Handelskonflikte: Warum unser Wohlstand in Gefahr ist
Donald Trump streitet mit China über Zölle, die EU mit London über den Brexit. Alles weit, weit weg? Von wegen! Auch Berliner und Brandenburger Firmen spüren längst Konsequenzen.
Wer einen Blick auf die Produkte der Astro- und Feinwerktechnik Adlershof GmbH werfen will, braucht ein gutes Fernrohr. Im Orbit, 550 Kilometer über Normalnull, zieht der Satellit TET-1 seine Runden. Etwa 95 Minuten braucht er für eine Erdumrundung – und dann folgt eine neue. Und dann noch eine. Und noch eine. Seit fast sechs Jahren geht das schon so – dabei war der Satellit mit Berliner Technik an Bord nur auf einen Einsatz von 14 Monaten ausgelegt, erinnert sich Firmenchef Sebastian Scheiding.
Die Mission des Erdtrabanten: die Welt retten. Nehmen wir das Beispiel Indonesien. Jedes Jahr kommt es auf dem südostasiatischen Inselstaat zu Torffeuern, bei denen große Mengen Treibhausgase freigesetzt werden. Um den Bränden entgegenzuwirken und deren Folgen für die Ökologie abzuschätzen, sind zuverlässige Informationen über Ursprung und Ausbreitung der Feuer wichtig. Bilder aus dem All können diese liefern. Der Berliner Satellit leiste einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Klimawandels, lobte 2015 das Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), in dessen Auftrag TET-1 die Welt umrundet. „Ich bin stolz, was wir mit unseren 80 Mitarbeitern erschaffen haben“, sagt Unternehmer Scheiding, der die Entwicklung des Satelliten eng begleitet hat. Das Gerät ist längst nicht der einzige Stolz der Adlershofer: „Unsere Produkte findet man zwischen Tokio und Detroit sowie den Umlaufbahnen von Venus und Saturn“, sagt Scheiding.
Die Verunsicherung ist groß
Und damit wären wir dann auch bei den Problemen. Denn vor allem die Vereinigten Staaten, der größte Markt für die Raumfahrtindustrie weltweit, machen es Unternehmern wie Scheiding derzeit nicht leicht. Für europäische Raumfahrtunternehmen sei es bereits früher nie einfach gewesen, US-Aufträge an Land zu ziehen. „Es gibt in den USA seit jeher die Mentalität, heimische Produkte zu bevorzugen“, sagt Scheiding; die amerikanische Konkurrenz profitiere seit Jahren von bürokratischen Hürden für ausländische Firmen. Mit dem neuen US-Präsidenten im Amt und dem schwelenden Handelskonflikt könnte sich die Situation aber noch verschärfen, befürchtet Scheiding: „Der wirtschaftspolitische Kurs von Donald Trump besorgt mich.“
Und Scheidings Befürchtungen werden von vielen anderen Unternehmern aus der Region geteilt – branchenübergreifend. Im Gespräch mit Unternehmern sei die Verunsicherung über den amerikanischen Politikkurs allgegenwärtig, sagt Jochen Brückmann, Außenwirtschaftsexperte bei der Industrie- und Handelskammer Berlin. „Die Unternehmen sind zurückhaltend und vorsichtig, sie beobachten sehr genau, was wirtschaftspolitisch gerade zwischen den USA und der Welt geschieht.“ Inwiefern sich Trumps Vorgehen letztlich auf den Handel auswirken wird, sei – noch – nicht abzusehen. Klar ist: Es steht viel auf dem Spiel. „Die USA sind seit vielen Jahren unser wichtigster Handelspartner. In kein anderes Land exportieren Berliner Firmen mehr Güter“, sagt Brückmann. „Ein Handelskrieg könnte daher schwere Folgen für Berlins Wirtschaft haben.“
Ein Blick auf die Zahlen untermauert seine Aussage: In die USA exportierten die Berliner Unternehmen im Jahr 2017 einen Warenwert von 1,7 Milliarden Euro. Dies entspricht 11,3 Prozent am Gesamtexport der Berliner Wirtschaft und macht die USA zum wichtigsten Abnehmerland der hiesigen Produktion.
Es drohen auch indirekte Folgen
Zumindest vorläufig wurde der Handelsstreit ja entschärft: Vor zwei Wochen kündigte Trump an, dass er die 28 EU-Länder vorübergehend von den Schutzzöllen auf Stahl und Aluminium ausnehmen wolle. Stattdessen schien sich der US-Präsident in den folgenden Tagen auf China einzuschießen: Firmen aus China müssen neuerdings Zölle auf Stahl- und Aluminiumeinfuhren in die USA zahlen. Betroffen sind Waren im Wert von bis zu 60 Milliarden Dollar.
Sind wir also noch einmal davongekommen? Wer diese Frage Karl Brenke stellt, Berlin-Experten beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), bekommt eine zurückhaltende Antwort. „Wir mögen nicht direkt betroffen sein von diesen Schutzzöllen, indirekt könnte das aber sehr wohl noch passieren“, sagt der Ökonom. Denn die chinesischen Firmen würden letztlich versuchen, ihre Waren auf anderen Märkten loszuwerden – womöglich zu deutlich günstigeren Konditionen. Für die Region sind das keine gute Nachrichten: „Gerade in den Stahlbetrieben von Brandenburg dürfte man es zu spüren bekommen, wenn die chinesischen Konkurrenz künftig ihre Produkte auf dem europäischen Markt verkauft, um Verluste auf dem US-Markt zu kompensieren“, sagt Brenke.
Tatsächlich rechnen die Unternehmen bereits mit Konsequenzen für die Standorte in der Region. Die von Trump angekündigten Strafzölle könnten bis zu 300 Arbeitsplätze im Elektrostahlwerk der Riva-Gruppe am Standort Brandenburg/Havel in Gefahr bringen, zitierte die „Märkische Allgemeine Zeitung“ die Geschäftsleitung des Konzerns vor einigen Tagen. Das Unternehmen spricht von einer „Problematik, die in ihrer Brisanz nicht zu unterschätzen ist und fatale Folgen mit sich bringt.“ Es handelt sich dabei nicht um Alarmismus der Konzernführung; die Arbeitnehmerseite warnt mit ähnlichem Nachdruck vor den Folgen des Handelsstreits. „Protektionismus und der Aufbau neuer Zollschranken führen zu Handelskriegen und schaden den Beschäftigten aller betroffenen Länder“, sagte Olivier Höbel, IG Metall Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen, dem Tagesspiegel. Insbesondere die Beschäftigten der exportorientierten Teile der Metall- und Elektroindustrie, aber auch der Stahlindustrie und weiterer Exportbranchen in der Region, könnten die Folgen einer neuen Abschottungspolitik der USA schnell zu spüren bekommen.
Der Brexit besorgt die Unternehmen
Doch es sind nicht nur die Amerikaner, die den Firmen der Region derzeit Grund zur Sorge geben. Drei Viertel der Berliner Unternehmen glauben zudem, dass der Brexit Auswirkungen auf ihre Geschäfte haben werden. Das geht aus einer Auswertung der IHK Berlin hervor. „Welche das aber genau sein werden, lässt sich noch nicht abschätzen“, sagt Außenhandelsexperte Brückmann.
Für die kommenden zwölf Monate erwarten die Betriebe demnach eine deutliche Verschlechterung ihrer UK-Geschäfte: Der Anteil der Pessimisten ist mit 36 Prozent deutlich größer als der der Zuversichtlichen (zwölf Prozent). Der Saldo liegt bei trüben minus 24 Punkten. Vor allem Unternehmen mit Importen aus dem Vereinigten Königreich sind pessimistisch (Saldo minus 32 Punkte). Betrachtet man die einzelnen Branchen, so schätzen Metallindustrie, Fahrzeugindustrie und Zulieferer sowie Großhandel ihre Geschäftsperspektive am schlechtesten ein.
Ursache für diesen Pessimismus ist die Unsicherheit über die Austrittsmodalitäten. Zwar haben sich der Europäische Rat und Großbritannien zuletzt mit der Einigung auf eine Übergangsphase einen Schritt in Richtung eines sanften Austrittsabkommens bewegt. Die Möglichkeit eines „harten Brexits“ aber bleibt bis zur endgültigen Ratifizierung des Abkommens gegeben, fürchten die Unternehmer der Region.
Das beunruhigt nicht zuletzt eine Boombranche der Hauptstadt, die Chemie- und Pharmaindustrie. In den vergangenen Jahren bauten die Berliner Unternehmen des Sektors ihren Umsatz stetig aus; nach zehn Jahren kam die Hälfte an Volumen hinzu. Selbst im Zuge der Krise setzte sich das Wachstum fort. Der Grund: Der allergrößte Teil der Branche stellt Arzneimittel her. Und dieses Segment reagiert kaum auf konjunkturelle Impulse. Umso größer ist die Abhängigkeit von staatlich initiierten Markteingriffen. „Ein harter Brexit würde die Chemie- und Pharmaindustrie besonders hart treffen und zahlreiche Lieferketten unterbrechen“, sagt deshalb Utz Tillmann, Geschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI).
Erste Folgen schon jetzt zu beobachten
Erste Schatten wirft der Brexit bereits heute: „Wir sehen jetzt schon Auswirkungen: Das Pfund hat zum Euro in den vergangenen Monaten deutlich abgewertet“, sagt IHK-Experte Brückmann. „Für Berliner Firmen ist das keine gute Nachricht, denn damit werden ihre Produkte für die Briten teurer.“ Und dieses Phänomen könne man in diesen Tagen beobachten: Im vergangenen Jahr seien die Ausfuhren von Berliner Firmen nach Großbritannien zwar um üppige elf Prozent gestiegen, sagt Brückmann. Ein zweiter Blick zeige aber, dass es sich bei diesem Anstieg vor allem um den Export von Verbrauchsgütern gehandelt habe. „Der Export von teureren Investitionsgütern wie etwa Maschinen ist hingegen gesunken.“
Die Politik müsse daher dafür sorgen, dass die Märkte offen bleiben: „Waren müssen auch nach einem Brexit weiter zollfrei und ohne große bürokratische Hürden zwischen Berlin und Großbritannien gehandelt werden können“, sagt Brückmann. „Andernfalls ist der Wohlstand in unserer Region bedroht.“
Dieser Artikel erschien in der wöchentlichen Sonderseite "Berliner Wirtschaft". Folgen Sie uns auf Twitter für Updates: @BRLNRwirtschaft