Helfen ist Ehrensache: Warum sich der Tagesspiegel auch sozial engagiert
Weihnachtsspenden, Paralympics-Zeitung, Aktionstage fürs Ehrenamt: Soziales Engagement hat eine lange Tradition beim Tagesspiegel. Wie passt das zum Journalismus?
Zu den Lehrsätzen über Journalismus, die am meisten missverstanden werden, gehört der von Hans-Joachim Friedrichs: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“
Daraus wird bis heute ein falsches Bild von Journalismus abgeleitet. Denn es ging Friedrichs nicht darum, Journalisten Empathie und Engagement abzusprechen, wie oft behauptet wird. So verstanden, wäre nur der gefühllose Berufszyniker ein guter Journalist; also einer, der am Ende lieber jemanden verhungern ließe, als seinen Burger zu teilen, nur um auch noch diesen Vorgang authentisch beschreiben zu können.
An Friedrichs’ leidenschaftlichem Appell ist deshalb, richtig verstanden, auch nach 25 Jahren nichts falsch. Denn er beschreibt den Kern unserer Arbeit: neugierig bleiben, sich nicht einlullen lassen, wachsam sein. Oder, um noch einmal Friedrichs zu zitieren: „Cool bleiben, ohne kalt zu werden.“
Was das konkret bedeutet, zeigt unsere Weihnachtsspenden-Aktion „Menschen helfen“, die wir etwa zur selben Zeit gestartet haben, in der Friedrichs in einem „Spiegel“-Interview seine Lebensbilanz als Journalist zog. Machen wir uns „gemein“ mit dieser Sache, die doch sicher eine gute ist?
Niemandem verpflichtet als unseren Lesern und Leserinnen
Es scheint so zu sein: Wir suchen nach hilfsbedürftigen Projekten, in Berlin, aber auch weltweit; wir rufen unsere Leserinnen und Leser auf zur Unterstützung; wir sammeln die Spenden ein und überreichen sie bei einer festlichen Veranstaltung denjenigen, die Gutes damit tun.
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Wir sind selbst beteiligt an einer Sache, über die wir berichten. Wir zeigen Mitgefühl. Und wir lassen uns dafür sogar loben und würdigen, nehmen Preise entgegen für unser Engagement, den „German Paralympic Media Award“, den „Engagement-Preis“ der Berliner Wirtschaft oder den „World Young Reader Prize“. Können wir dennoch gute Journalisten sein?
Wir können nicht nur, wir müssen es sein. Jedes Mal versetzt es einen Teil der Projektverantwortlichen in Erstaunen, wenn wir ihnen ankündigen, die korrekte Verwendung der Spenden zu kontrollieren. Manche sehen in der Ankündigung eine Misstrauenserklärung, die nicht zur „guten Sache“ passt, nicht zur „Zusammenarbeit“.
Genau hierin liegt das Missverständnis: Wir sind niemandem sonst verpflichtet als unseren Leserinnen und Lesern, erst recht, wenn wir ihre Spenden weiterleiten. Kontrolle und Transparenz sind die Voraussetzung unseres Engagements, und sie sind die Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg von Initiativen und Projekten, die wir journalistisch begleiten. Missstände, Irrtümer und Irrwege gibt es auch dort, wo das „Gute“ gewollt wird. Das dürfen und werden wir nie vergessen.
Und tatsächlich haben unsere Recherchen in einigen Fällen problematisches Verhalten aufgedeckt. Da wurden Ziele nicht erreicht, weil der Ansatz nicht gepasst hat; da wurden Mittel für andere „gute“ Zwecke verwendet als angegebenen. Es blieben wenige Ausnahmen über all die Jahre.
Wir übernehmen Verantwortung. Und wir wollen ihr gerecht werden
Auf der anderen Seite stehen Hunderte Berichte über leidenschaftliches Engagement für gesellschaftlichen Zusammenhalt in dieser Stadt. Anrührende Geschichten sind darunter, anregende, begeisternde, aber auch solche, die wütend machen wegen der Umstände, unter denen manche Menschen unter unseren oft verschlossenen Augen leben müssen.
Und wie ist es mit der „Gemeinsamen Sache“, diesem Aktionstag, an dem der Tagesspiegel Berlinerinnen und Berliner zusammenbringt, die ihre Stadt aufräumen, verschönern und pflegen wollen? Ist da nicht bereits der Name verräterisch? Machen wir uns hier nicht im wahrsten Sinne des Wortes „gemein“ mit einer Sache?
Der Tagesspiegel hat sich seit seiner Gründung vor 75 Jahren gesellschaftlich engagiert, als Zeitung aus und für Berlin. Die Redaktion und der Verlag spielen eine wichtige Rolle in der Stadt, und das bedeutet: Wir übernehmen Verantwortung. Und wir wollen ihr gerecht werden. Wir verstehen uns dabei in erster Linie als Anstifter und Kommunikator; wir bringen Menschen zusammen, die sich einsetzen wollen für ein lebens- und liebenswertes Berlin, gemeinsam.
Der Tagesspiegel bietet die Plattform, informiert vorab über die Aktionen, berichtet über den Verlauf, und bei Veranstaltungen im Tagesspiegel-Haus kommen am Ende alle noch einmal zum Feiern zusammen. Als Journalisten begleiten wir das alles mit steter Neugier – das bedeutet: ergebnisoffen, konstruktiv und kritisch. Für die ordnungsgemäße Organisation der jährlichen Aktion „Menschen helfen“ haben wir vor etlichen Jahren den Tagesspiegel-Spendenverein gegründet.
Lange Sitzungen vom Tagesspiegel-Spendenverein
Hier sind viele Kolleginnen und Kollegen aus Verlag und Redaktion engagiert. In oft langen Sitzungen diskutieren wir hier über die Schwerpunktthemen der Aktion, oft spielen dabei aktuelle Ereignisse eine Rolle oder auch gesellschaftliche Entwicklungen, bei denen die Politik nur zu spät, zu wenig oder auch gar nicht eingreifen kann oder will.
Wir sichten die Bewerbungen derjenigen, die unterstützt werden wollen. Wir stellen kritische Nachfragen, wägen ab, überprüfen vor Ort, ob die Angaben stimmen. Und entscheiden schließlich über die Verteilung der Mittel. Auf diese Weise können wir Jahr für Jahr mit mehreren 100 000 Euro unserer Leserinnen und Leser etwa 50 Projekte und Initiativen unterstützen, fast alle davon aus Berlin.
Aber in jedem Jahr unterstützen wir auch ein, zwei Projekte im Ausland, denn der Tagesspiegel versteht sich als weltoffenes Medienhaus mit Rundumblick, auch wenn unser Herz vor allem in und für Berlin schlägt.
Begonnen hat das Engagement des Tagesspiegels gleich nach seiner Gründung im September vor 75 Jahren, als Berlin eine Ruinenstadt war und die Not vieler Menschen groß. Wir haben für Betroffene großer Fluten gesammelt und für Opfer rechtsextremistischer Taten wie den kürzlich verstorbenen Briten Noël Martin, für den sich vor allem Annette Kögel aus dem Tagesspiegel-Spendenverein engagierte, und den Italiener Orazio Giamblanco, den unser Reporter Frank Jansen seit 1996 Jahr für Jahr besucht.
Bürgerschaftliches Engagement weltweit
Mit viel Leidenschaft berichten wir seit Langem auch über den Behindertensport als Teil der Inklusion, ohne die eine solidarische Gesellschaft nicht vollständig ist. Das Projekt „Paralympics Zeitung“ bringt internationale Nachwuchsjournalisten zusammen und hat seit 2004 dazu beigetragen, Barrieren niederzureißen – physische und psychische. Mehrfach wurde das Projekt als vorbildlich ausgezeichnet, unter anderem mehrfach mit dem „Media Award“ der DGUV und in San Francisco mit dem „World Young Reader Prize“.
Auch anderswo in der Welt hat das bürgerschaftliche Engagement des Tagesspiegels und seiner Leserinnen und Leser Spuren hinterlassen – in Südafrika gibt es sogar einen Fußballplatz für benachteiligte Kinder, an dem per Schild auf den Tagesspiegel als Spender hingewiesen wird.
Die Tsunami-Hilfe des Tagesspiegels 2004/05 war die größte einer deutschen Tageszeitung. Und als 2010 in Haiti die Erde bebte, initiierte der Tagesspiegel eine „Berlin hilft Haiti“-Aktion mit einem großen Konzert in der ausverkauften Philharmonie und Spenden-CDs.
Alles das ginge nicht ohne unsere Leser und Leserinnen
Seit über zehn Jahren haben wir auch eine feste wöchentliche Seite für das ehrenamtliche Engagement, sie heißt „Menschen helfen“ und bildet das ganze Spektrum von kleinen bis zu großen Hilfen ab. Preisgekrönte Projekte wie die „Nachtschicht“ haben hier ihren Ursprung. Und seit dem vergangenen Jahr haben wir auch einen Ehrenamts-Newsletter, der „Ehrensache“ heißt und geleitet wird von Gerd Nowakowski, der für uns auch die „Gemeinsame Sache“ betreut.
[Für alle, die Berlin schöner und solidarischer machen, gibt es den Tagesspiegel-Newsletter „Ehrensache“. Er erscheint immer am zweiten Mittwoch im Monat. Hier kostenlos anmelden: ehrensache.tagesspiegel.de. ]
Wir schauen natürlich immer auch nach vorne, und das bedeutet: auf die jüngere Generation. Ein Beispiel dafür: der Tagesspiegel-Workshop „Junges Engagement digital“, bei dem zehn Projektbeteiligte im Alter von 14 bis 23 Jahren der Frage nachgingen, ob das zivilgesellschaftliche Engagement von Jugendlichen anders ist als das von Erwachsenen, also digitaler, flexibler und ohne starre Vereinsstrukturen.
Alles das ginge kaum ohne Partner, in gar keinem Fall jedoch ohne unsere engagierten Leserinnen und Leser. Wir sind dafür unendlich dankbar! Und allen, die sich mit uns engagieren, egal wo und auf welche Weise, können wir versprechen: Auf uns kann man sich verlassen, in jeder Hinsicht. Und das bedeutet für die Redaktion: Wir sind und bleiben zuallererst Journalistinnen und Journalisten, leidenschaftlich und neugierig.