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Ganz lässig. Jens Friebe, 43, wohnt in Kreuzberg – sieht sich aber nicht als Lokalpatrioten, wie viele Hip-Hop-Musiker.
© Fotograf: Ériver Hijano

Stadtspaziergang mit Jens Friebe: Von Festsaal zu Festsaal

Gibt es in Kreuzberg noch Platz für Musik? Der Popmusiker Jens Friebe nahm dort viele Alben auf und spielte viele Konzerte. Vom Leben mit dem Wandel

Von Jan Oberlaender

Im Video zum Titelsong von Jens Friebes neuem Album sieht man dem Musiker in einer einzigen langen Einstellung zu, wie er strammen Schrittes eine Heidelandschaft durchschreitet. Friebe trägt dabei einen Nadelstreifenpyjama, eine Kette aus goldenen Plastikperlen und roten Nagellack. Sein Blick ist unverwandt in die Kamera gerichtet, er singt im Gehen: „Fuck Penetration!“ Zwei Begleiterinnen, ebenfalls im Schlafanzug, singen den Refrain der Anti-Macho-Hymne mit.

Wenn man sich zu einem Stadtspaziergang mit Jens Friebe verabredet, trägt er ebenfalls Kette und Nagellack, fällt aber ansonsten mit Chinos, Lederjacke und Baumwollbeutel im Kreuzberger Straßenbild nicht weiter auf. Die Route, die Friebe vorschlägt, beginnt allerdings in Alt-Treptow: vom neuen Festsaal Kreuzberg zum alten Festsaal Kreuzberg. Also vom Flutgraben, wo Friebe am 25. Januar das Abschlusskonzert seiner Albumtour spielen wird, zu der legendären Location in der Skalitzer Straße, die im Juli 2013 komplett ausbrannte.

Hier hat Friebe seit Anfang der 2000er Konzerte zu vielen seiner Alben gespielt, clevere, melancholische, an den richtigen Stellen lustige Shows. „Es war ein sehr spezieller, stimmungsvoller Laden, mit der Galerie oben, und mit guten Leuten, die ihn gemacht haben – und immer noch machen.“ Die neue Location sei ein würdiger Nachfolger, sagt der 43-Jährige. „Das Programm ist gut geblieben – und der Sound ist vielleicht sogar besser als früher.“

In Kreuzberg springt einen das Thema Gentrifizierung förmlich an

Also los, an den für den Winter eingemotteten Stegen des Clubs der Visionäre vorbei, die Schlesische Straße runter. Später Montagvormittag, es herrscht Alltagsverkehr, kein Partytrubel. Gleich rechts brummt die Baustelle Cuvrybrache, wo gerade Büro- und Gewerbebauten entstehen. „Ach, ich dachte Proberäume und Ateliers!“, sagt Friebe und spart sich das Grinsen.

Selbst wenn man bewusst nicht über Gentrifizierung sprechen will – „da sagen eh immer alle das Gleiche“ – man kann einfach nicht durch Kreuzberg laufen, ohne dass einen das Thema anspringt. Darum wenigstens das hier: „Wenn selbst eine links-sozialdemokratische Regierung keine halbwegs sozialverträgliche Wohnungspolitik hinkriegt, könnte man fast denken: Okay, dann geht das vielleicht auch einfach nicht“, sagt Friebe. „Aber die KPÖ in Graz hat bewiesen, dass es geht.“ Könne ja jeder selber googeln. Tatsächlich sind dort, in der Landeshauptstadt der Steiermark in Österreich, zuletzt schöne, bezahlbare öffentliche Wohnbauten entstanden.

Regionalpatriotismus ist nur im Hip-Hop wichtig

Nur ein paar Schritte weiter, in einem namenlosen Hinterhofstudio in der Schlesischen Straße, hat Friebe Anfang 2018 das neue Album „Fuck Penetration“ aufgenommen, gemeinsam mit Berend Intelmann und Chris Imler – die beiden Berliner Indie-Haudegen waren auch beteiligt an Friebes vorigen Platten „Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert“ (2007), „Abändern“ (2010) und „Nackte Angst zieh dich an wir gehen aus“ (2014).

Die Titel deuten an, was sich während der Unterhaltung bestätigt. Friebe ist ein unterhaltsamer Gesprächspartner, ironisch und leise. Angesichts der auf natürlich getrimmten Holzfassade eines Biosupermarktes fällt ihm ein: „In Helsinki gibt es eine Kirche aus diesem Holz. Innen alles in so einem kuscheligen Skihütten-Style mit hellen Polstern. Eine Hygge-Kirche!“ – deren zugehöriger Gott vermutlich Norweger-Pulli trage, Rooibos-Vanille-Tee trinke und Brettspiele spiele.

Friebe wohnt selbst in Kreuzberg, er mag die Gegend, könne sich aber auch vorstellen, in anderen Stadtteilen zu wohnen. „Ich bin kein Regionalpatriot“, sagt er, „das ist etwas, das eher im Hip-Hop wichtig ist, das Identitätsstiftende der verschiedenen Hoods“.

„Wie viele White Trashs gab es eigentlich über die Jahre?"

Immer wieder führt der Weg an Konzertclubs vorbei, am Lido („da habe ich nie gespielt“), oder am Bi Nuu im Bahnhof Schlesisches Tor, das Friebe als Ausweichort für Festsaal-Shows in der ersten Zeit nach dem Brand in hohen Ehren hält. Dann am Privatclub im Keller des ehemaligen Postamts. „Als ich neu in Berlin war, 2002 oder so, war ich öfters da, auf Partys, einmal auch auf einem komischen Songwriter-Wettbewerb, wo ich außer Konkurrenz aufgetreten bin, ich weiß gar nicht mehr genau warum“, erinnert sich Friebe.

Damals befand sich der Club noch unter der Eisenbahn-Markthalle in Kreuzberg, erst seit Anfang 2013 ist er in der Skalitzer Straße. Clubs wandern nun einmal, sterben, erstehen wieder auf. „Wie viele White Trashs gab es eigentlich über die Jahre? Fünf?“

Immer weiter geht es geradeaus, eine Baustelle lärmt, die Hochbahn macht mit. „Hier um die Ecke wohnt Christiane Rösinger“, sagt Friebe und deutet einen Gruß an seine alte Weggefährtin über die Straße an.

Oh, und da drüben wohne eine Freundin, die ihm geholfen habe, eine Schaffenskrise zu überwinden. „Sie sagte: Ich höre mir dein Geheule nicht länger an. Du schreibst ab jetzt einen Monat lang jeden Tag einen Text. Und dann entscheide ich, ob das Scheiße ist! Das klappte dann überraschend gut.“

"Kleidermotten haben meine Empathie verwirkt"

Die Hühnerhaus-Brathähnchenduftwolke markiert die Ecke Görli. Friebe empfiehlt für sinnvolle Ernährung das vietnamesische Restaurant Huong Quê in der Wiener Straße 61. „Die haben sehr gute Fleischersatzsachen, ich bin ja Vegetarier. Die falsche Ente ist super!“ Obwohl: „Ich würde jederzeit, wenn sie schmecken würden, auch Kleidermotten essen. Spezies, deren Geschäftsmodell es ist, anderer Leute Kleider zu essen, haben meine Empathie verwirkt.“

Der Weg führt schräg links rein, Richtung Spreewaldbad. „Ich versuche, alle zwei Tage schwimmen zu gehen. Immer ein Kilometer in verschiedenen Lagen. Schwimmen ist der einzige Sport, den ich ertragen kann. Wenn ich auch nur eine Minute jogge, werde ich sofort todtraurig“, sagt Friebe.

Jetzt die Wiener Straße zurück zum Kotti, dann links herum, vorbei an Litfaßsäulen und Bushaltestellen mit schenkelklopf-sexistischer Elektromarkt-Werbung. Das findet Friebe natürlich blöd, aber: „Ich bin skeptisch, was Verbote in solchen Bereichen angeht. Wenn Beamte entscheiden, was sexistisch ist und was nicht, kann das eigentlich nur schiefgehen. Am Ende wird alles verboten, was irgendwie mit Sex zu tun hat. Aber wenn ich es entscheiden dürfte, wäre ich natürlich dafür!“

Eine weitere Hygge-Holzfassade eines Biomarkts, dann steht Friebe vor dem Grundstück und der Ruine des alten Festsaals Kreuzberg, durch das Gittertor sieht man den gar nicht mal so extrem vermüllten Hof. Plakate, Graffiti, alle Türen sind dicht. „Das Traurige ist, dass es von außen so aussieht, als wäre alles in Ordnung.“ Da ballt sich keine Faust, da glitzert keine Träne, sentimental ist Friebe nicht.

Der Untergang lebendiger Subkultur

Vor fünf Jahren, zur Zeit des Brandes, erinnert er sich, war das SO36 bedroht, der Knaack-Club musste schließen. „Man hatte das Gefühl: Jetzt wird hier alles plattgemacht“, sagt Friebe. „Und genau dann brennt auch noch der Festsaal ab, quasi symbolisch für den Untergang lebendiger Subkultur.“

Ein kleiner Schlenker zum Südblock-Flachbau, sind ja nur ein paar Meter, ein Tee ist noch drin. Eine extrem sympathische Location sei das hier, natürlich von der Kapazität kein Vergleich mit dem Festsaal. „Unser Kleinkunstort“, sagt Friebe, er meint das voller Zuneigung. Wie oft stand er auf der Bühne, als Gast in der von der lokalen Popgröße Christiane Rösinger veranstalteten Musikrevuereihe „Flittchenbar“. Im November hatte er hier Album-Premiere, Friebe alleine mit Halb-Playback, als Einstimmung für die große Tour mit Band.

Zeit für den Heimweg. Friebes Blick wandert über den Platz zu einem Holzkohlegrillrestaurant. Noch hängen die Luftballons von der Eröffnungsfeier. Lustig, findet er, hier sei die Entwicklung mal andersrum. Gar nicht lange her, da war in den Räumen eine Commerzbank-Filiale.

Am 25. Januar tritt Jens Friebe im Festsaal Kreuzberg, Flutgraben 2, auf. Der Eintritt kostet 18 Euro, Tickets gibt es unter: www. festsaal-kreuzberg.de.

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