Junges Engagement: Wie sieht das Ehrenamt der Zukunft aus?
In einem Tagesspiegel-Workshop diskutierten Jugendliche aus Berlin über ihr Engagement. Was läuft gut, was muss sich ändern? Sieben Zukunftsvisionen
Tausende Jugendliche, von Spandau, über Mitte bis Marzahn, sind ehrenamtlich aktiv, in den verschiedensten Bereichen: einige organisieren Schreibwerkstätten, andere mischen beim Kinder- und Jugendparlament in der Bezirkspolitik mit, wieder andere lehren in Coding-Workshops anderen Jugendlichen das Hacken. Es eint sie, sich für eine Sache einsetzen. Wir luden die jungen Berliner*innen zu einem Workshop in das Tagesspiegel-Verlagshaus, um darüber zu diskutieren, wie sich das Ehrenamt verändert.
Ob junges Engagement digitaler und flexibler ist als gängige Vereinsstrukturen oder Kiezfeste? Zumindest die Ebenen des Engagements – ob digital oder analog – lassen sich nicht immer exakt voneinander trennen, wie wir im Workshop feststellten. Meist fließen die Sphären ineinander über, ergänzen sich und das Digitale ist dabei “Mittel zum Zweck”, denkt eine Teilnehmerin.
Wir baten die Jugendlichen nach dem Workshop, ihre Visionen für die Zukunft vorzustellen: Wie stellen sie sich ihr Engagement in zehn Jahren vor? Was möchten sie verändern? Was hoffen sie, wird sich an den Umständen für Ehrenamtliche verändern? Hier veröffentlichen wir ihre Antworten, die wir aus redaktionellen Gründen gekürzt haben:
Freiraum in den Klassenraum bringen
Vivian Nestler, 23 Jahre, Lehramtsstudentin, Schreibwerkstatt Bezirkszentralbibliothek „Mark Twain“, Marzahn-Hellersdorf
„(...) Ich würde gerne Jugendliche und Kinder weiter zum Schreiben animieren und sie beim Schreiben motivieren. (...) Am aussichtsreichsten ist es, dass ich mich nach meinem Studium weiter und viel stärker bildungspolitisch engagiere. Ich möchte Konzepte entwickeln und stetig weiterlernen. (...) Ich habe der Generation, die ich bilde, eine Verantwortung gegenüber. Ich will ihnen Respekt zur Natur, zueinander und auch zu sich selbst lehren. (...) Es kommt im Schulsystem derzeit so viel zu kurz, wir sind seit über einhundert Jahren stecken geblieben. (...) Ich will Schubladen öffnen, Freiräume schaffen, motivieren statt deprimieren und dabei stetig selbst etwas lernen. Ein Klassenraum ist nicht automatisch besser, weil ein SmartBoard darin steht und tut, was die Tafel kann.“
Mit der Schreibwerkstatt Probleme verarbeiten
Teresa Bruhn, 17 Jahre, Schreibwerkstatt Marzahn-Hellersdorf
„Gut geschriebene Texte können, wenn sie auf das richtige Publikum treffen, Empathie und Verständnis hervorrufen. (...) Ich denke, dass es schön wäre, wenn noch mehr verschiedene Menschen zur Schreibwerkstatt gelangen könnten. Vielleicht Leute, die große Probleme in ihrem Leben haben, und auch solche, die sonst weniger schreiben würden. So könnten sie die Wärme der Schreibwerkstatt, sowie das Schreiben als Selbstausdruck und Verarbeitungsmethode entdecken. (...) Es bleibt nur noch ein wesentliches Problem: die Zeit. Auch wenn Schulen Schülern für Veranstaltungen oft frei geben, wird doch für die eigentliche Schreibarbeit die Freizeit in Anspruch genommen.“
Anerkennung für neue Formen des Engagements
Leonard Wolf, 21 Jahre, hauptamtlicher Mitarbeiter beim Fundraising von Jugend hackt, ehrenamtlicher Datenschutzbeauftragter bei „Freiwilliges Jahr Beteiligung“
„(...) Engagement und Partizipation entwickeln sich bereits seit einigen Jahren und ergeben ganz neue Formen. Da stellt sich die Frage: Warum erhalten beispielsweise Jugendliche, die eine App für Geflüchtete entwickelt, Menschen, die in ihrer Freizeit Artikel für Wikipedia schreiben, oder Schüler*innen, die seit fast einem Jahr bei Fridays for Future aktiv sind und sich für Nachhaltigkeit einsetzen, keine der klassischen Formen von Anerkennung und Wertschätzung für Engagement? Warum erhalten diese Menschen keine Ehrenamtskarten? Keine Vergünstigungen im Zoo oder Schwimmbad? Es geht nicht darum, dass Engagement sich in irgendeiner Art und Weise „lohnen“ soll. Aber wenn es Unterschiede in der Anerkennung gibt, je nachdem für was sich Menschen einsetzen, dann lässt dies wieder eine Kluft auf gehen, die geschlossen werden sollte. (...) Außerdem braucht es mehr Experimentier- und Lernräume für junge Menschen. Schon jetzt entwickeln sich häufig Bibliotheken und offene Werkstätten weg von ihren ursprünglich eng definierten Räumen in viel offenere und vielfältigere Richtungen.“
Mehr Augenhöhe und digitale Sichtbarkeit für die Kinderparlamente
Leonard Béringuier, 14 Jahre, Kinder- und Jugendparlament Tempelhof-Schöneberg (KJP)
„Das KJP sollte die Jugendlichen, die es vertritt, besser erreichen und vermehrt mit einbeziehen, um der Politik zeigen zu können, was junge Menschen wollen. Viele wissen nicht einmal, was wir im KJP machen. Deshalb braucht es vermehrt Aktionen, Infoveranstaltungen und mehr Sichtbarkeit in den sozialen Netzwerken und im Internet. Junge Leute müssen die Möglichkeit kennen, wie sie sich in die Politik einmischen können. Ich wünsche mir, dass die jungen Parlamentarier, also auch ich, den Jugendlichen zuhören, Ansprechpartner sind und Verbesserungswünsche weitertragen. Außerdem brauchen wir eine Vertretung auf Landes- und Bundesebene - das könnte zu mehr Einfluss junger Menschen in Deutschland führen. Immerhin bilden wir keinen unbedeutenden Teil der Gesellschaft. Wir sollten mehr Möglichkeiten haben unsere Meinung einzubringen und dabei nicht, wie zum Beispiel „Fridays for Future“, ignoriert werden.“
Heterogene Gruppen
Alicia Hanke, 18 Jahre, Freiwillige im PeerNetzwerk Spandau des Jugendhilfevereins Kompaxx
„Ich wünsche mir, wie viele, eine größere Reichweite für unsere Beteiligungsprojekte. Damit würde ein zweiter Wunsch von mir wahrscheinlich auch in Erfüllung gehen: Mehr Diversität. Ich sehe leider immer noch, dass sich fast nur Leute beteiligen, die nicht Minderheiten angehören. Im Idealfall sollten sich alle beteiligen, nicht nur eine repräsentative Gruppe. Trotzdem wäre ein Ziel für in zehn Jahren: heterogenere Gruppen von Jugendlichen zu erreichen, die sich beteiligen. Außerdem wäre es erstrebenswert, wenn „die Politik“ Jugendliche und Kinder als Experten ihrer eigenen Lebenswelt wahrnimmt. (...) In einer Zeit in der wir, eine junge Generation, auf fast genauso viele Informationen Zugriff hat, wie viele Politiker*innen, sollte es möglich sein, dass diese Politiker*innen sich mit Jugendlichen auf Augenhöhe unterhalten und diese ein wenig mehr wertschätzen. (...) Ich wünsche mir im Großen und Ganzen mehr Austausch. Vom Müll in meinem Kiez bis zu diskriminierenden Äußerungen in der Politik. Hoffentlich sehe ich in zehn Jahren mehr neue Gesichter, mit unterschiedlichen Erfahrungen, in jedem Alter, die sich sorgenfrei untereinander austauschen.“
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Inhalte digital publizieren
Marwin Klages, 16 Jahre, PeerNetzwerk Spandau
„Ich würde mir wünschen, dass ehrenamtliche Arbeit zukünftig mehr wertgeschätzt und anerkannt wird. Das Engagement einer Person sagt viel mehr aus als irgendwelche Noten, die aber auch nicht unwichtig sind. Jugendliche müssen die Möglichkeit bekommen, ihr Wunschprojekt im Engagement umzusetzen - das funktioniert aktuell schon ganz gut. Es ist auch wichtig Projekte und Veranstaltungen digital zu publizieren. Digital heißt nicht immer unpersönlich und schlecht; ich halte diese Variante für sehr wichtig und sollte neben dem Analogen auch berücksichtigt werden.“
Offline Treffen: „genauso selbstverständlich wie ein Tweet“
Selina Makinist, 19 Jahre, PeerNetzwerk Spandau
„Das Internet ist für die meisten Jugendlichen die Bühne, um auf Plattformen wie Twitter oder Instagram ihrer Meinung Gehör zu schaffen. Jedoch bleibt die Meinung dort meist nur die Meinung. Das Gesicht dahinter ist oft fremd und 280 Zeichen reichen halt nicht aus, um Verständnis zu schaffen. Bei unseren Beteiligungscamps möchten wir den Meinungen Tiefe geben, in dem sich die Jugendlichen treffen und ihre Erfahrungen miteinander offline teilen können. Die Beteiligungscamps sollen nicht die Chatrooms ersetzen, sondern eine Ergänzung sein, um aus den digitale Debatten, analoge Diskussionen zu machen. In der Zukunft hoffe ich, dass die Treffen berlinweit für Jugendliche genauso selbstverständlich wie ein Tweet werden.“
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