Ungeklärte Mordfälle: Vom Täter keine Spur
Wer einen Menschen tötet, wird meistens auch überführt. Doch einige Fälle bleiben über Jahre und Jahrzehnte ungeklärt.
Etwa 90 Menschen werden jedes Jahr in Berlin umgebracht, die Zahlen sind seit Jahren nahezu unverändert. Fast alle Tötungsdelikte werden aufgeklärt, die Quote liegt bei etwa 90 Prozent. Die Täter sind meist im unmittelbaren Umfeld der Opfer zu finden, man spricht dann von Beziehungstaten: Geschäftspartner, Familienangehörige, Nachbarn oder Freunde.
Doch immer wieder folgt auf einen getöteten Menschen außer der Todesursache quasi nichts. Kein Verdacht, keine Spur, nur Ungewissheit. 269 Tötungsdelikte galten 2018 aus den vergangenen 50 Jahren in Berlin als ungeklärt. Denn Ermittlungen werden problematisch, wenn Morde scheinbar oder tatsächlich zufällig verübt werden, wenn Opfer und Täter also in keiner erkennbaren Verbindung zueinander standen. Denn im Gegensatz zum Totschlag trifft der Täter beim Tatbestand Mord Vorsichtsmaßnahmen, um nicht gefasst zu werden.
Rätselhafter Mord jährt sich zum zehnten Mal
Einer dieser rätselhaften Fälle ist der Mord an Kirsten Sahling. Sie wurde am 20. Juni vor zehn Jahren im Spandauer Forst erstochen. Der Mörder blieb bis heute ein Phantom.
Sahling und ihr Ehemann entscheiden sich, morgens spontan Joggen zu gehen, und fahren, wie so oft, zum Spandauer Forst. Während sich die Psychologin noch mit Chi-Gong-Übungen warm macht, rennt ihr Mann schon einmal los. Als die Frau eine halbe Stunde später ebenfalls durch das Waldgebiet joggt, hält ein Radfahrer neben ihr – und sticht unvermittelt auf die 39-Jährige ein.
Schwerstverletzt beschreibt Sahling, als sie aufgefunden wird, noch den Radfahrer, dann erliegt sie ihren Verletzungen. Ein Umstand, der die Ermittler überzeugt: Sahling kann ihren Mörder nicht gekannt haben, sonst hätte sie ihn genannt. Später veröffentlicht die Polizei Aufnahmen aus einer Überwachungskamera, die den dringend Tatverdächtigen zeigen sollen: Ein junger Mann, ganz in weiß gekleidet, der Fahrrad fährt.
Keine Spur vom weiß gekleideten Radfahrer
Und doch, eine richtige Spur fehlt, die Ermittlungsansatzpunkte sind einfach zu gering. Ermittlungsansätze nennen Kriminalisten die naheliegenden Faktoren, die Aufschluss geben könnten: die Tat selbst, wie und unter welchen Umständen wurde eine Person umgebracht? Was ließ der Täter am Tatort zurück? Gibt es Zeugen, die den Täter gesehen haben?
Zeugen gab es einige, die den mutmaßlichen Täter vor und nach der Tat in dem Waldstück oder der Nähe gesehen haben wollen, die Ermittler beschreiben den Gesuchten schließlich als 15 bis 20 Jahre alt, 175 Zentimeter groß und schlank, kurze mittel- bis dunkelblonde Haare. Mehrere hundert junge Männer werden im Laufe der Ermittlungen überprüft, doch nichts. Der Radfahrer mit der weißen Kleidung kann nicht gefunden werden.
Keine Zeugen, kein Motiv
Noch weniger Hinweise als in diesem Fall gab es bei dem Mord an dem Unternehmensberater Jürgen Bohm, der Ende Dezember 2001 auf ganz ähnliche Weise getötet wurde. Es war frühmorgens kurz vor Silvester gegen 6.15 Uhr, als der 52 Jahre alte Familienvater im Volkspark Wilmersdorf mit 23 Stichen in den Kopf getötet wurde. Es gibt keine Zeugen und kein Motiv: Bohm war auf dem Rückweg vom Joggen, außer ein paar Mark und frischen Brötchen trug der Ermordete nichts bei sich. Einzig ein Schuhabdruck im Schnee verheißt die Anwesenheit einer weiteren Person, Typ „Memphis“, Firma Deichmann, Größe 43 bis 46.
Verlaufen Ermittlungen jüngerer Verbrechen erfolglos, werden sie irgendwann von der Mordkommission abgelegt. Sie werden dann zum sogenannten Cold Case, einem Fall außerhalb der heißen Ermittlungsphase.
Doch Mord verjährt nicht. Regelmäßig werden ungelöste Fälle neu geprüft, die Beweise mit gegenwärtiger Technik untersucht oder Fallanalysen erstellt. „Der Tatort ist das Spiegelbild des Täters“, heißt eine Weisheit der Ermittler, die versuchen, aus den objektiv vorliegenden Fakten Rückschlüsse auf den Täter ziehen zu können. Also Fragen, wie und was hat der Täter gemacht? Welche Handlung war geplant, welche spontan? Und: Was tat der Täter, das er nicht hätte tun müssen? Sticht ein Mörder weiter auf sein Opfer ein, nachdem es schon nicht mehr lebt, steht dahinter ein anderer Täter als einer, der mit einem gezielten Schuss tötet.
So wie am 6. Mai 1999, als der Medikamentenhändler Piotr Blumenstock unweit seiner Zehlendorfer Wohnung mit einen Kopfschuss niedergestreckt wurde. Zwanzig Jahre nach der Tat veröffentlichte die Berliner Polizei Anfang des Jahres Bilder des Mannes, den die Ermittler inzwischen für den Mörder halten: Vladimir Svintkovski, ein damals 47 Jahre alter Pole mit russischen Wurzeln. Bilder seines Gesichts hängen seitdem mit einer detaillierten Beschreibung seiner Person an Laternenpfählen rund um den Tatort.
Fälle lange ungelöst
Ähnlich lange ungelöst ist der Mord an der 79 Jahre alten Anna Saße aus dem Jahr 1997. Die Rentnerin lebte alleine in ihrer Weddinger Wohnung, als sie knapp drei Stunden nach dem letzten Telefonat mit ihrer Tochter nackt, erdrosselt und erstochen im Bett ihres Schlafzimmers gefunden wird. Auch wenn der Täter nie gefunden werden konnte, geht die Mordkommission mittlerweile von einem Sexualmord aus. Der Täter sei vermutlich ein junger Mann und habe unter anderem aus sexueller Neugier gehandelt.
Weiter ungelöst ist auch der Mord der 78-jährigen Kaviarhändlerin Fira Miller aus Schöneberg, die im Oktober 2005 in ihrer Wohnung erwürgt wurde. Die Wohnung war offenbar nach Wertsachen durchsucht worden, die Ermittler vermuten, dass die 78-Jährige ihren Mörder selbst in die Wohnung ließ. Die Ermittler fanden dort Kaviar im Wert von mehreren 10.000 Euro, mit dem die 78-Jährige offenbar handelte.
Habgier soll auch das Motiv beim Mord des im Januar 2006 mit mehreren Stichen in den Oberkörper getöteten Franz Quenstedt gewesen sein. Der 68-jährige Schuhmacher wurde tot in seiner Neuköllner Wohnung gefunden, in der Blutlache neben ihm fand die Polizei sein Portemonnaie, aus dem die Geldscheine entwendet worden waren.
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