Iftar auf dem Leopoldplatz: Warten auf den Hunger im Ramadan
Im Fastenmonat Ramadan sollen Muslime tagsüber möglichst nichts essen und trinken. Unser Autor war zum Fastenbrechen im Wedding eingeladen und hat davor 24 Stunden lang verzichtet.
Es hat anscheinend doch so seine Spuren hinterlassen.
Warst du feiern gestern?, fragt mich ein Freund am nächsten Tag. Siehst so fertig aus.
Nein, sage ich, beziehungsweise, doch. Gestern war Ramadan. War gut.
Aber von vorne.
Los geht es mit einer Einladung. Auch in diesem Jahr wird es ein Iftar auf dem Leopoldplatz geben, steht in der E-Mail, dieses öffentliche Fastenbrechen ist einmalig in Berlin. Wir würden uns freuen.
Und wenn man zum Fastenbrechen eingeladen wird, denke ich, dann sollte man vorher auch schon ein bisschen fasten.
Ich habe noch nie gefastet. Ich bin kein Muslim. Bei uns zu Hause war man undogmatisch katholisch, man ließ den Papst meist Papst sein, in manchen Jahren nahmen wir uns am Aschermittwoch für die nächsten 40 Tage etwas vor, keine Süßigkeiten, keine Schimpfwörter, so in der Art, hielt meist nicht lange. Auch später kam mir echter Verzicht nie wirklich in den Sinn. Aber das Fasten, das interessiert mich jetzt. 24 Stunden nichts essen und trinken. Wie ist das? Was macht das mit einem? Vor der fehlenden Flüssigkeit habe ich gleich am meisten Angst, auch wenn die ganz heißen Tage zum Glück schon vorbei sind. Dennoch schummele ich ein bisschen, trinke nach dem Aufstehen ein Glas Wasser, am späteren Vormittag noch eine Tasse Tee. Das war's dann aber.
Innere Einkehr und Solidarität
Es ist Mittag, ich sitze am Schreibtisch, arbeite ein bisschen vor mich hin, und warte auf den Hunger.
Der Ramadan, lese ich, ist eine Zeit der inneren Einkehr, der Abwendung von Sünden und Lastern, der Reduzierung auf das Wesentliche. Auch Rauchen und Geschlechtsverkehr ist zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang verboten. Eine Übung in Selbstbeherrschung, eine „innere Abrechnung“, wie es der Zentralrat der Muslime auf seiner Seite islam.de formuliert. Und das einen ganzen Monat lang, Tag für Tag. Für die Muslime, die ihn befolgen, ist der Ramadan ein Marathon, kein kleiner Zwischensprint wie bei einem wie mir, der nur mal für einen Tag reinschnuppert.
Der Tag verläuft zunächst ganz gut. Ein leichtes Magenziehen, als der Körper merkt, dass da nichts mehr nachkommt. Irgendwann ein Grummeln. Dann wieder Ruhe. Geistige Arbeit scheint zu funktionieren mit leerem Magen, die Gedanken fließen. Erst ab halb vier nachmittags kommt der richtige Hunger. Und immer noch sechs Stunden bis zum Sonnenuntergang. Der Beginn des Iftar ist offiziell festgelegt, an diesem Tag in Berlin auf genau 21.36 Uhr.
Es ist halb sechs abends, und ich arbeite nicht mehr. Ich zähle die Stunden, bis ich endlich los kann, rüber zum Leopoldplatz. Ich habe mich mit einem muslimischen Freund verabredet, der den Ramadan komplett durchzieht. Er macht noch ein Nickerchen, bevor wir uns treffen. Jeder fastet für sich alleine, aber abends, beim Iftar, steht die Familie, die Gemeinschaft, das Miteinander im Vordergrund. Abends kommen alle wieder zusammen. Auch Solidarität ist eine Lehre des Fastenmonats.
Die letzten Stunden werden lang. Der Mund trocken, eine seltsam wache Dösigkeit, an Schlaf zum Überbrücken ist nicht zu denken, ein Brennen um die Augen, die Lider schwerer als normal, ein leichtes Achterbahn-Gefühl im Magen. Irgendwann hat man sich dran gewöhnt.
Datteln auf Papptellern
Spätestens dann, als wir auf dem Leopoldplatz sitzen, zusammen mit 300 anderen, noch eine Stunde. Es wird langsam dunkler. Wir sitzen an langen überdachten Tafeln vor Schinkels alter Backsteinkirche. Getränkeflaschen auf den Tischen, Cola, Fanta, Wasser, umgedrehte Gläser, auf Papptellern ein paar Datteln, traditionell das erste, was die Fastenden beim Iftar zu sich nehmen. Noch rührt keiner irgendwas an. Alle warten. Plaudern.
Die Idee zum gemeinsamen Iftar für alle, das hier zum vierten Mal stattfindet, kam vom Runden Tisch Leopoldplatz: Nachbarn verschiedener Kulturen sollen sich näher kommen. Schirmherr ist Bezirksbürgermeister Hanke. Ich wünsche mir, sagt er drüben auf der Bühne, dass wir nachher, wenn die Sonne untergeht, miteinander essen und trinken und uns kennen lernen. Dass wir gemeinsam friedlich leben und aufeinander achten und darauf, dass Mitte ein lebenswerter Bezirk ist.
Die Menschen klatschen. Die Bänke sind jetzt voll. Erwachsene und Kinder, Männer und Frauen. Ein paar Lokalpolitiker, ein paar Frauen mit Kopftuch, viele Frauen ohne Kopftuch. Zwei Polizisten in blauer Uniform neben einer Schönheit im Sommerkleid. Ein Afrikaner neben zwei türkischen Schwestern. Am Kopfende zwei deutsche Omis, die Rollatoren neben sich geparkt.
Sie alle sitzen zusammen auf dem Leopoldplatz und warten. Die letzten Minuten.
Und dann ist es soweit. Und alle hören den Gebetsruf, er kommt live von der Bühne, es ist kurz nach halb zehn, und in den Pausen zwischen den Versen wird es ganz still. Selbst die Kinder scheinen den Atem anzuhalten. Dann weht der Gesang wieder über den Platz. Es ist bewegend. Ein Weddinger Moment.
Dann der Segen.
Dann die Dattel.
Sie ist süß und weich und schmeckt ganz wunderbar.
Johannes Ehrmann
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