Kinderbetreuung in Berlin: Vorschriftendschungel lässt Kitagründer verzweifeln
Plötzlich muss die Küche größer sein, und ohne Gäste-WC geht nichts: Träger Berliner Kitas sind empört über die Regelungswut des Senats - und die Behandlung als Bittsteller.
Ungeachtet des Mangels an Betreuungsplätzen blockieren Senat und Kitaaufsicht freie Träger, die ihre Kapazitäten erweitern oder Neugründungen auf den Weg bringen wollen: Die baulichen Anforderungen für die Einrichtung neuer Kitas wurden noch weiter verschärft.
Dies belegt ein dreiseitiger Kriterienkatalog, den die Senatsbauverwaltung bei der Beurteilung von Anträgen anwendet. Rein formal handelt es sich nur um eine Zusammenfassung der sechsseitigen Vorschriften aus dem Haus von Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD). De facto beinhaltet der Katalog aber zusätzliche Hürden für neue Einrichtungen.
So heißt es im Kriterienkatalog, dass es ein „gesondertes Personal-WC und ein Gäste-WC (barrierefrei)“ geben muss, während es in der zugrundeliegenden Vorschrift der Jugendverwaltung heißt, „Personal und möglichst Gäste-WC sind vorzuhalten“. Zudem wird ein gesonderter „Abstellraum/-fläche für Liegen/Matrazen“ mit 0,24 Quadratmeter pro Kind verlangt, den es so in der Vorschrift nicht gibt.
Auch die Verteilerküchen sind von der Verschärfung betroffen. So werden aus „circa acht Quadratmetern“ plötzlich „mindestens 14 Quadratmeter“. Neu ist auch „mindestens ein Büroraum mit Isoliermöglichkeit (15 plus acht Quadratmeter)“. Ein Kitagründer, der infolge der Verschärfungen in seinen Planungen zurückgeworfen wurde, sagt: „Das Ganze ist nichts als Regelungswut und toppt die Vorgaben der Jugendverwaltung.“
Vorschriften die es in sich haben
Dabei haben es auch die vergleichsweise etwas weicheren Vorschriften der Jugendverwaltung durchaus in sich. Sie regeln nicht nur die Abstände der Garderobenhaken (20 Zentimeter), sondern legen auch fest, dass es sich bei den Garderoben um „geschlossene belüftbare Räume“ handeln muss: Ein fensterloser Flur im Altbau ist somit nicht zugelassen, so dass die Garderobe auf Kosten von Gruppenräumen und somit Kitaplätzen geht. Auch die Vorschrift, dass es ab 25 Kinder eine „geeignete Außenfläche“ geben muss – selbst wenn ein öffentlicher Spielplatz vor der Tür liegt – vereitelt manche Gründung. Und zwar vor allem in der Innenstadt, wo die Nachfrage nach Plätzen am größten ist.
Als übertrieben wird von manchem Gründer auch die Anforderung empfunden, dass es pro Kindergruppe zwei Räume geben muss - selbst dann, wenn die Kita nicht nach dem Gruppenprinzip arbeitet. Auch dies kann Plätze kosten. "Aber darauf konnten wir uns immerhin einstellen, weil diese Vorschriften im Netz stehen", berichtet ein erfahrener Kitagründer. Umso geschockter waren er und seine Bauplaner, als sie in der Senatsverwaltung für Bauen plötzlich mit dem noch schärferen Kriterienkatalog konfrontiert wurden, der ebenfalls die Jugendverwaltung als verantwortliche Behörde nennt. Der Katalog trägt zwar als Datum den 21. April 2017, ist aber selbst unter Insidern kaum bekannt.
"Wie Bittsteller behandelt"
Was freie Träger aber mindestens ebenso empört wie der Vorschriftendschungel ist die Art und Weise des Umgangs. „Wir werden wie Bittsteller behandelt“, berichtet eine Kitagründerin aus Mitte - ein Eindruck, von dem auch andere Betroffene berichten, wie Martin Hoyer, der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands bestätigt. Er nennt es "abstrus", dass die Behörden - Kitaaufsicht und Bezirke - "keine gemeinsame Haltung entwickeln" beim Kampf gegen den Kitaplatzmangel.
„Statt zu ermutigen und zu beraten, wie es ihre gesetzliche Pflicht wäre, schreckt die Kitaaufsicht der Senatsverwaltung für Jugend Kitagründer oft ab“, bestätigt Wolfgang Stock, der jahrelang als Geschäftsführer eines evangelischen Trägers Kitas projektierte – zuletzt am Reformationscampus in Moabit. Termine bei der Kitaaufsicht zu bekommen, könne „Wochen dauern“, weiß Stock aus eigener Erfahrung.
Wie berichtet, hatte es die Kitaaufsicht noch nicht einmal geschafft, innerhalb eines Monats jene 180 Plätze zu genehmigen, die von freien Trägern auf Scheeres’ Bitte hin für Notfälle angeboten worden waren. Dazu sagte Scheeres’ Sprecherin, die Aufsicht müsse „selbstverständlich die gesetzlichen Vorgaben einhalten und vor allem das Wohl der Kinder im Blick haben“. Wo Ermessensspielräume bestünden, würden sie ausgeschöpft.
Freie Träger müssen sich verschulden
Genau dies wird allerdings von den Trägern anders beurteilt. „Das System wird gegen die Wand gefahren“, kommentiert Roland Kern vom Dachverband der Kinder- und Schülerläden (DaKS) die Genehmigungspraxis. Er erinnert zudem daran, dass die freien Träger für Neubauten pro Platz nur 20.000 Euro an Zuschüssen vom Land bekommen, während der Senat bei seinen eigenen Bauten - selbst den preiswerten Modulbauen - mit mindestens 35.000 Euro rechnet. Hoyer weist denn auch darauf hin, dass der Landesjugendhilfeausschuss bereits im April gefordert hat, die Zuschüsse auf 35.000 Euro zu erhöhen - plus 1000 Euro für Ausstattung.
Kitagründer sollen bis Dezember warten
„Die freien Träger müssen sich verschulden. Und das geht zwangsläufig auf Kosten der Bezahlung für die Erzieherinnen“, nennt Roland Kern Kern vom DAKS eine Konsequenz der zu geringen Zuschüsse. Er weist aber noch auf eine weitere Hürde hin, die von Scheeres’ Verwaltung aufgestellt wird: Seminartermine für Kitagründer bietet die Kitaaufsicht erst wieder ab Mitte Dezember an.