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Da geht’s lang – und hier gehört es hin: Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a. D., auf dem Sockel des Freiheits- und Einheitsdenkmals.
© Kai-Uwe Heinrich

Freiheitsdenkmal in Berlin: Von der Schrippe zur Wippe

Wolfgang Thierse hat es wieder mal geschafft: Zum Tag der Einheit ist das Freiheitsdenkmal Thema. Ein Rundgang und Gedanken zu Kunst, Ossis und Schwaben.

Wolfgang Thierse geht heute zu Hertha. Der „Ossiversteher“ aus Prenzlauer Berg mit dem besonderen Verhältnis zu Schwaben beim West-Berliner Traditionsverein? Mit der Einheit, die bis in die eigene Biografie hinein vollzogen ist, hat das nichts zu tun. Es ist politisch motiviert: „Damit nicht der Eindruck entsteht, Hertha sei ein CDU-Verein“, sagt Thierse und zieht den blau-weißen Ausweis mit der Mitgliedsnummer 100 aus dem Portemonnaie. Mit dieser Begründung habe ihn der CDU-Grande Rupert Scholz, Ex-Verteidigungsminister und Vorstandsmitglied bei Hertha, als Mitglied geworben. Und so entstand eine große Koalition im Hauptstadt-Fußball.

Plötzlich klingelt das Telefon. „Und, erzähl!“, sagt Thierse. Gute Nachrichten: Der Ältestenrat des Bundestages hebt das Freiheits- und Einheitsdenkmal wieder auf die Tagesordnung. Das eigentlich bereits gekippte „kinetische Kunstwerk“ der Choreografin Sasha Waltz und des Architekten Johannes Milla ist wieder im Gespräch. Der Pensionär Thierse hat das geschafft. In noch so einer informellen großen Koalition der Mandatsträger a. D.: Mit Günter Nooke (CDU) hatte er im Juni noch einmal Schlagzeilen gemacht.

„Handstreichartig“ nannten sie den Beschluss des Haushaltsausschusses, sie geißelten die Selbstermächtigung „von ein paar Haushältern“ und forderten die Wiederherstellung der parlamentarischen Souveränität: Der Fachausschuss und das Parlament hätten den Bau des Denkmals beschlossen, sie allein könnten ihren Beschluss auch wieder kassieren. Pathos schwingt da mit, in der Sache ist es aber gewiss korrekt – ebenso wie im Ton offenbar, jedenfalls überzeugte der Auftritt den Bundestagspräsidenten Norbert Lammert, sodass er am Freitag den Vorstoß in dem Gremium wagte – und schon bewegt sich wieder was bei der Wippe.

„Geschichtsvergessen“ nennt er das

Thierse, wie üblich in Schwarz gekleidet, strahlt. Eine Frage aber bleibt: Werden in Fraktionen und Parlament auch Wessis für die – wie Thierse findet – „denunziatorisch“ Einheitswippe genannte Skulptur stimmen? Was haben Wessis schon mit der Freiheitsbewegung der Ossis zu schaffen, die mit dem Denkmal gefeiert werden soll?

Eine in West-Berlin Sozialisierte vermutet Thierse jedenfalls hinter dem Angriff auf das Denkmalprojekt: Monika Grütters. „Versteckt“ habe sie sich hinter den Haushältern, die dazu noch falsches Spiel mit den Zahlen getrieben hätten. Der Anstieg der Kosten von 10 auf 15 Millionen Euro? Geht zum Teil aufs Konto der Berliner Denkmal- und Tierschützer, die immer größere Anforderungen an den Schutz des historischen Sockels und einer Population von Fledermäusen stellten. Das Denkmal selbst koste nicht mehr als geplant. Echauffieren kann sich Thierse aber vor allem über Grütters Erklärung, wonach es kein Denkmal brauche, weil wir ja das Brandenburger Tor haben: „Geschichtsvergessen“ nennt er das, das Tor, „wo die SA durchmarschierte“ und das im Kalten Krieg einsam im Niemandsland der Mauer stand, sei lange „Symbol der Spaltung“ gewesen.

Nein, zur Bewahrung der „glücklichen Erinnerung“ an die friedliche Revolution brauche es mehr. „Das ist doch unsere Mitgift für die Einheit“, sagt Thierse, „etwas Kostbares“ – schließlich „haben wir ja sonst nur unseren zusammenbrechenden Laden“ beigesteuert.

Populär ist Thierse immer noch

Für Bismarck, Feldherren, Kriege und deren Opfer gebe es Denkmäler, für Kultur- und Geistesgrößen, es gebe aber keinen Ort, wo der Freude, der Zustimmung und des Gelingens gedacht werde. „Nichts gegen den Wanderzirkus zum 3. Oktober“, der dieses Jahr ja in Dresden Halt macht, aber es brauche „nicht nur Erhabenes, auf das man aufschauen muss, sondern auch Leichtes, das man betritt, bewegt, das ist originell.“

Gewitzt ist der Mann, der im nächsten Augenblick getragen und pathetisch werden kann; und zwar aus Überzeugung. Was dem Wessi schwerfällt, spätestens seitdem Joschka Fischer sagte, die deutsche Erinnerung, unsere Identität, könne nur vom Holocaust aus entworfen werden. Nicht wahr, Herr Thierse?

„Das reicht nicht“, setzt er vehement dagegen, diese „negative Identität“ werde der deutschen „Freiheitsgeschichte“ nicht gerecht. Die friedliche Revolution sei „das erste Mal in unserer Geschichte, als Freiheit nicht der Einheit geopfert wurde“. Und er holt aus zu einer kleinen Germaniae Historica: Bismarcks Einigung sei nur „auf Grundlage eines militärischen Sieges“ möglich gewesen und Ludwig von Bayern sei die Vereinigung „abgekauft“ worden, „damit der seinen Wagner-Wahn ausleben konnte“.

Plötzlich platzt ein Passant ins Gespräch, „sind Sie nicht Herr Thierse?“, der nickt, wird gelobt für den Bau des Schlosses und aufgefordert, gegen den lässlichen Umgang einzuschreiten mit Steinen am Sockel des Kaiser-Wilhelm- Nationaldenkmals, über das schwere Bagger rollen, um Asphalt abzutragen. Thierse winkt lässig ab, erklärt, dass die historischen Mosaike längst abgetragen und eingelagert seien und schlägt vor: „Gehen Sie zum Berliner Denkmalschützer Haspel und beschimpfen Sie den!“ Der Mann dankt, entschuldigt sich für „die Störung“ – und geht seiner Wege.

Populär ist Thierse immer noch und auch mal populistisch, wenn man es so sagen darf – oder wie sollte man die Tirade gegen die Schwaben nennen? „Ein medial erzeugter Vorgang“, wiegelt er ab, „den ich bis heute mit mir rumschleppe.“ Er bekam tausende Mails, die freundlichsten darunter mit dem Hinweis: „Wir Schwaben finanzieren mit unserem ehrlich verdienten Geld Berlin.“ Thierse bleibt dabei: Eine Schrippe ist kein Wecken und Pflaumenkuchen kein Zwetschgendatschi. Einheit hin oder her.

„Das wird ein großer Erfolg!“

An seiner tiefen Verwurzelung im Kiez von Prenzlauer Berg, in dem er seit 45 Jahren lebt, hatte das ohnehin nichts geändert. Heute lobt er das „junge Bürgertum, das da lebt, mit seinen hohen Ansprüchen an Kitas und Schulen“. Ruhig sei es geworden, der Rummel finde anderswo statt – und „ich stehe als einer der letzten Eingeborenen unter Schutz wie das Kollwitz-Denkmal“.

Und wie steht es um Nähe und Distanz von Ost und West an diesem 3. Oktober? „Arbeit, Produktivität, Einkommen, Vermögen – Ostdeutschland hinkt erkennbar hinterher“, sagt er. Ist das auch ein Grund für die Wahlerfolge der AfD? „Autoritäre Prägungen wirken nach“, sagt Thierse. Und es gebe diesenWunsch: Die da oben sollen es richten, und wenn die Wunder nicht eintreten, führt das zur nächsten Enttäuschung. Und: „Eingesperrt wie wir waren, konnten wir den selbstverständlichen Umgang mit dem Fremden und den Fremden nicht lernen.“ Aber Thierses Warnung folgt sogleich: „Das entschuldigt nichts, schon gar nicht Gewalt“, sagt der, der sich als „Ossiversteher und Ossierklärer“ schon mal missverstanden fühlte.

Abschied am Schloss. „Das wird ein großer Erfolg!“, sagt Thierse und zeigt aufs Humboldt-Forum. „Vom Schloss zur Reichstagskuppel werden die Leute hin- und hergehen. Deshalb passt das Denkmal der Einheit genau hierhin.“ Sagt’s, lächelt schelmisch und geht seiner Wege.

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