Briefe zu spät, Fallzahlen lückenhaft: Warum in Berliner Gesundheitsämtern so viel schiefläuft
Zehn Monate nach Beginn der Pandemie ist die Überforderung der Gesundheitsämter offensichtlich. Das war absehbar – doch die Verantwortung tragen nicht nur die Ämter.
Post vom Gesundheitsamt ist selten ein Grund zum Lachen, erst recht nicht in diesen Tagen. Die Eltern der neunjährigen Meta Grantner konnten es sich dennoch nicht verkneifen, als sie am Sonnabend ein Schreiben des Pankower Gesundheitsamtes öffneten – wenn auch aus purem Sarkasmus.
Der auf den 18. Dezember datierte Brief informierte sie über die Quarantäneanordnung für ihre Tochter. Beginnen sollte diese am 16. Dezember. Der Brief erreichte die Familie am 2. Januar.
„Das ist einfach lächerlich“, kommentiert der Vater des Mädchens. Die kleine Meta ist wohlauf, Anlass für das Schreiben war ein positiver Fall in ihrer Klasse. Die Eltern wussten seit 16. Dezember davon, die Info vom Amt kam zwei Wochen später.
Wenn auch besonders drastisch, belegt der Fall die Überforderung der Gesundheitsämter in den Bezirken doch exemplarisch. Seit Ausbruch der Pandemie in unzähligen Statements als „schärfstes Schwert in der Pandemiebekämpfung“ bezeichnet, leiden diese unter dem Ergebnis jahrelanger Sparpolitik.
Stellen fehlen, die Ausrüstung ist veraltet und statt abgestimmt und digital läuft die so wichtige Kontaktnachverfolgung provisorisch. „Ohne die Bundeswehr wären wir hier schon lange Wasser saufen gegangen“, sagte ein Gesundheitsstadtrat am Sonntag, der zuletzt häufig im Fokus der Berichterstattung stand.
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Besonders deutlich wurden die Probleme über die Feiertage und den Jahreswechsel. Anonym im Netz oder per Lesermail direkt an die Redaktion gerichtet, schilderten zahlreiche Menschen ihre verzweifelte Suche nach Testmöglichkeiten, Testergebnissen oder einfach nur einem Ratschlag. In einem Fall suchten vier per Schnelltest positiv getestete Familienmitglieder am 31. Dezember berlinweit eine offizielle Teststelle – und scheiterten.
Schließlich landeten sie in einem privaten Testzentrum und zahlten 87 Euro pro Abstrich. Immerhin erfolgte die Quarantäneanordnung des zuständigen Gesundheitsamtes am nächsten Tag per Telefon.
Eine andere Aufgabe der Ämter, die Meldung der aktuellen Infektionszahlen des jeweiligen Tages, geriet zuletzt ebenfalls ins Stocken. Über Weihnachten, zwischen den Feiertagen und über den Jahreswechsel verzichteten einige Bezirke komplett auf die tägliche Meldung. Den Negativrekord stellte ausgerechnet der besonders betroffene Bezirk Neukölln auf.
Am Neujahrstag fehlten Zahlen aus fünf Bezirken
An fünf der acht letzten Dezembertage verzichtete das Gesundheitsamt komplett auf die auch für die bundesweite Lagebeurteilung wichtige Meldung. Am Neujahrstag verzichteten gleich fünf der zwölf Bezirke darauf, Zahlen zu übermitteln.
Das Problem reiht sich ein in den Ärger über die sogenannte Wochenenddelle, die seit Monaten dazu führen, dass die Infektionszahlen zum Wochenbeginn nur wenig aussagekräftig ist, weil auch zehn Monate nach Beginn der Pandemie nicht alle Gesundheitsämter an den Wochenenden arbeiten.
Falko Liecke (CDU), Gesundheitsstadtrat von Neukölln, reagierte am Sonntag auf die Kritik, die sich am Wochenende vor allem in den sozialen Netzwerken gesammelt hatte. Liecke nahm seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schutz, verwies auf deren Dauerbelastung und antwortete auf die Frage nach den zuletzt ausbleibenden Tagesmeldungen: „Meine Männer und Frauen haben eine Pause verdient.“
Sie würden seit Frühjahr „durchackern“, das Infektionsgeschehen habe in Neukölln kaum eine Pause eingelegt. „Was ich keinesfalls unter meiner Verantwortung will: Menschen, die unter der Belastung einfach kaputt gehen“, sagte Liecke und gestand damit gleichzeitig ein, dass es in Neukölln und anderswo einfach immer noch zu wenig Personal gibt.
Sein Appell, die Arbeit des Amtes durch „konstruierte Schuldzuweisungen und Vorwürfe“ nicht noch schwerer zu machen, ist wohl auch als Hilferuf zu verstehen. Dem Tagesspiegel sagte Liecke: „Ich halte die Verschnaufpause für richtig und verantworte sie auch.“
Richtig ist: Die Ursache für die ausbleibenden Zahlen über die Feiertage liegt nicht bei den Gesundheitsämtern allein. Nicht nur aus Neukölln, auch aus Reinickendorf und Tempelhof-Schöneberg gab es Kritik an den Laboren, die für die Auswertung der Tests zuständig sind.
Diese hätten ihre Arbeit über die Feiertage und den Jahreswechsel hinweg so gut wie eingestellt, auch das Landeslabor Berlin-Brandenburg machte da keine Ausnahme. Von nur 70 Auswertungen pro Tag ist die Rede – allein Reinickendorf liefert durchschnittlich 150 Abstriche täglich.
Der Druck von Kalayci kommt für viele Berliner zu spät
„Das ärgert mich ganz besonders“, sagt Oliver Schworck (SPD), Gesundheitsstadtrat in Tempelhof-Schöneberg. Den Ämtern werde so die Arbeitsgrundlage genommen.
Verärgert, aber anscheinend machtlos steht diesem Vorgehen der Labore auch Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) gegenüber. Tagesspiegel-Informationen zufolge hatte sich der Konflikt bereits vor Weihnachten abgezeichnet, konnte aber weder von den protestierenden Gesundheitsämtern noch von Kalayci persönlich entschärft werden.
Ihr Sprecher erklärte am Sonntag, das Vorgehen des Labors werde mit Brandenburg und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) ausgewertet, der die Fachaufsicht für das Landeslabor hat. Der Druck, den Kalayci dem Vernehmen nach machen will, kommt für viele Berlinerinnen und Berliner dann allerdings zu spät.
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