Bauprojekt in Berlin-Pankow: Warum die Elisabeth-Aue erstmal ein Acker bleibt
Für 12.500 Menschen sollte die Elisabeth-Aue in Pankow ein neues Zuhause werden – bis sich Rot-Rot-Grün plötzlich anders entschied. Ein Besuch.
Schafe grasen auf der Weide, Pferdeanhänger stehen auf der Koppel, kein Mensch auf der Straße durch das 549-Seelen-Dorf Blankenfelde, nur jenseits der Felder an der Elisabeth-Aue sind gewaltige gelbe Bagger neben weißen Containern zu erkennen. Nein, das sind keine Erdarbeiten für den Bau von 5000 neuen Wohnungen für 12.500 Menschen, dieses Vorhaben hat die rot-rot-grüne Koalition gestoppt. Am Rand der Elisabeth-Aue entstehen „Tempohomes“ für rund 600 Geflüchtete, Provisorien für eine Dauer von drei Jahren.
Ja haben die Koalitionäre denn die Wohnungsnot abgeschafft? fragt sich mancher und reibt sich die Augen, weil eines der größten Bauvorhaben der wachsenden Stadt einfach auf Eis gelegt wurde. Oder hat sich hier eine Pankower „Nicht in meinem Hinterhof“-Mentalität durchgesetzt? „Im Gegenteil, von den zwölf großen Neubauvorhaben im Koalitionsvertrag liegen drei in Pankow“, sagt der Baustadtrat des Bezirks Jens-Holger Kirchner (Grüne). In Buch, an der Michelangelostraße, am Pankower Tor wird gebaut und auf vielen anderen großen und kleinen Brachen, die der Bezirk zur Bebauung ausgewählt hat, sei „Platz für 30.000 Wohneinheiten“. Dass die Elisabeth-Aue rausgefallen ist, so sagt Kirchner sei „eher ein Zufall“.
Eine Laune der Geschichte, könnte man auch sagen, denn die Aue war ein Einsatz im Kuhhandel, wie Koalitionsverhandlungen auch schon mal beschrieben werden: Die SPD wollte diese Siedlung, während Grüne und Linke das Vorhaben ablehnten, weil sie heftigste Kritik dafür bekommen hätten. Stattdessen verzichteten sie auf ihre Forderung, ein strengeres Nachtflugverbot für den BER am anderen Ende Stadt durchzusetzen – was der SPD entgegenkam, die Einschränkungen unbedingt verhindern wollte.
Die Gegner rechnen mit einem Verkehrskollaps
„Die Bebauung zu verhindern, war ein Wahlversprechen“, sagt Jörn Pasternack, Polizist und Sprecher des „Elisabeth-Aue-Vereins“, der sich gegen die Pläne ausspricht. Er lebt selbst in der Nähe der Felder – verteidigt da einer nur seine Partikularinteressen? „5000 Wohnungen auf dieser Fläche, dazu wäre eine noch dichtere Bebauung als im Märkischen Viertel nötig, das ist völlig unrealistisch“, kontert er. Das angrenzende Französisch-Buchholz sei bereits in den 1990er Jahren so stark gewachsen, dass die Straßenbahn schon heute mit Pendlern völlig überfüllt ist. Und Autofahren ist auch keine echte Alternative: Über den Rosenthaler Weg, der am Rand der Elisabeth-Aue entlang führt, preschen Lkws, um den Autobahnzubringer zu erreichen. Kurzum, der Verkehrskollaps wäre mit der Siedlung programmiert.
Einen „Sieg der Demokratie“ nennt Oskar Tschörner von der Bürgerinitiative deshalb auch den rot-rot-grünen Beschluss. Er beklagt vor allem den ökologischen Kahlschlag, der durch den Siedlungsbau im Landschaftsschutzgebiet zu erwarten wäre, wodurch außerdem noch das „artenreichste Vogelhabitat Europas“ gefährdet sei. Seine Initiative will die Felder dauerhaft für die Landwirtschaft sichern und in das Landschaftsschutzgebiet integrieren. Ärger und Verdruss lösten bei den Bürgern dabei vor allem die „selbstgerechte“ Haltung des – nunmehr abgewählten – Senats aus: „Die haben gar nicht darüber reden wollen, ob gebaut wird, sondern nur noch wie“, sagt Tschörner.
Der neue Senat verspricht mehr Beteiligung der Bürger
Auch das soll sich ja jetzt ändern, die Bürger sollen künftig besser angehört und früher beteiligt werden, so steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag. Bauer Michael Neuendorf kann jetzt auch ruhiger schlafen. Er hat 50 Schafe und gut 20 Pferde „zur Pension“ auf seinen Äckern rund um die Aue. „Wie soll ich die halten, wenn 12.000 Menschen über die Felder trampeln würden“, sagt er. Nicht industrielle sondern entschleunigte Landwirtschaft betreibt Neuendorf: Der Pferdemist kommt auf die Felder, natürlicher Dünger für das „hochwertige Heu“, das dort wächst, auch gut für die Kaninchenställe der Kinder vom Kollwitzplatz – nebenbei pflegt Neuendorf das Landschaftsschutzgebiet.
Dass hier, am Rande Pankows, eine Siedlung aus der Retorte ohne vernünftige Verkehrsanbindung zu entstehen drohte – das weckt Erinnerungen an die großen Siedlungsprojekte, die kurz nach der Wiedervereinigung vom Senat auf den Weg gebracht wurden: Karow Nord zum Beispiel oder die Wasserstadt Spandau. Auch damals wuchs Berlin kräftig, und die Planer wiesen hektarweise Siedlungsflächen am Stadtrand aus, die mangels Nachfrage jahrelang ausgestorben wirkten und mit Hunderten von Steuermillionen bezuschusst werden mussten.
War die Wohnungsnot damals so groß wie heute? 50.000 Menschen mehr als vor zwölf Monaten werden Ende 2016 in Berlin leben, in den vorangegangenen drei Jahren war die Stadt jeweils um 40.000 Menschen gewachsen. Gut möglich, dass die Bebauung der Elisabeth-Aue nach dieser Legislaturperiode wieder ein Thema wird. Stadtrat Kirchner jedenfalls sagt: „Dass sie nicht bebaut wird, steht nicht im Koalitionsvertrag. Das Ganze ist für fünf Jahre zurückgestellt.“
Die neuen Stadtquartiere - eine Übersicht
Im Koalitionsvertrag von SPD, Linken und Grünen, der noch von den Parteigremien beschlossen werden muss, stehen insgesamt elf neue Stadtquartiere. Es sind etwa 37 000 Wohnungen vorgesehen. Das sind die folgenden Entwicklungsgebiete:
Mitte: Europacity/Lehrter Straße 44 Hektar
Neukölln: Buckower Felder 10 Hektar
Pankow: Blankenburger Süden 70 Hektar, Buch 54 Hektar, Michelangelostraße 186 Hektar (Modellquartier für ökologischen Neubau, Nutzungsmischung und innovative Mobilitätskonzepte)
Reinickendorf: Schumacher-Quartier 48 Hektar (Modell für ökologischen Neubau, Nutzungsmischung und innovative Mobilitätskonzepte)
Spandau: Wasserstadt Oberhavel 76 Hektar, Gartenfeld 34 Hektar
Treptow-Köpenick: Johannistal/Adlershof 20 Hektar, Köpenick 50 Hektar,
Steglitz-Zehlendorf: Lichterfelde Süd 96 Hektar.