Selbst die Polizei ist dagegen: Vorschlag zum Böller-Verbot an Silvester stößt auf Kritik
Corona liefert den Grünen ein neues Argument im Kampf gegen die Böllerei. Gegner kritisieren den Ansatz, der Handel setzt auf "Einsicht statt Erziehung".
Der Vorschlag kam wenig überraschend – und sorgte dennoch für heftige Reaktionen. Die Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek hat ein Verbot von Feuerwerk für den anstehenden Jahreswechsel gefordert – das begründet sie mit der drohenden Mehrbelastung für die coronabedingt an der Belastungsgrenze arbeitenden Krankenhäuser der Stadt.
Am Montag warf ihr FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja ein „fragwürdiges Menschenbild“ und „Kleinkindpolitik“ vor. „Wir brauchen keinen Nanny-Staat, der versucht, jeden zu einem ,besseren Menschen‘ zu erziehen“, erklärte Czaja und gab im selben Atemzug an, selbst „kein Fan von Böllern“ zu sein.
Nachdem Kapek dem designierten Spitzenkandidaten der FDP eine „traurige Haltung in Corona-Zeiten“ und fehlendes Verantwortungsbewusstsein unterstellte, betonte Czaja, ein generelles Verbot sei das letzte Mittel, „weil es jegliche Form von Normalität“ – auch die im kleinen Kreis der Familie – unterdrücke.
CDU-Fraktionschef Burkard Dregger sprang Czaja zur Seite und erklärte: „Wir sind keine Verbotspartei. Die alljährlichen Bevormundungsversuche der Grünen sind kein überzeugender Schutz vor Corona-Infektionen und flächendeckend schwer zu kontrollieren.“ Die auch in diesem Jahr drohende und von Kapek, genau wie vor ihr schon durch die Deutsche Umwelthilfe, ins Feld geführte Mehrbelastung für die Krankenhäuser erwähnten weder Czaja noch Dregger.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können. ]
Dass es die gibt, gilt als unstrittig. Philipp Kellner, Leiter der Rettungsstelle im Vivantes-Klinikum in Friedrichshain, erklärte: „Wir werten jedes Jahr nach Silvester aus, wie viele Menschen in der Nacht zu uns in die Rettungsstelle kommen oder gebracht werden, wie alt sie sind und warum sie behandelt werden müssen. Dabei wird deutlich, wie gefährlich die Feuerwerkskörper sind.“
Ende 2019 hatte er in einem Interview erklärt, zu Silvester erwarte allein die Rettungsstelle des Klinikums in Friedrichshain bis zu 300 Patienten. Der Konzern verfügt über acht Rettungsstellen, in denen in der Neujahrsnacht sowohl im Funktions- als auch im Ärztlichen Dienst die Schichten verstärkt werden müssten.
Vor allem Kinder- und Jugendliche werden verletzt
Allein im Unfallkrankenhaus Berlin waren während und in den Tagen nach dem Jahreswechsel 53 Menschen behandelt worden, die sich durch Feuerwerk verletzt hatten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass laut interner Erhebung des Vivantes-Konzerns nur etwa fünf Prozent aller Rettungsstellenpatienten um Silvester herum durch Feuerwerk verletzt wurden – viele davon Kinder und Jugendliche.
Unklar bleibt, ob und wenn ja wie ein Böllerverbot durchgesetzt werden kann. Rechtsanwalt Remo Klinger, der das Land Berlin zuletzt häufig vertreten hatte, erklärte ein Verbot dann für möglich, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen Feuerwerk und steigender Auslastung der Intensivstationen hergestellt werden kann. Das geben die Zahlen der Kliniken nicht her.
Ein Sprecher der Innenverwaltung erklärte am Montag, sowohl das dem Gebrauch von Feuerwerk zugrunde liegende Sprengstoffgesetz als auch ein mögliches Verkaufsverbot sei auf Bundesebene geregelt. Aus den Reihen der Grünen hieß es, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sei gebeten worden, das Thema in der Schalte mit den Ministerpräsidenten der Länder sowie der Bundeskanzlerin anzusprechen. Darüber hinaus wollen die Grünen, deren eigene rechtliche Prüfung ebenfalls nicht abgeschlossen ist, die Debatte in der kommenden Woche im Senat fortsetzen.
Böllerverbot in in bestimmten Bereichen soll wiederholt werden
Klar ist schon jetzt: Einzelne Böllerverbotszonen, wie sie zuletzt für den Bereich rund um das Brandenburger Tor, den Alexanderplatz sowie einzelne Bereiche der Pallasstraße eingerichtet wurden, wird es wieder geben. Welche genau das sein werden, soll Ende des Monats bekannt gegeben werden.
Begründet wurde die Einrichtung der Zonen mit „konkreten Gefährdungslagen“, erklärte der Sprecher. Eine Möglichkeit, diese auf die ganze Stadt auszuweiten, wie es die Grünen vorschlagen, sieht er nicht.
Mit Skepsis betrachtet den Vorstoß für ein Feuerwerksverbot die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Zwar wurden zuletzt immer wieder Beamte mit Feuerwerk attackiert und verletzt, dennoch hält GdP-Sprecher Benjamin Jendro ein stadtweites Verbot für „nicht durchsetzbar und kontrollierbar“.
Man könne über Verbotszonen sprechen und diese gegebenenfalls sogar ausweiten. Die „ausufernde Gewalt“ gegen Polizeibeamte werde sich so aber nicht stoppen lassen, erklärte Jendro. Er kritisierte, dass Schreckschusswaffen noch immer ohne Waffenschein erworben werden können.
Zurückhaltend äußerte sich Niels Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Berlin-Brandenburg. Die Einsicht der Kunden sei der Erziehung durch Verbote vorzuziehen. Sollte die Politik keinen anderen Weg sehen, werde man sich „mit den Konsequenzen auseinandersetzen müssen“. Für diesen Fall mahnte Busch-Petersen einen Ausgleich der Umsatzeinbußen an und warnte: „Ein Verkaufsverbot kann zu einer Schwemme illegaler Knaller führen.“
Robert Kiesel