Ärztin der ersten Corona-Impfungen in Berlin: „An Corona sollte niemand sterben – auch nicht mit 101“
Die Ärztin Irmgard Landgraf hat in einem Berliner Pflegeheim die erste Impfung gegen das Coronavirus vorbereitet. Sie berichtet, wie das ablief.
Frau Landgraf, Sie sind hausärztliche Internistin und haben Ihre Praxis im Pflegeheim Agaplesion Bethanien Sophienhaus in Steglitz. Wie kam es, dass die erste Impfung gegen das Corona-Virus dort stattfand?
Die Gesundheitssenatorin kam auf mich zu, weil wir uns aus einer Arbeitsgruppe zum Thema Pflege 4.0 kennen. Ich habe dort mein Modell mit den digitalen Krankenakten vorgestellt, die ich verwende, und sie hat sich vor der Pandemie hier im Pflegeheim auch schon darüber informiert, wie die digitale Vernetzung mit den Pflegekräften funktioniert. Sie hat mich auch sicher deshalb gefragt, weil sie wusste, dass wir bisher keine Coronaerkrankten hatten und dass wir auch kurzfristig die notwendige Vorbereitung auf die Impfung im Heim organisieren können. Und es hat alles super geklappt. Wir haben am Sonntag die ersten 50 Bewohner geimpft, die anderen sind am Montag dran.
War die Organisation schwierig? Gab es Widerstand von Bewohnern oder Angehörigen?
Bei drei unserer Heimbewohner waren die Angehörigen mit der Corona-Impfung nicht einverstanden, eine Berufsbetreuerin war auf die Schnelle nicht zu erreichen und bei zwei Bewohnern kann wegen Kontraindikationen nicht geimpft werden. Es ist sehr schön, dass wir eine so hohe Impfbereitschaft haben im Haus. Impfen ist bei uns ja Alltag im Heim. Fast alle Bewohner sind gegen Grippe, Lungenentzündung und Keuchhusten geimpft, darauf achten wir genau. Nur einzelne unserer Heimbewohner lassen sich nicht impfen. Aber diese neue Impfung wirft natürlich andere Fragen auf. Es gibt Menschen, die durch die Schnelligkeit der Impfentwicklung eher skeptisch sind oder die daran zweifeln, dass man so alte Menschen überhaupt noch impfen sollte. Das alles wird öffentlich diskutiert. Aber es gibt viele Gründe für eine Impfung, auch mit 101. Der wichtigste ist: An Corona sollte niemand sterben. Denn diese Art des Sterbens sperrt Angehörige und selbst Pflegekräfte in der letzten Phase des Lebens aus. Die Menschen sterben eher einsam, weil niemand zu ihnen darf. Natürlich muss jeder irgendwann sterben, aber das sollte liebevoll umsorgt geschehen. Bei uns können die Angehörigen sonst bei Bedarf in den letzten Tagen des Lebens im Heim übernachten. Das ist jetzt natürlich nicht möglich.
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Um zur Impfung zurück zu kommen. Unsere Patienten und ihre Angehörigen habe natürlich gemerkt, wie überzeugt ich von der Impfung für sie bin. Sie wissen, dass ihnen damit eine schwere COVID-Erkrankung sehr wahrscheinlich erspart bleibt und sie sind sehr dankbar für die Möglichkeit, geimpft werden zu können. So erkläre ich mir die hohe Impfbereitschaft in unserem Haus.
Haben sie die 101-Jährige Gertrud Haase ausgesucht, die als allererste Berlinerin geimpft zu wurde?
Ja, wir kennen uns schon so lange und hatten schon öfter gemeinsame Pressetermine. Sie ist die älteste Bewohnerin hier und dabei so jung geblieben. Ich weiß genau, dass sie durch diese Öffentlichkeit nicht überfordert wird, sondern dass es für sie ein positives Highlight ist.
Als sie heute nach der Impfung wieder in ihrem Zimmer war, rief ihre Tochter aus Frankreich an, weil sie sie im Fernsehen gesehen hatte. Das hat sie natürlich sehr gefreut. Frau Haase lebt schon seit neun Jahren hier - und sie scheint gar nicht älter geworden zu sein. Sie ist sogar wesentlich mobiler als bei Heimaufnahme. Wir betreiben ja viel Vorsorge. Aber das allerwichtigste ist aktuell, dass sie jetzt gegen COVID 19 geimpft ist. Ich war doch sehr besorgt, dass auch bei uns Corona-Viren eingeschleppt werden. Dann hätten auch wir, wie wir es aus anderen Pflegeheimen kennen, viele Tote gehabt. Nun bin ich sehr erleichtert, dass uns das durch die Impfung erspart bleibt.
Während viele andere Berliner Pflegeheime von Corona-Infektionen betroffen sind, gab es bei Ihnen bislang noch keinen Fall. Was meinen Sie, woran das liegt?
Da war natürlich auch Glück im Spiel. Aber sicher hat es auch mit unserer Arbeit hier zu tun. Unser Haus zeichnet sich durch multiprofessionelle Teamarbeit aus. Wir beiden Hausärztinnen arbeiten ganz eng mit den Pflegekräften zusammen. Alle Konzepte besprechen wir gemeinsam. Alle wissen so genau, was jetzt während der Pandemie zu tun ist. Ein Vorteil ist sicher auch, dass wir bisher nie Leasingkräfte gebraucht haben, sondern mit einem stabilen Team zusammenarbeiten. Außerdem haben wir alle Angehörigen und Betreuer angeschrieben und ihnen die nötigen Schutzmaßnahmen genau erklärt. Auch bei uns wird regelmäßig getestet und sehr darauf geachtet, dass alle immer FFP2-Masken tragen. Auch das Küchen- und Reinigungspersonal hält sich ganz genau an die Regeln. Wir Ärztinnen haben außerdem jetzt während der Pandemie viel mehr digitale Kurvenvisiten anstelle von Visiten vor Ort durchgeführt und auch damit das Infektionsrisiko für die Pflegeheimbewohner reduziert. Diese waren so trotzdem genauso engmaschig betreut wie vorher. Wir können ja auch digital rasch auf Beschwerden durch diagnostische oder therapeutische Maßnahmen reagieren und dafür sorgen, dass es den Bewohnern gut geht. In anderen Heimen, wo nicht selten 20 bis 30 Ärzte für die Bewohner zuständig sind, ist das natürlich nicht so einfach.
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Ich habe gerade eine Patientin in einem anderen Heim durch eine Corona-Infektion verloren. In diesem Heim wird noch mit Papierakten gearbeitet. Für die Kommunikation zwischen Pflegekräften und Ärzten ist man auf Telefon bzw. Fax angewiesen oder muss Hausbesuche machen. So habe ich habe viel zu spät erfahren, dass meine Patientin an COVID 19 erkrankt ist. Vor einem eigentlich geplanten Heimbesuch habe ich mit ihrer Tochter telefoniert, die mir erzählte, dass sie beim Essen schon an ihrem 95. Geburtstag darüber klagte, ihr würde nichts schmecken. Erst einige Tage später wurde uns mitgeteilt, dass auf der Station mehrere Bewohner an COVID 19 erkrankt sind und auch Pflegekräfte betroffen waren. Als dann der Abstrich meiner Patientin auch positiv war, musste sie isoliert werden. Auch ihre Tochter durfte zunächst nicht mehr zu ihr.
Die Zusammenarbeit mit den Pflegekräften gestaltete sich in dieser Zeit schwierig, da die gegenseitige telefonische Erreichbarkeit nicht immer gegeben war. Ich wollte z.B. sicherstellen, dass sie per Infusion genügend Flüssigkeit bekam, aber ich weiß nicht ob das geklappt hat. Meine Anweisungen musste ich per Fax schicken und immer, wenn ich angerufen habe, um nachzufragen, waren andere Pflegekräfte am Telefon. Hier im Haus muss ich keine Pfleger anrufen und sie bei der Arbeit stören, um Anweisungen zu geben oder mich über den Gesundheitszustand der Patienten zu informieren. Dazu kann ich die digitale Pflege-Akte nutzen. In diese trage ich Anweisungen für das Pflegepersonal ein und kann mich später über beobachtete Symptome, die durchgeführte Behandlung sowie den Therapie-Erfolg mit Hilfe der Pflegedokumentation informieren. Unsere digital vernetzte Zusammenarbeit hat sich gerade jetzt während der Pandemie sehr bewährt.
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