der landeseigenen Häuser froh, dass sie den Rückhalt der Stadt haben. Deshalb müssen sie gelegentlich ertragen, wenn die Politik mitredet. Wir investieren in die Krankenhäuser so viel wie seit Jahrzehnten nicht. Wir brauchen attraktive Jobs im Gesundheitsbereich, schon weil dieser wegen des demografischen Wandels auch für Berliner immer wichtiger wird.
Zuweilen ist zu hören, dass es mit Berufungen von Spitzenleuten – auch an der Charité – nicht so klappt, wie man sich das an einem Topstandort vorstellt?
Der internationale Wettbewerb ist natürlich hart und Spitzenleute können sich ihre Stellen aussuchen. Wir wollen die Berufungen schneller machen und Vertragsverhandlungen verkürzen. So etwas darf Monate, aber nicht Jahre dauern.
Der Vertrag von Charité-Chef Karl Max Einhäupl wurde noch mal bis 2020 verlängert. Gibt's einen Nachfolger?
Der neue Charité-Chef wird weitreichende Entscheidungen treffen. Etwa zum Berlin Institute of Health. Das BIH gibt es seit 2013 und ist noch nicht so richtig in Schwung gekommen. Vergangenes Jahr ging BIH-Chef Erwin Böttinger.
Das BIH ist keine einfache Konstruktion. In ihm sollen Charité-Forscher mit Kollegen des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin zusammenarbeiten. Finanziert wird das BIH zu 90 Prozent vom Bund und zehn Prozent vom Land Berlin, was ein sehr gutes Zeichen der Bundespolitik war: Seht her, Berlin ist ein internationaler Forschungsstandort. Die vielen erfolgreichen Berufungen und Projekte unterstreichen die Attraktivität des BIH. Nun müssen wir für klarere Entscheidungsabläufe sorgen. Erfolgreich kann das BIH nur mit der Charité sein.
Ist die Charité ein Gründungsmotor?
Aber ja! Wir wissen von mindestens 50 Start-ups, die sich in den letzten Jahren etablieren konnten. Und durch die neue Technologietransfer-Einheit von BIH und Charité kommt da noch mehr Schwung rein. Die Wissenschaft ist unglaublich wichtig für unsere Start-up-Szene. Ausgründungen aus Hochschulen haben 20 000 neue Arbeitsplätze in Berlin geschaffen.
BIH und Charité haben einen Kooperationsvertrag mit Sanofi unterzeichnet. Wie stellen Sie sicher, dass alle relevanten Forschungsergebnisse veröffentlicht werden und nicht nur der Konzern profitiert?
Unsere Einrichtungen verfügen über die notwendige Expertise und Erfahrung, solche Verträge müssen mit der gebotenen Sorgfalt ausgehandelt werden.
Die Charité dürfte mittelfristig noch bekannter werden – spricht man Sie eigentlich auf die TV-Serie „Charité“ an? Ein Quotenerfolg, bald läuft die zweite Staffel.
Ja, viele Menschen sprechen mich darauf an. Interessanterweise vor allem Berliner. Die sagen, sie hätten dieses oder jenes gar nicht gewusst. Beispielsweise war vielen offenbar nicht bekannt, dass so viele Nobelpreisträger dort Bahnbrechendes geschaffen haben.
Ein Blick in die jüngere Vergangenheit: Die Übernahme von Schering durch Bayer ist zwölf Jahre her. Auch das Schering-Werk in Wedding wurde übernommen. Bayer ist nun weltweit Nummer 6 der Pharmakonzerne. Ein Erfolg – oder
hatte die Rationalisierung negative Folgen?
Das war ein Erfolg. Und Bayer will das Geschäft ausbauen. Ich hoffe, dass sich das auch für Berlin positiv auswirkt.