Müll auf der Straße: Warum gibt es in Berlin keine Sperrmüllabfuhr?
Alte Möbel und Abfall am Straßenrand - das nervt! Für eine saubere Stadt müssten sich doch alle Parteien engagieren. Eine Kolumne.
Schlechte Sitten sind wie ansteckende Krankheiten. Wenn man selbst, wenn die Stadt, wenn das Gemeinwesen sich nicht rechtzeitig dagegen zur Wehr setzen, wird schnell chronisch, was man nicht einmal als Episode akzeptieren möchte.
Als am Rand der Nebenstraße, in der wir wohnen, eines Morgens nebenan eine Kloschüssel stand, ahnte ich, dass dies der Moment war. Der Moment, an dem die Richtigkeit der Broken-Windows-Theorie auf hässliche Weise bestätigt werden könnte. Diese Theorie der US-amerikanischen Sozialforscher James Wilson und George Kelling 1982 sagt, dass eine zerstörte Fensterscheibe, wird sie nicht repariert, zur Zerstörung eines Stadtviertels führen kann.
Wir hatten uns daran gewöhnt, dass aus vorbeifahrenden Wagen immer wieder nachts alte Stühle, Röhrenfernseher, Abfall abgestellt wurden. In dem bürgerlichen Milieu sorgten die Anwohner anfangs selbst für Ordnung. Aber das verschmutzte Toilettenbecken war genau jene Grenzüberschreitung, die es wohl gebraucht hatte, um uns aufzuwecken.
Der Weckruf mündete in einer ganz einfachen Frage: Warum gibt es in Berlin keine Sperrmüllabfuhr? Warum muss man viele Kilometer bis zum nächsten Betriebshof oder Recyclingcenter der Berliner Stadtreinigung, der BSR, fahren, um Teppichreste, Altholz und ähnliches loszuwerden? Und was machen Menschen, die kein eigenes Auto haben? Wir lernten: Man kann natürlich den Service der BSR bestellen, um etwas abholen zu lassen. Das klappt, entsprechenden zeitlichen Vorlauf eingeplant, ganz gut. Aber es kann für Menschen mit kleinem Einkommen teuer werden. Und wenn, wie am Samstag, ein Streik alle Recyclinghöfe blockiert, steigt der Frust, gerade der Berufstätigen, noch einmal. Warum geht in Berlin nicht, was überall geht, wie immer wieder Menschen berichten, die aus allen möglichen Gegenden Deutschlands nach Berlin gezogen sind? Warum kann in Berlin nicht, nach Bezirken getaktet, ein- oder zwei Mal im Jahr das an altem Mobiliar abgeholt werden, was sich nach Renovierungen oder dem Kauf neuer Möbel anhäuft? Leben hier einfach mehr, bitte entschuldigen Sie den Ausdruck, Saukerle (beiderlei Geschlechts), die es gewohnt sind, Abfall auf die Straße zu stellen? Sabine Thümler, die lebenskluge Kommunikationschefin der BSR, hat vor Jahresfrist auf eine entsprechende Frage erklärt, das funktioniere hier nicht, weil die Leute dann einfach den Müll in den Nachbarkiez brächten, statt zu warten, bis sie dran sind. Und sie verwies auf die Homepage der Stadtreinigung und die Rubrik Verschenken, Tauschen, Spenden.
Leider ist aber nicht alles, was man loswerden will, für eine dieser drei Verfahrensweisen geeignet, sondern schlicht eben: Sperrmüll. Findige Bürger haben deswegen die Facebook-Gruppe „sperrmüller“ aufgemacht, da ist alles aufgelistet, was in einem begrenzten Zeitraum im Wedding am Straßenrand stand. Es war wirklich, ich wiederhole mich: Sperrmüll. Nun hat die AfD das Thema entdeckt, liest man mit warnendem Unterton. Die Vermüllung würde, so erzählt der Politologe Lars Geiges in einem Interview mit meiner Kollegin Ariane Bemmer, in einen Zusammenhang mit der Zuwanderung aus Südosteuropa gebracht und dabei gegen Roma gehetzt. Geiges sieht die Gefahr, dass der Zorn über rechtsextremes Gerede wie von Björn Höcke hinter das Gefühl zurückgedrängt würde: Die tun wenigstens was.
Der Reinickendorfer Stadtrat für Ordnungsangelegenheiten, Sebastian Maack, ist bei der AfD. Er will jetzt die BSR davon überzeugen, in Reinickendorf-Ost, in der Residenzstraße, ein Pilotprojekt zur Beseitigung von Sperrmüll einzurichten. Es gibt keinen roten Müll und es gibt keinen braunen Müll, sondern nur Müll, den man liegen lässt oder beseitigt. Maack hat also Unterstützung verdient, genauso wie die beiden SPD-Abgeordneten Bettina König und Clara West, die der BSR für ein „Maßnahmenpaket Saubere Stadt“ zusätzliche Mittel an die Hand geben wollen, um die Vermüllung ganzer Kieze dauerhaft zu reduzieren. Und beide fordern die Wiedereinführung der kostenlosen Sperrmüllabholung zwei Mal im Jahr.
Eine vermüllte Stadt ist ekelhaft. Eigentlich müsste darüber Einigkeit bestehen. Und wenn das so ist, sollte eine parteien- und koalitionenübergreifende Initiative im Abgeordnetenhaus jede Chance haben. Eine Initiative, die alles daran setzt, diesen unhaltbaren Zustand zu beenden. Wir sollten uns nicht einreden lassen, dass es in dieser Stadt viele Menschen gebe, die das Leben im eigenen Dreck erstrebenswert finden.