Verkehr in Berlin: BVG darf Autos abschleppen: Was das neue Mobilitätsgesetz bedeutet
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz beschlossen. Es soll die Stadt fahrradgerechter machen. Ein Überlick über das Gesetz.
Es begann vor drei Jahren mit ein paar Radfahrern, die für mehr Berücksichtigung im Straßenverkehr kämpften. Daraus wurde der Volksentscheid Fahrrad, der innerhalb kurzer Zeit mehr als 100.000 Unterschriften sammelte. Dann kam ein neuer Senat, Rot-Rot-Grün übernahm den größten Teil der Fahrradforderungen und nannte es „Mobilitätsgesetz“. Am Donnerstag wurde es sim Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen.
Es ist Deutschlands erstes Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz, aber wohl nicht das letzte. Durch den Berliner Erfolg sind mittlerweile Radentscheide in zehn Großstädten und zwei Bundesländern angestoßen. „Wir haben in Berlin Verkehrsgeschichte geschrieben“, lobte sich „Changing Cities“, das ist der Trägerverein des Radentscheids, am Mittwoch selber. Wir fassen zusammen, was das Gesetz für unterschiedliche Verkehrsteilnehmer bedeutet.
Fahrradfahrer
Für sie gibt es verbindliche Vorgaben, was gebaut werden muss. Das Land Berlin verpflichtet sich mit diesem Gesetz zur Gestaltung einer fahrradgerechteren Stadt. Die Vision Zero – also das Ziel von null Verkehrstoten – ist nun fester Bestandteil des Gesetzes und maßgeblich für die weitere Verkehrsplanung in Berlin. In den vergangenen Jahren schwankte die Zahl der Verkehrstoten zwischen 35 und 50, fast alle waren zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs.
Dies ist für Radfahrer im Detail geplant: An Hauptstraßen sollen „geschützte“ Radwege gebaut werden, also baulich mit Pollern oder Kanten vom Straßenverkehr getrennt. In den vergangenen Jahren wurden Radspuren nur mit weißer Farbe auf Fahrbahnen markiert – mit der Folge, dass sie an vielen Stellen von Autofahrern als Parkplatz missbraucht wurden und Radfahrer in den Fließverkehr ausweichen mussten.
Fahrradaktivisten fassten das in diesem Satz zusammen: „Weiße Farbe hilft nichts.“ Angesichts der Arbeitsüberlastung der Polizei ist es in den vergangenen Jahren auch nicht gelungen, die Situation durch starke Kontrollen zu verbessern. Zudem sind die Kosten eines Knöllchens europaweit am niedrigsten. In der Karl-Marx-Allee wurde gerade damit begonnen, einen geschützten Radweg anzulegen.
Im Herbst soll an der Hasenheide in Kreuzberg eine zweite Vorführstrecke entstehen – allerdings nur auf der südlichen Fahrbahnseite Richtung Neukölln. Ursprünglich sollte der Bau bereits im Frühjahr beginnen, dann meldete die Feuerwehr Bedenken wegen der Poller an.
Pendler sollen Radschnellwege bekommen
Zweites wichtiges Vorhaben ist der Umbau von Kreuzungen mit vielen Unfallverletzten. Vor ein paar Tagen hat in Kreuzberg die grundlegende Umgestaltung der Einmündung Yorckstraße / Katzbachstraße begonnen. Laut Gesetz werden in diesem Jahr zehn, im nächsten 20, danach jeweils 30 Kreuzungen umgebaut.
Vor allem Pendler sollen von 100 Kilometern Radschnellwege profitieren. Im März dieses Jahres wurden zu den ersten drei Strecken Machbarkeitsstudien ausgeschrieben: Entlang der Avus (Kronprinzessinnenweg) nach Wannsee, am Teltowkanal von Südkreuz nach Lichterfelde und Teltow sowie die „Y-Trasse“ von Neukölln und Kreuzberg entlang der A113 nach Adlershof. Im Prinzip bestehen diese Wege bereits, die Strecken entlang der Avus und der A113 sind breit, glatt und gut frequentiert.
In Britz fehlt eine Brücke über einen Kanal, um diese Trasse nach Neukölln fortzuführen. Wann diese jemals gebaut wird, ist unklar. Der bestehende Radweg am Teltowkanal zeigt beispielhaft, dass der Radverkehr bei Bezirken und Senat nicht oberste Priorität hatte: Die Strecke ist teilweise von derart schlechter (Schotter-)Qualität, dass Radfahrer abgeschreckt statt angelockt werden. Hier hätte es mit etwas Asphalt und gutem Willen längst ein Schnellweg entstanden sein können.
Kein neuer Radweg in zwei Jahren Rot-Rot-Grün
Geeignete Nebenstraßen sollen zu Fahrradstraßen umgebaut werden, so soll der Verkehr „entflochten“ werden. Eine Zahl als Ziel nennt das Gesetz nicht. „Fahrradstraßen sind für alle gut erkennbar als Teil des Radverkehrsnetzes zu kennzeichnen“, heißt es in dem Gesetz. Daran mangelt es bislang noch. Zwar gibt es einige Fahrradstraßen, diese sind häufig dicht von Autos befahren. So dient die Prinzregentenstraße in Wilmersdorf Autofahrern seit Jahren als Schleichweg zur parallelen Bundesallee. Dass es eine Fahrradstraße ist, ist so gut wie nicht zu erkennen; Hindernisse für Autos gibt es nicht. Fast 100 Millionen Euro sind nach Angaben von „Changing Cities“ für den Radverkehr in Berlin eingeplant – „zumindest auf dem Papier“. Denn unter Aktivisten und Verbänden herrscht große Skepsis, ob die Verkehrsverwaltung die vielen Pläne tatsächlich umsetzen kann, denn weiterhin dauern selbst kleinste Verbesserungen Monate, wenn nicht Jahre.
In fast zwei Jahren Rot-Rot-Grün ist noch kein einziger neuer Radweg gebaut worden, kritisiert nicht nur Heinrich Strößenreuther, Initiator des Volksentscheids. Mit Peter Feldkamp wird jetzt allerdings einer der engsten Mitstreiter Strößenreuthers in die Verkehrsverwaltung wechseln. „Ich werde ab dem 15. Juli im Stab von Herrn Staatssekretär Kirchner in der Koordinierungsstelle Radverkehr bei einer zügigen Umsetzung des Mobilitätsgesetzes helfen“, schrieb Feldkamp am Mittwoch dem Tagesspiegel.
Bus- und Bahnkunden
Das Mobilitätsgesetz will den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ausbauen. Dazu wurden bestehende Passagen aus dem ÖPNV-Gesetz einfach übernommen. Busse und Bahnen sollen auf definierten Strecken Vorrang bekommen. Neu ist auch, dass die BVG selbstständig Autos von Busspuren abschleppen lassen darf. Bislang musste dazu die Polizei geholt werden. An Bahnhöfen und Bushaltestellen sollen 50 000 Fahrradständer gebaut werden, 50 000 weitere an öffentlichen Einrichtungen. Parkhäuser und sichere Ständer sollen auch das Massendelikt Fahrraddiebstahl eindämmen.
Fußgänger
Sie sind in dem Gesetz – noch – nicht bedacht. Für sie soll es eigene Abschnitte im Mobilitätsgesetz „mit einer für 2018 zu erarbeitenden ersten Gesetzesänderung“ geben, dasselbe gilt für den Teil zum Wirtschaftsverkehr. Fußgänger profitieren aus Sicht von Fahrradaktivisten indirekt. Wenn es sichere eigene Wege für Radfahrer gibt, wird die Zahl derjenigen, die aus Angst vor dem Autoverkehr auf den Gehweg ausweichen, sinken.
Autofahrer
Sie werden ebenfalls nicht im Gesetz bedacht. Dies bemängelt die CDU massiv, selbst Teile der SPD hatten sich noch vor wenigen Wochen dieser Kritik angeschlossen und Nachbesserungen gefordert. Nach Angaben der Verkehrsverwaltung ist in der geplanten ersten Gesetzesänderung ein „Baustein zur intelligenten Mobilität, wenn es um Carsharing oder autonomes Fahren geht“ enthalten.
Ansonsten solle das Mobilitätsgesetz ja gerade ein Gleichgewicht zwischen den Verkehrsträgern schaffen und auch den Radverkehr und den ÖPNV gesetzlich würdigen. Der Autoverkehr sei schließlich seit Jahrzehnten in mehreren Gesetzen geregelt. Auch in den kommenden Jahren wird weit mehr Geld für den Autostraßenbau ausgegeben als für Radfahrer.
Alleine die 3,2 Kilometer Verlängerung der A100 nach Treptow kosten etwa 500 Millionen Euro. Heinrich Strößenreuther nannte das Gesetz „Deutschlands bestes Anti-Stau-Programm“. Die Logik dahinter ist einfach: Jeder zusätzliche Radfahrer verringert den Autostau. Der ADAC war an der Erarbeitung des Gesetzes beteiligt.
Weniger autofreundlich als die Verkehrsverwaltung hatte sich am Dienstag die Industrie- und Handelskammer geäußert: Um Platz für Lieferzonen schaffen zu können, sollte das Anwohnerparken an Haupteinkaufsstraßen unterbunden werden, forderte die IHK.