Wohnungsnot in Berlin: Wachstumsprobleme: Was wird aus den Schrebergärten?
Sie entstanden als Provisorien und wurden für die Berliner zur zweiten Heimat. Jetzt sind viele Kolonien bedroht. Ein Streifzug durchs Berliner Grün.
Einer muss ein Ahorn gewesen sein, der andere eine Eiche. Nun ragen nur ihre Stümpfe aus dem Boden, die mächtigen Stämme sind gefallen und abtransportiert worden. Vor einem Jahr beschatteten ihre Kronen noch den Festplatz. Alles ist verschwunden, Fränkys Gasthaus und 152 Kleingärten. Stattdessen spärliche Gräser und eine 45 000-Quadratmeter-Brache gleich neben dem, was von der Kleingartenkolonie Oeynhausen heute noch übrig ist.
„Ich habe Leute weinen sehen“, sagt Wolfgang Mahnke und meint: Am Tag, als die Bagger kamen. Es muss viel Wut im Spiel gewesen sein. „Fuck SPD + Grüne“ hat einer mit gelber Farbe auf den Weg gemalt, der zum abgebaggerten Areal führt. Der Slogan passt so gar nicht zu den meist älteren Herrschaften, die man hier an einem Wochentag hinter Zäunen ihre Gärten pflegen sieht.
Aber da wurden nicht einfach nur 152 Hütten mit ein bisschen Grün eingeebnet. Das waren Orte, in denen Mahnkes Nachbarn ihre Äpfel reifen sahen und ihre Kinder aufwachsen, wo die laufen lernten, hinfielen und getröstet wurden, wo Familien tanzten, wenn der Berliner Boogie-Altmeister Manne Chicago auf der kleinen Zementfläche vor dem Vereinshaus sein Klavier aufbaute oder irgendeine Blaskapelle loslegte.
Mit seinem Jackett und dem weißen Hemd sieht der 72-Jährige gar nicht aus wie ein Gärtner. Dabei zählt er zu denen, die die Kolonie am längsten kennen. Er hat mehr Glück gehabt als die drüben hinter dem Zaun. Vorerst wenigstens.
Die Öde, kaum 20 Meter von Mahnkes Gartentor entfernt, ist ein Zeichen des Fortschritts. Stumm steht ein gelber Bagger auf dem weiten Feld. Wenn alles kommt wie es soll, dann wird er loslegen, wird Gruben ausheben für die Fundamente der Häuser, die hier 700 Wohnungen aufnehmen sollen. Noch ist nicht absolut sicher, ob die Bagger wirklich vor Mahnkes Parzelle haltmachen werden. Denn es geht um die Zukunft der Stadt. Eine Stadt, die wächst, um 40 000 Neubürger im Jahr. Menschen, die untergebracht werden müssen, deren Kinder Schulen brauchen, die irgendwie zur Arbeit fahren müssen, Platz benötigen.
Es geht aber auch darum, wie diese Stadt aussehen wird – und ob man in ihr leben mag. Ob Traditionen noch zu Recht bestehen. Und um Geld geht es auch, um sehr viel sogar.
Der Mann mit dem grau gewellten Haar ist Jurist, sein Berufsleben hat er in einer Senatsverwaltung verbracht. Er müsste also wissen, wie die Dinge in dieser Stadt laufen. Als die Existenz seiner Kolonie auf der Kippe stand, ging Wolfgang Mahnke nicht vor Gericht, sondern auf die Barrikaden.
Er und seine Nachbarn verteilten Flugblätter und sammelten Unterschriften. Nicht nur hier in der Nachbarschaft, wo sich sowieso alle kennen. Auf dem Mierendorffplatz drüben in Charlottenburg stand er mit seinen Listen. Am Ende waren mehr als 70 000 Bürger der Meinung, Oeynhausen müsse gerettet werden.
Die Parzelle hier hat schon Mahnkes Oma gehört. Da war er vielleicht zehn oder zwölf. Ein hübsches Haus, mit spitzem Dach und hoher Decke, aus dicken Bohlen gefertigt. Vom Giebel herunter hängt ein mehrarmiger Kerzenleuchter. Strom hat Mahnke keinen, ein Wasserklosett auch nicht. Braucht er nicht. Der Blick von der Terrasse ist derselbe wie damals, als Wolfgang, der Stadtjunge, noch kurze Hosen trug: Knorrige Apfelbäume fügen sich zu einer kleinen Allee. Ein Geschenk jener Bauern, die vor über hundert Jahren dieses Feld am Rande der ausufernden Stadt abgaben.
Die Oma konnte nicht stillsitzen, erinnert sich Mahnke. Zwar habe sie immer behauptet, „jetzt setze ich mich mal in den Garten“, dann sprang sie wieder auf, zupfte hier, harkte dort, wo sich im Sommer die Familie traf. Nun sitzt er unter den Weinblättern, die sich die Pergola entlangranken. Sein Werk. Aus den Trauben hat er 34 Gläser Gelee gekocht. Inzwischen ist er der Großvater, kommen seine Enkel zum Spielen, bis sie vielleicht eines Tages die Parzelle übernehmen. Aber wer weiß das schon?
Auch die 70 000 Unterschriften konnten nicht verhindern, dass rund ein Drittel der Kolonie eingestampft wurde. Dass den Oeynhausern mit dem Vereinshaus ihre Mitte abhanden kam, ihr Mittelpunkt. Das Vereinshaus war mit der Gaststätte der Platz, wo alle zusammenkommen konnten. Wo sie ihre Feste feierten, wo der Vorstand tagte, wo sie sich berieten, wie man sich gegen die Bedrohung wehren könne.
Dabei bestand die Kolonie doch schon so lange. Gegründet wurde sie 1904, die Mehrheit des Geländes erwarb die Reichspost für irgendeinen Zweck, der sich nie einstellte. Eine Investition in die Zukunft gewissermaßen. Ähnlich hielten es andernorts die Kirche, die Bahn, auch die Stadt. Bauerwartungsland nannte man solche Flächen. So lange nichts zu erwarten war, überließ man sie den Kleingärtnern.
Es gab diese Grundstücke überall in der Stadt, im Westen und im Osten, an den Rändern und in der Mitte. Das ist das Besondere an Berlin: Andere Städte haben auch Gemeinschaftsgärten, aber sie wurden an die Ränder verbannt.
Und nirgends sind es so viele wie hier. Mehr als 70 000 Parzellen werden in der Stadt bewirtschaftet, rund doppelt so viele wie in Leipzig und Hamburg, die auf den Plätzen zwei und drei folgen. Kleingärten sind so berlinisch wie Currywurst, soll Eberhard Diepgen einmal gesagt haben. Die Kleingärten machen gut 3200 Hektar, rund zehn Prozent des Stadtgrüns aus. Sie nehmen damit dreimal so viel Fläche ein wie alle Berliner Sportstätten, Stadien, Bolzplätze und Pferderennbahnen zusammen. Oder auch: Dreimal so viel wie sämtliche Friedhöfe zusammengerechnet. Und deshalb darf man mit einigem Recht behaupten: Berlin ist die Welthauptstadt der Kleingärtner.
Als die Kolonie Oeynhausen gegründet wurde, war Wilmersdorf gleichwohl noch ein Vorort von Berlin. Heute zählt das Gelände, nur knapp außerhalb des S-Bahnrings, fast schon zur Innenstadtlage. Begehrt und teuer.
2008 verkaufte die Post das Grundstück. Da wähnten sich die Oeynhauser noch sicher: Die mehr als 90 000 Quadratmeter gingen für 600 000 Euro über den Tisch, ein angemessener Preis für Grünland, auf dem wohl nie ein Haus stehen würde. Schließlich sah der Flächennutzungsplan hier eine Dauerkolonie vor. Aber ein Flächennutzungsplan wirkt nur verwaltungsintern, sagt der Jurist Mahnke. Erst ein Bebauungsplan setzt eine Rechtsnorm.
Der Käufer, eine luxemburgische Investmentgesellschaft namens Lorac, berief sich auf ein altes Baurecht von 1958, wonach entlang der Straßenfluchten dreistöckig gebaut werden darf. Mahnke glaubt, das hätte verhindert werden können – wenn der Bezirk nur rechtzeitig einen neuen Bebauungsplan fertiggestellt hätte. Tatsächlich wurde bereits 1986 ein entsprechendes Verfahren auf den Weg gebracht. Aber Verwaltungen, sagt der ehemalige Verwaltungsmann, neigen dazu, Entscheidungen aufzuschieben, wenn Schwierigkeiten drohen.
Die Lorac stellte Bauantrag, als auch darauf nichts geschah, drohte sie mit Schadensersatzforderungen. Und zwar für ein Grundstück, dass jetzt nicht mehr 600 000 Euro wert war, sondern 25 Millionen oder mehr. Wie viel genau, und ob sie überhaupt zu Recht hätten geltend gemacht werden können, sollten die Gerichte klären. Es ging um Summen, die einen Bezirksstadtrat schwindlig machen. Es ging um Wohnungen, die in der Stadt Berlin so dringend benötigt werden.
Nachdem die Berliner Groth-Gruppe das Areal erworben hatte, bot sie dem Bezirk und den Kleingärtnern einen Kompromiss an. Wenn man sie auf der Hälfte ihrer 90 000 Quadratmeter statt der drei Etagen bis zu acht errichten ließe, dürften die Oeynhausener die andere Hälfte weiterhin beackern. Für den Fall allerdings, dass man zu keiner Einigung käme, könnte sie das gesamte Areal bebauen. Im Gegenzug müssten sich die Oeynhausener verpflichten, ihren Teil des Areals zu räumen und der Bezirk musste Baurecht schaffen.
Die Oeynhausener wählten den Rückzug. Seitdem sieht man an vielen Gartentoren auf den verbliebenen Wegen der Kolonie einen Trauerflor hängen. Auch bei Frank Sommer, dem stellvertretenden Vereinsvorsitzenden. Er kann immer noch nicht fassen, wie aus Grünland plötzlich Bauland wurde. Grünland, das doch auch wichtig sei. Seit 1976 bewirtschaftet er mit seiner Frau Bärbel die Parzelle.
Was haben sie hier nicht alles reingesteckt, haben den geraden Weg eingeebnet und dafür einen verschlungenen Pfad angelegt, Gemüse angebaut und Obst, allein die Erdbeeren: gar kein Vergleich zu denen aus dem Supermarkt. Haben ihren Sohn hier großgezogen, bis der schließlich selber Landschaftsgärtner wurde. Heute zahlen sie 400 Euro Pacht im Jahr für 300 Quadratmeter.
Klingt das nicht sehr preiswert in einer Stadt, in der man als Neumieter große Schwierigkeiten hat, eine Wohnung für unter zehn Euro warm den Quadratmeter monatlich zu kriegen?
Natürlich, sagt Frank Sommer. Aber dafür haben sie hier ein kleines Paradies geschaffen, in dem sich nicht nur die Sommers, sondern auch die Wildbienen und der Stieglitz, die Schmetterlinge und sogar eine Ringelnatter wohlfühlen. Mal ganz abgesehen davon, dass die Kolonie im Klimaplan des Landes Berlin als Kaltluftentstehungsgebiet verzeichnet war. Was man daran merkt, dass es im Sommer hier immer ein wenig erträglicher ist als in den aufgeheizten Straßen der Stadt.
Bedroht waren die Kleingärten eigentlich immer. Viele hatten nur Glück, dass nicht alle großen Pläne realisiert wurden. Hitlers Rüstungsminister Albert Speer plante riesige Schneisen, die auch hunderte Kleingärten eingeebnet hätten. Eine seiner versuchsweise planierten, gigantischen Achsen endet als kurzer Stummel in Lichterfelde vor der Kleingartenkolonie Schweizerland.
In der Mauerstadt gehörten die Gärten zur Grundversorgungsreserve. Im Ostteil reichten Kleingärtner ihre Kaninchen, ihr Obst und ihr Gemüse an die Einkäufer der Konsumgenossenschaften weiter. Das war so wichtig, dass 1977 der Ministerrat entschied, es dürfe keine Massenräumungen mehr geben, sogar neue Kleingärten müssten errichtet werden.
Dabei wuchs die Stadt schon an der Wende zum 20. Jahrhundert gewaltig – allein zwischen 1890 bis 1913 um ein Viertel. Familien mit bis zu zehn Mitgliedern waren gezwungen, sich ein Zimmer zu teilen. Und weil das alles nicht reichte, entstanden wilde Hüttenkolonien, auch am Kottbusser Tor. Kleingärtner beackerten ihre Parzelle aus materieller Not heraus. Wahrscheinlich wäre Deutschland im Ersten Weltkrieg viel früher kollabiert, wenn es in den Städten keine Kleingärten gegeben hätte. Dann kam noch revolutionärer Elan dazu. Die Novemberrevolution 1918 fegte nicht nur die Monarchie hinweg, auch die Kolonisten erhoben sich in rebellischer Absicht. Am Ende stand 1919 ein erstes Kleingärtnergesetz.
Die grünen Parzellen sind Refugien einer Privatheit, ließen ein Fürsichsein zu, wie es in den kleinen, überfüllten Wohnungen gar nicht möglich war. Und weil das nach dem Zweiten Weltkrieg wieder so wurde, ist es kein Wunder, dass in den Erinnerungen älterer Kleingärtner seltener von Riesenkürbissen die Rede ist, als vielmehr von Familienfesten, von Tante Frieda und Onkel Paul.
Dass das Grün an sich schützenswert sein könnte, stand nicht ganz oben auf der Agenda.
Der flache Zweckbau des Verbands „Berliner Gartenfreunde“ hinterm Bahnhof Schöneweide war früher mal der Betriebskindergarten der Eisenbahner. Im Vorzimmer wartet ein Paar mittleren Alters, als hätten sie sich um eine Parzelle beworben und würden nun gern Auskunft erhalten. Im Büro von Günter Landgraf surrt ein Computer, auf einem Schrank mit Pokalen gedeiht eine kleine Sonnenblume. Sie ist aus Stoff.
"Kleingärten stärken", verspricht der Bund
Für Gartenarbeit hat der Verbandsvorsitzende kaum noch Zeit. Der 69-Jährige steckt in schwierigen Verhandlungen. Es geht um den Kleingartenentwicklungsplan, der eigentlich 2014 abgelaufen wäre, aber erst einmal bis 2020 verlängert wurde. Der Plan nennt Schutzfristen, während derer als Dauerkleingarten anerkannte Kolonien Bestand haben sollen. Aber dort steht auch, dass „Kleingartenflächen aufgrund ihrer hohen Lage- und Verkehrsgunst im Innenstadt- und Innenstadtrandbereich für gesamtstädtisch bedeutsame Projekte in Anspruch genommen werden sollen.“ Betroffen könnten 16,5 Prozent der Kleingartenflächen sein, deren Status nur „zeitlich“ oder gar „bedingt“ gesichert ist.
Wenn 2020 erste Schutzfristen ablaufen, heiße das nicht, dass umgehend Bagger vor der Tür stünden, sagt Landgraf. Doch solange es keinen neuen Entwicklungsplan gibt, quält die Betroffenen die Ungewissheit. Nicht jeder hält es mit Luthers Satz, dass, wenn morgen die Welt unterginge, einen Apfelbaum zu pflanzen ein sinnvoller Akt wäre. Gartenarbeit braucht die Erwartung einer Ernte.
Landgaf hat nicht nur 70 000 Kleingärtner im Rücken, sondern auch noch 14 000 Bewerber, die sich berlinweit um eigene Gärten bemühen. Mit Wartezeiten kaum unter vier Jahren ist zu rechnen.
„Wir reden hier über Grünflächen, deren Pflege die Stadt nichts kostet“, ist ein gern von Landgraf vorgebrachtes Argument. Es könnte das stärkste sein, das er hat. Im April 2017 hat das Bundesumweltministerium das „Weißbuch Stadtgrün“ herausgebracht: „...Zudem wird der Bund Kleingärten und Gemeinschaftsgärten in ihren sozialen und ökologischen Funktionen stärken“, steht da. Nicht viel anders stand es im Rot-Rot-Grünen Koalitionsvertrag. „Kleingärten erfüllen neben dem ökologischen Aspekt eine wichtige soziale und gesundheitsfördernde Funktion“. Und darum: „Kleingärten werden gesichert!“
Auf diesen Flächen, heißt es in der Berliner „Planungshinweiskarte Stadtklima 2015/2016“, sollten „bauliche Eingriffe äußerst maßvoll und unter der Prämisse der Sicherung der grundsätzlichen Klimafunktionen erfolgen.“ Weiter wird gewarnt, dass die nachts auf Grünland produzierten Kaltluftmengen durch stark ausgeprägte Hindernisse abgebremst würden.
Als Beispiel für einen gelungenen „zusammenhängenden Grünzug“ nennt der Plan ausdrücklich die Schneise Rudolf-Wilde-Park, Volkspark Wilmersdorf und Fennsee, die durch die Kleingartenanlage Oeynhausen ergänzt wird. Der Plan erschien 2015, etwa zur selben Zeit, als auch die Räumungsbescheide an 152 Pächter in der Kolonie ergingen.
Denn nicht nur für das Stadtklima wurden Pläne geschmiedet. Beinahe zeitgleich wurde der Stadtbauentwicklungsplan Wohnen auf den Weg gebracht, der neben Oeynhausen 40 weitere Kolonien infrage stellt.
Warum werden sie so oft übervorteilt? Haben die Kleingärtner keine nennenswerte Lobby?
Das negative Image ist über die vergangenen Jahre längst aufgeweicht worden. Es hatte wohl weniger mit den „Laubenpiepern“ zu tun, als mit dem Bundeskleingartengesetz: Eigentlich zum Schutz der Kolonisten erdacht, auferlegt es den Gärtnern strenge Regeln. Hinzu kommen zahlreiche kommunale Vorschriften. Sie sollen die Gemeinnützigkeit garantieren: Wenn etwa die Hecke höher ist als 1,25 Meter, kann man ja nicht mehr hinüber schauen, bleibt die Allgemeinheit außen vor. Und auch das, was der Kleingärtner da anbaut, ist geregelt. Faustregel: 40 Prozent für Obst und Gemüse, der Rest für Rasen, Blumen, Wege und die Hütte, die 24 Quadratmeter nicht überschreiten darf.
Vor allem Berliner mit Migrationshintergrund kann das deutsche Vereinswesen schon mal verstören. Prominentes Beispiel ist Wladimir Kaminer. Der Autor und ehemalige Moskauer wurde Pächter eines Kleingartens und beschrieb sein Leben darin in einem Buch. Kaminer hatte seinen Garten im Prenzlauer Berg, in der Kolonie Bornholm II.
Dort ist Edwin Damrose der Vereinsvorsitzende. Der ehemalige Polizist ist 63, hat sein Büro in einem Nebenraum der Vereinsgaststätte. Vor ihm ein Stapel Papiere, 40 oder 50 Bewerbungen, bei zwei freiwerdenden Parzellen.
Die Bewerber bieten Geld. Das müssen sie auch. Mindestens 4 000 Euro kostet eine Laube bei Übernahme, es können 14 000 werden, je nachdem, was unparteiische Schätzer für einen Wert feststellen. Damrose zieht ein Beispiel aus dem Stapel: 62 Quadratmeter Rasen werden mit 24,80 Euro angesetzt, neun Hortensien mit 45 Euro, sechs Forsythien bringen zwölf Euro, für einen Baumstumpf werden 80 Euro abgezogen. Am teuersten ist die Laube selbst.
Das sind auch die Entschädigungssummen, mit denen zu rechnen ist, wenn die Laube weg muss. Denn Bornholm II gehört zu den Kolonien, deren Zukunft fraglich ist. Der Rand droht angeknabbert zu werden. Betroffen wäre ausgerechnet: Damroses eigene Parzelle.
Die benachbarte Bornholm-Grundschule wünscht eine Erweiterung, außerdem braucht sie eine neue Turnhalle. Gegen Investoren, die teuren Wohnraum schaffen, den sich eh keiner im Kiez leisten kann, ließe sich leicht mobilisieren. Aber gegen Eltern, Nachbarn womöglich, die das Wohl ihrer Kinder im Blick haben? Die so sind wie man selbst?
„Wir haben viele junge Eltern unter unseren Mitgliedern“, sagt Damrose. Die Kolonie hat eine spürbare Verjüngung hinter sich. Einst lag Bornholm II im Grenzgebiet zu West-Berlin, aufgenommen wurden bevorzugt Bürger, die dem Ost-Regime als politisch zuverlässig galten. Von denen man erwartete, dass sie niemals eine Leiter im Garten herumstehen ließen, die potenzielle Flüchtlinge an die Mauer lehnen könnten.
Heute haben auch Juliane Kilanowski, 33, und ihr 31-jähriger Mann David hier ihren Garten. Die Kolonie haben sie beim Spazierengehen kennengelernt, sich beworben und Glück gehabt. Vor drei Jahren wurde ihr erstes Kind geboren, inzwischen haben sie ein zweites. Der Garten ist gewissermaßen eine geschützte Spielzone. Vor allem, wenn die Wohnung zu klein ist, um darin andere Familien mit Kindern als Gäste zu empfangen.
Vorbei die Zeiten, in denen ein Schrebergärtner die Parzelle des anderen der kruden Beetaufteilung und wuchernden Sträucher wegen als Schandfleck bezeichnete. Heute denken die Pächter großzügiger. „Vielleicht, weil die Bedrohung zusammenschweißt“, meint Juliane Kilanowski.
Sie alle wissen, dass sie eine Konfrontation mit den Eltern der Umgebung unbedingt vermeiden müssen. Suchen den Kontakt zur Bornholm-Grundschule, wollen gemeinsam Alternativ-Lösungen erörtern. Noch mehr als bisher wollen sie die Bedeutung der Kleingärten für die Allgemeinheit herausstellen. So hat man sich mit einem Projekt zum Erhalt alter Apfelsorten um den Pankower Umweltpreis beworben und zählt zu den Gewinnern.
Außerdem haben sie einen großen Garten den „Kiez-Kids“ der Schreberjugend überlassen. Arbeit mit Jugendlichen, die sonst vielleicht nie erfahren würden, dass Obst auf Bäumen wächst, solche Initiativen liegen ganz auf der Linie des Verbandschefs. Auch Günter Landgraf wirbt in der Verbandszeitschrift für den Erhalt alter Obstsorten. Und für die Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten. „Wir müssen uns öffnen“, sagt Landgraf, vielleicht müssen Kolonien auch Familiengärten einrichten, für diejenigen, die kein Interesse an einer Laube haben.
Ob das reichen wird, dem ökonomischen Druck standzuhalten, der auf Berliner Grundstücken lastet, ist ungewiss. Schon droht am Horizont für die Bornholmer eine neue Gefahr, die größer ist als die Pläne der benachbarten Grundschule. Der Stadtentwicklungsplan Wohnen sieht für den Zeitraum nach 2025 auf dem Gelände von Bornholm Ost den Neubau von 925 Wohnungen vor.
925 Mal Zuhause, wie weit mehr junge Familien es in dieser Stadt dringend suchen. Es wäre wohl das Todesurteil für die Kolonie. Und für die Gärten anderer junger Familien, die ein solches Zuhause bereits gefunden haben – plus das ersehnte Stück Garten, das jenem Zuhause fehlt. Wenn die Häuser erst stehen, werden die Menschen, welche dort einziehen, vielleicht auch beginnen, sich nach einer Laube umzusehen. Und auf einer langen Warteliste landen. Wie der von Herrn Damrose.
„Wir werden kämpfen“, sagt der in seinem kleinen Büro. Draußen setzt justamente die Blaskapelle ein. Es ist Pfingstfest.
Die Bornholmer werden nicht die einzigen sein, die kämpfen müssen. Laut dem Stadtentwicklungsplan, im Juli 2014 verabschiedet, könnten anstelle der insgesamt 40 ausgesuchten Kleingartenkolonien 8510 Wohneinheiten entstehen.
In Wilmersdorf hat die Groth-Gruppe Ende Juni die Baugenehmigung für den ersten Bauabschnitt bekommen. Inzwischen wurden Verkaufscontainer aufgestellt und mit der Vermarktung des Grundstücks begonnen. Auf der anderen Seite des Zauns ist ein neues Vereinshaus geplant, ein bisschen kleiner als Fränkys Gasthaus und eine Schanklizenz wird es auch nicht geben. Schon bald werden in unmittelbarer Nähe von Wolfgang Mahnkes Garten die Häuser in den Himmel wachsen, weiße Quader mit Grasflächen auf dem Dach, die einen Schatten auf sein Paradies werfen. Er hat trotzdem investiert und sich eine neue Astschere gekauft. So eine mit Teleskop, mit der man auch Dinge erreicht, die einem über den Kopf wachsen.