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Jemowit lädt alle Polen, die es in Polen nicht mehr aushalten, nach Berlin ein. Zu Hause fühlen können sie sich hier sofort.
© Julien Cott/promo

„Polophobia Party“ in Kreuzberg: Warum seine Texte in der Heimat Polen nicht ankommen – in Berlin hingegen schon

Früher waren seine Texte als Parodie gemeint, heute sollen sie die Realität beschreiben. Jemek Jemowit schmeißt eine Party zur Rettung der Nation.

Man erkennt ihn nicht als Pole, wenn er sich nicht absichtlich zu erkennen gibt, sagt Jemek Jemowit. Seine Aufmachung ist punkig, verrät eine Liebe zum Flohmarkt, seine Nägel sind rot lackiert. Seine polnische Musik ist Exportware, weil sie in ihrem Herkunftsland nicht ankommt – in Berlin hingegen schon.

Mit ihm selbst ist es in gewisser Weise genauso. Im Alter von drei Jahren zog der in der polnischen Hafenstadt Gdynia zur Welt Gekommene mit seinen Eltern in die Berliner Gropiusstadt, wo er aufwuchs. Die polnischen Wurzeln abgestreift hat Jemowit bis heute, über 33 Jahre später, nie.

Ein guter Teil seiner Texte ist polnisch, Themen seiner Songs sind Polen, die polnische Gesellschaft, polnische Politik, polnischer Patriotismus. Polnische Ästhetik und Antiästhetik. Sogar sein polnischer Akzent im Deutschen ist ausgeprägter als der deutsche im Polnischen. Jemowit verbringt viel Zeit in Polen.

Wenn er dort ist, fühlt er sich in manchen Gegenden selbst in seiner geradezu konservativ bürgerlichen Familienkonstellation aus Mann, Frau und Kind nicht sicher, erzählt er. Es komme schon mal vor, dass man als Mann mit lackierten Fingernägeln aus einem Kiosk geschmissen oder körperlich angegriffen werde.

Auch hat Jemowit minimal dunklere Haut als die meisten Polen. Und der Verdacht auf Andersartigkeit genüge in dem aufgeheizten Klima, unabhängig davon, was für ein Leben man tatsächlich führt, sagt er. Homophobie und Fremdenfeindlichkeit hätten Ausmaße angenommen, die man sich vor einigen Jahren kaum habe vorstellen können.

Diskriminierende Sticker als Symbol vermeintlicher Meinungsfreiheit

An vielen Orts- und Landkreisschildern in Polen prange der Schriftzug „Strefa wolna od LGBT“, erzählt Jemowit. Zu Deutsch: „LGBT-Freie-Zone“. Sticker mit dieser Aufschrift würden nicht etwa von nationalistischen Aktivisten hergestellt, sondern gelangten als Beilage der regierungsnahen Zeitung „Gazeta Polska“ im Juli 2019 in Tausende Haushalte im ganzen Land.

Teils unterstützen die Wojewodschaften und Kommunen solche symbolischen Gesten, die zum Ausdruck der Meinungsfreiheit verklärt werden. Dagegen ist die Aktivistin Elzbieta Podlesna kürzlich verhaftet worden, nur weil sie ein Bild der in Polen verbreiteten „Schwarzen Madonna von Tschenstochau“ mit einem Heiligenschein in Regenbogenfarben in den sozialen Medien postete.

„Die polnische Propaganda funktioniert heute besser denn je“, sagt Jemowit. Angesichts der Faktenlage wundert er sich darüber, dass hierzulande so wenig über die politische Situation des so nahen Nachbarlandes gesprochen wird.

Was früher Parodie war, ist heute Realität

Als der Musiker 2013 seine EP „Tekkno Polo“ und 2016 „Wróg publiczny no. 1“ (Polnisch: „Staatsfeind Nr. 1“) herausbrachte, wollte er erkennbare Tendenzen der polnischen Gesellschaft, insbesondere ihren allgemeinen Rechtsruck, überspitzen, ad absurdum führen. So etwa, wenn er in einem seiner Songs die Ejakulation kurzerhand zu Mord erklärt.

„Was damals parodistische Übertreibung war, ist heute aber in weiten Teilen längst Realität“, sagt er und meint damit Verschärfungen im Abtreibungsgesetz. Deshalb würden die Platten noch besser in die Gegenwart passen, als in die Zeit vor einigen Jahren, sagt er. Und deswegen wolle er nun seine, wie er sie nennt, „polnische Duologie“ wiederveröffentlichen.

„Disco Polo“ als spaßige, tanzbare Antithese zum Untergang

Neu aufbereitet wurden die Stücke dazu von Franz Schütte von der Elektroband Jeans Team. Zur Veröffentlichung der Platte, die es analog auf Vinyl und digital gibt, schmeißt er am Samstag eine Party im Kreuzberger Club West Germany. Mit Musik zwischen immer angesagter Italodisco der 80er, Rap, Wave und Punk. Und ein wenig „Disco Polo“ natürlich, wie der typische polnische Elektroschlager heißt. Als spaßige, tanzbare Antithese zum Untergang.

[„Polophobia Party“, West Germany, Skalitzer Str. 133, ab 21 Uhr, der Eintritt kostet 12 Euro.]

Natürlich sei es eine unzulässige Verallgemeinerung, das ganze Land pauschal über einen Kamm zu scheren, sagt Jemowit, es sei nicht fair gegenüber all denen, die unter der gegenwärtigen Situation leiden. Man müsse aber versuchen, das, was nur wenige Autostunden östlich von Berlin geschieht, in die Öffentlichkeit zu tragen, darüber zu sprechen.

Vor polnischem Publikum hat es Jemowit schwer

In Polen selbst sei es schwer, Publikum und vor allem Labels für seine Musik zu finden, sagt Jemowit. Ein Exilant, der sich über Polen scheinbar lustig macht, das ist dort nicht gerade ein Erfolgsrezept. Außerdem funktionierten seine Parodien stark über das Moment von Scham und Fremdscham, mit dem man in Polen nicht viel anfangen könne.

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Für den polnischen Markt brauche man eine offensichtlich ernsthafte Note, gerade wenn man sich parodistischer Mittel bedient, sonst laufe man Gefahr, falsch verstanden zu werden. Die Überforderung mit seiner Musik zeige sich beispielsweise in Ausreden, wie der Absage eines Labels, in der es hieß, die Musik und der dazugehörige Videoclip seien durchaus gut angekommen, aber man sorge sich als kleines Label, dass die Platte möglicherweise ein zu großer Erfolg werden könnte. „Lieber bleibe man ein kleines, unpopuläres Label“, lacht Jemowit.

Die Party am Samstagabend im West Germany

Auf der Party wird es überwiegend polnische Musik geben, als Vorband tritt die Berliner Band Mir Express mit einer Art Synth-Pop-Punk auf, deren Sound vielleicht an Alan Vegas Band Suicide erinnert. Jemowit selbst wird mit Synthesizer und Mikrofon auftreten und Material spielen, das teilweise noch nie öffentlich zu hören war.

Seine Arrangements sind einfach, der Sound trashig. Die visuelle Komponente seiner Show sieht Jemowit auf Augenhöhe mit der Musik – Elektrotrash, Punk, Rap, Stoffe vom Flohmarkt, Kitsch, Neon, alles ist wichtig, hat den Charme des Imperfekten, bloßen Materials, das noch formbar ist, wie die politische Situation in Polen vielleicht.

Er weiß, sagt er, dass seine Kritik an einem Glaubwürdigkeitsproblem leide: Die Perspektive, die er auf die polnische Gesellschaft entwickelt hat, ist privilegiert, die eines Berliners, der de facto nicht mit denselben Alltagsproblemen zu kämpfen hat, wie Freunde und Familie auf polnischer Seite. Genau deswegen tun sich die meisten Beobachter von außen schwer mit klarer Kritik. Zugleich aber sei gerade der Abstand und die Vergleichsmöglichkeit die wichtigste Voraussetzung für eine kritische Einschätzung.

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