Berliner Wirtschaft: Von Arbeitslosenstatistiken und Hellsehern
Eine Zahlenreihe des Statistikamtes über Arbeitslosigkeit in Berlin sorgt für unterschiedliche Befunde. Doch wer hat recht? Eine Betrachtung.
Es waren keine schmeichelhaften Worte, die der schottische Dichter Andrew Lang vor vielen Jahrzehnten wählte, um das Verhältnis von Politikern zu Zahlen zu beschreiben. Statistiken würden von ihnen in der gleichen Weise genutzt, wie Straßenlaternen von Betrunkenen – um sich an ihnen abzustützen, nicht um von ihnen erleuchtet zu werden, spottete der Poet damals.
Wer sich am Montag angesehen hat, was aus einer harmlosen Zahlenreihe des Statistikamtes Berlin-Brandenburg gemacht wurde, könnte auf den Gedanken kommen, dass der Schotte recht hatte. Die Zahl der Arbeitslosen sei in Berlin auf 152.615 Menschen gesunken, teilte die Behörde mit. Das seien 816 weniger als im Mai und 854 weniger als im Juni des vergangenen Jahres. Die Arbeitslosenquote bleibt damit unverändert bei 7,8 Prozent.
Und die Politik? Deutete die Zahl als Zeichen für die Stärke des Wirtschaftsstandortes: „Die Beschäftigung wächst deutlich stärker als im Bundesdurchschnitt und ist ein Indiz für die nach wie vor robusten Wachstumskräfte in Berlin“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop am Montag.
Nun ist der Impuls der Grünen-Politikerin, die Entwicklung als „robustes“ Wachstum zu deuten, gut nachzuvollziehen. Als Wirtschaftssenatorin wäre es politisch unklug, dem Standort eine Schwäche zu attestieren – denn wen träfe die Verantwortung dafür, wenn nicht die Senatorin?
Dass man die Zahlen allerdings durchaus auch anders deuten kann, das bewies am Montag Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). „Die nachlassende Konjunktur hinterlässt ihre Spuren auf dem Arbeitsmarkt der Hauptstadt: In Berlin stagniert die Arbeitslosenquote – das Land bleibt weiterhin auf dem vorletzten Platz im Ranking der Bundesländer“, sagte er.
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Aber natürlich hat auch der Wirtschaftslobbyist Amsinck ein Eigeninteresse, wenn er die Statistik so deutet, wie er es getan hat. Und daraus machte er am Montag auch gar keinen Hehl, gleich im nächsten Satz stellte der UVB-Chef seine Forderung an Ramona Pop auf: „Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, muss der Berliner Senat für ein positives Investitionsklima sorgen.“
Wer aber spricht nun die Wahrheit? Höchstwahrscheinlich beide – zumindest ein bisschen. Es stimmt schon, die Berliner Wirtschaft wächst immer noch kräftig und schafft dadurch viele Jobs. Wahr ist aber eben auch, dass die Umsätze der Firmen zuletzt nicht mehr ganz so kräftig gestiegen sind, wie es in den Monaten zuvor der Fall war.
Hinsichtlich der Zukunftsaussichten hingegen sollte man weder auf die Worte der Politikerin noch auf die des Verbandschefs setzen. Denn ob Berlin nun eine Konjunkturdelle bevorsteht oder aber, wie Pop glaubt, die „Wachstumskräfte in Berlin die Oberhand behalten werden“, weiß einzig und allein eine Berufsgruppe in dieser Stadt: die Hellseher.