BER-Eröffnung, Parteitag, Duell mit Chebli: Vor Michael Müller liegt die Woche der Abrechnung
Die neue Woche dürfte für Berlins Regierenden Bürgermeister ein paar schmerzhafte Momente bereithalten. Ob er sie übersteht, ist nicht sicher. Ein Kommentar.
Vor dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller liegt eine interessante Woche. Noch ist nicht gesichert, dass er sie heil übersteht. Wobei es einen Termin gibt, auf den sich Berlins sozialdemokratischer Regierungschef so richtig freuen kann: Am 31. Oktober eröffnet der Hauptstadt-Flughafen BER, wenn auch eingeschränkt durch Corona und hoch verschuldet. Aber - er funktioniert, was in Berlin schon viel bedeutet.
Die Gnade der späten Regierungszeit hat Müller davor bewahrt, in den Strudel des BER-Skandals hineingezogen zu werden. Als Stadtentwicklungssenator hielt er sich klug heraus, als das Prestigeprojekt BER im Laufe der Jahre zum Milliardengrab wurde. Es war der Parteifreund und Amtsvorgänger Klaus Wowereit, der mit seinem Rücktritt 2014 die politische Verantwortung übernahm und sich klaglos ins Privatleben zurückzog.
Müller hat mit dem Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, den er im Frühjahr 2017 gegen Widerstände der Miteigentümer Bund und Brandenburg installierte, sogar einen Glücksgriff getan. Mit Sachverstand, unglaublicher Zähigkeit und etwas Glück hat der sperrige Stadtplaner und Bauexperte das Projekt zu einem guten Ende gebracht.
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Die große Eröffnungsfeier fällt aus, das kommt Müller entgegen, denn er muss sich am selben Tag im Neuköllner Estrel als Chef der Berliner SPD verabschieden. Ein schwerer Gang. Seine Partei, der er seit fast 40 Jahren angehört, will mit neuem Führungspersonal retten, was noch zu retten ist.
Die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey soll nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 für die SPD ins Rote Rathaus einziehen. Dafür braucht sie zunächst, im Duett mit dem Fraktionschef Raed Saleh, den Zugriff auf den schwierigen SPD-Landesverband. Für Müller ist kein Platz mehr. Ihn schmerzt das, wenn auch nicht so schlimm wie 2012, als er nach acht Jahren an der Spitze der Berliner Sozialdemokraten von einer linken Mehrheit abgewählt wurde. Eine Welt brach für ihn zusammen - er schwor auf Vergeltung.
Das Grauen vor dem vorzeitigen Ruhestand
Vier Jahre später eroberte Müller, gestärkt durch das Amt des Regierenden Bürgermeisters, den SPD-Landesvorsitz zurück. Doch er konnte den Hauptstadt-Sozialdemokraten keine klare Orientierung gegeben, er hat nicht mal ordentlich moderiert. Die Berliner SPD drehte weitgehend frei.
Ende der Woche ist also Schluss, die Verantwortung für das ungewisse Schicksal der Berliner SPD übernehmen andere. Voraussetzung dafür war ein Deal, der am Jahresbeginn in Kungelrunden ausgehandelt wurde und den Befreiungsschlag ermöglicht, ohne dass Müller das Gesicht verliert.
Als Preis für den Verzicht auf eine erneute SPD-Spitzenkandidatur bei der Wahl 2021 hat der 55-jährige Genosse ein Bundestagsmandat eingefordert, denn ihm graut vor dem vorzeitigen Ruhestand.
Am Mittwoch fällt die Vorentscheidung, ob der drängende Wunsch in Erfüllung geht. Dann wird im SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf ein Mitgliederentscheid ausgezählt: Wer darf die Sozialdemokraten in der City-West nächstes Jahr im Bundestags-Wahlkampf vertreten? Müller oder Sawsan Chebli, Staatssekretärin in der Senatskanzlei?
Er ist nun mal empfindlich
Ein pikanter Wettbewerb, der bundesweit Aufmerksamkeit erregt. In den Führungsetagen der Landes-SPD hoffen die meisten, dass Müller das Rennen macht. Ansonsten gerät die kunstvolle Choreografie der parteiinternen Wachablösung völlig durcheinander. Wirft der Regierungschef bei einer Niederlage hin? Obwohl er bisher glaubwürdig beteuert, noch ein Jahr im Roten Rathaus bleiben zu wollen, aber er ist nun mal sehr empfindlich. Stünde dann im schlimmsten Fall mitten in der Coronakrise eine Neuwahl an?
Solche Fragen schieben die Genossen weit von sich weg, das klingt zu sehr nach Kontrollverlust und drohender Wahlniederlage. Lieber drücken sie Müller jetzt die Daumen – auch wenn in der SPD durchaus darüber diskutiert wird, warum ein scheidender Regierungschef unbedingt in den Bundestag muss.