Berlins offizieller Impftermin-Dienstleister: Warum stellt die Firma Doctolib dem Senat nur ein paar Tausend Euro in Rechnung?
Die Senatsverwaltung für Gesundheit hat sich auf den ersten Blick für eine sehr kostengünstige Lösung entschieden, um die Corona-Impfungen zu organisieren.
Die Behörde vergab den Auftrag zur Terminkoordination Anfang Dezember an das 2013 in einem Städtchen bei Paris gegründete Unternehmen Doctolib. Zu den drei Eigentümern zählt Mitgründer Stanislas Niox-Chateau (34), der schon während seiner Zeit an der elitären Managementschule HEC erste Firmen gründete, und später sein Tisch-Reservierungs-Start-up LaFourchette für geschätzt 100 Millionen Euro an Tripadvisor verkauft haben soll.
35.000 Ärzte und 4000 Gesundheitseinrichtungen in Europa nutzen die Termin- und Patientenaktenverwaltungssoftware von Doctolib (hier ein kurzes Firmenporträt). Eine Arztpraxis zahlt für diesen Service, der Sprechstundenhilfskräfte entlasten soll, 129 Euro im Monat – pro behandelnde Ärztin oder Arzt. Die Plattform wird monatlich von rund 70 Millionen Nutzern besucht, davon mehr als vier Millionen in Deutschland. Europaweit beschäftigt das Unternehmen 1500 Mitarbeitende in 40 Städten. Die Deutschland-Niederlassung sitzt am Mehringdamm in Kreuzberg.
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Gründer Stanislas Niox-Chateau, der eigentlich mal Profi-Tennisspieler werden wollte, hat seine vielen Millionen sicher nicht mit Gratis-Dienstleistungen gemacht. Vor dem Hintergrund mag es überraschen, das Doctolib den Service für die Koordination der Impfungen in Berlin nach Angaben einer Unternehmenssprecherin von Montag „kostenlos“ anbieten will. „Es entstehen für die Berliner Zentren und für die Patientinnen und Patienten keine Kosten, lediglich die Kosten von 0,16 Cent für die Erinnerungs-SMS werden dem Senat weiterberechnet“, teilt sie mit.
Eine ganz grobe Überschlagsrechnung für zwei SMS pro Kopf für drei Millionen Berlinerinnen und Berliner über 16 Jahre, die kontaktiert werden müssen, ergibt: 9600 Euro, also ein Betrag nicht der Rede wert angesichts der bisher größten Impfkampagne der Stadtgeschichte. Und gemessen an den Kosten von grob 72 Millionen Euro, die man veranschlagen müsste, wenn man unterstellt, dass der Senat alle Erwachsenen und Jugendlichen über 16 Jahre zwei Mal mit dem bisher einzigen zugelassenen Impfstoff von BioNTech und Pfizer für zwölf Euro je Dosis impfen lassen würde.
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Man kann heute nur darüber spekulieren, wie die Eigentümer von Doctolib bei dieser Mini-Rechnung auf ihre Kosten kommen. Vielleicht, indem sie Berlin als Referenzprojekt nutzen, die der Firma hilft, weltweit ähnliche Aufträge zu ergattern. Im Sommer dieses Jahres hatte Doctolib mehrere Corona-Testzentren, unter anderem in Niedersachsen, mit seinem System ausgestattet. Dort baute die Firma in weniger als zwei Wochen die digitale Infrastruktur für elf Reiserückkehrer-Zentren mit auf.
Tech-Unternehmen verdienen in der Regel nur indirekt an Dienstleistungen. Der eigentliche Schatz liegt in den Nutzerdaten. Die werde man nur gemäß der Regeln und in Rechenzentren in Frankfurt am Main und Paris aufbewahren – „bis die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung eine Löschung anweist“, wie die Sprecherin erklärt.