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Wie intelligent Kinder sind, fällt in der Schule nicht unbedingt auf. Deshalb gibt es den zentralen IQ-Test.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mit Abstrich zum IQ-Test: Warum Berlins Schulen trotz Corona zum Eignungstest laden

An sieben Schulen startet am Sonnabend die Auswahl für die Schnelllernerklassen. Wegen der Pandemie gibt es große Bedenken.

Welcher Aufwand und welche Risiken sind gerechtfertigt für einen Eignungstest? Diese Frage treibt gerade Hunderte Familien sowie Dutzende Lehrkräfte und Schulpsychologen um. Anlass ist das bevorstehende Auswahlverfahren für Berlins Schnelllernerklassen: Die entscheidende Testung soll am Sonnabend an den sieben Gymnasien stattfinden, die diese besonderen Klassen seit vielen Jahren führen. Angesichts der Infektionszahlen fordert nun der Verband der Berliner Schulpsychologen, den Plan zu ändern.

„Die geplante Durchführung in einer Hochphase der Coronavirus-Pandemie halten wir für unverhältnismäßig und unverantwortlich“, steht für Matthias Siebert vom Landesverband Schulpsychologie fest. Es werde zwar ein großer Aufwand betrieben, „den möglichen Hotspot, der durch die Testdurchführung entstehen kann, einzudämmen“.

Durch diese „Fixierung“ auf die technischen Maßnahmen würden aber die psychischen Belastungsfaktoren, denen die neun- bis zehnjährigen Kinder vor und während der Testung unter Pandemiebedingungen ausgesetzt seien, übersehen, mahnt Siebert, Fachbereichsleiter im schulpsychologischen Dienst von Steglitz-Zehlendorf. Es werde „viel schwerer sein, eine angstfreie, motivierende und vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen, um Blackouts zu verhindern“.

Stattdessen schlägt Siebert vor, den Test zu verschieben. Über ein alternatives Verfahren sollten die Fachleute beim schulpsychologischen Dienst beraten. Der jetzige Test werde ohnehin von vielen Kollegen kritisch gesehen. Dennoch geht Siebert davon aus, dass genügend Kollegen bereit sein werden, am Sonnabend die Kinder anzuleiten.

Das ist wichtig, denn die Schulpsychologen kennen sich mit dem Verfahren am besten aus. Überdies stehen allerdings auch Lehrkräfte und andere Pädagogen bereit, die speziell geschult wurden: Schließlich hat die Testung in Berlin schon eine gewisse Tradition und ist das Ergebnis jahrelanger Diskussionen.

Für Hochbegabte ist der Test eine einmalige Chance

Wie groß die Unruhe am Sonnabend sein wird, lässt sich zurzeit noch nicht sagen: „Die Lage ist zu unklar, alle warten auf den nächsten Coronagipfel am Dienstag“, heißt es aus einer der betroffenen Schulen. Was hingegen klar ist: Die Schulleiter wünschen sich mehrheitlich, dass der Test stattfindet, denn er erleichtert es ihnen, die besonders begabten Kinder zu finden, die tatsächlich für das straffe und anregungsreiche Programm der Schnelllernerklassen geeignet sind.

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Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel des Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasiums: Fast 300 Kinder wurden hier für den Test angemeldet – und das bei nur knapp 100 Schulplätzen. Schulleiter Ralf Treptow ist sicher, dass es „keine Alternative“ zu dem gewählten Verfahren gibt, weil an den Grundschulen viele Hochbegabte übersehen würden. Daher sei es so wichtig, dass die Zulassung zu den Schnelllernerklassen nicht nur an die Grundschulnoten, sondern eben auch an den Eignungstest gebunden sei.

Damit das Verfahren von der Sicherheit her möglichst viele überzeugt, haben sich Schulleiter und Bildungsverwaltung eine Menge einfallen lassen. Vor allem: Bereits am Vortag wird an allen sieben Schulen Schülern und Fachkräften ein Corona-Schnelltest angeboten: Die Verwaltung schickt dafür mobile Teststationen. Ein Übriges tun getrennte Eingänge, kleine Testgruppen, ein Online-Anmeldesystem und minutiöse Absprachen.

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Nicht alle überzeugt das: „Es ist riskant, dass sich so viele Menschen auf den Weg machen“, sagt etwa Katharina Neumetzler, Schulpsychologin in Neukölln. Dieser Umstand widerspreche doch dem Grundsatz, die Mobilität einzuschränken. Ebenso wie Schulleiterin Helmke Schulze vom Dathe-Gymnasium bedauert Neumetzler, das „nicht rechtzeitig Alternativen geprüft wurden“.

Von Elternseite ist bisher keine Gegenwehr bekannt: „Wir fahren mit dem Auto hin, wo sollen wir uns da anstecken?“, widerspricht ein Vater den Bedenken. Zu den Testterminen soll immer nur ein Elternteil mitkommen. So könnten aus rund 700 Kindern, deren Eltern und rund 50 Helfern etwa 1500 Beteiligte insgesamt werden, die sich auf das Rosa-Luxemburg-, Otto-Nagel-, Werner-von-Siemens-, Lessing-, Humboldt-, Dathe- und Albrecht-Dürer-Gymnasium verteilen.

„Es ist ein schwieriger Abwägungsprozess“, räumt die Senatsverwaltung für Bildung ein: „Wollen wir es den Schulen ermöglichen, dass sie rechtssicher ihre Schnelllernerklassen unter besonderen Sicherheits- und Infektionsschutzvorkehrungen einrichten können? Oder wollen wir die Schulen in einer Phase, in der sie besonders herausgefordert sind, in zusätzliche organisatorische Schwierigkeiten bringen? Verbunden mit dem Risiko, dass in diesem Jahr keine solche Klassen eingerichtet werden können“, umreißt Verwaltungssprecher Martin Klesmann das Problem. „Natürlich“ stehe die Entscheidung unter dem Vorbehalt der Beschlüsse des Coronagipfels auf Bundesebene und der Senatssitzung in der kommenden Woche.

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